The Pose

Premierenkritik Constanza Macras und DorkyPark bespielen mit ihrer neuen Tanztheaterperformance Räume in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg

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Mitte Mai geisterte eine beunruhigende Mitteilung durch die Berliner Feuilletons. Constanza Macras hätte keine Kooperationspielstätte mehr in der Hauptstadt. Weder die langjährigen Partner Schaubühne und HAU noch das Maxim Gorki Theater, in dem Macras noch im letzten Jahr ihre Produktion On Fire präsentierte, hätten in ihren Spielplänen Platz für die seit 1996 in Berlin lebende und mit ihrer Tanz- und Performancegruppe DorkyPark arbeitende argentinische Choreografin. Für zwei Aufführungen ihrer letzten Arbeit On Fire erhielt Constanza Macras Asyl im schicken Boulevard-Theater am Kurfürstendamm. Seit dem 9. Juli ist sie nun mit einer groß angelegten Teilbespielung der Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen.

Das in den 1950er Jahren vom Architekten Werner Düttmann entworfene Akademiegebäude ist ein Baudenkmal der Berliner Nachkriegsmoderne und Herzstück des am Rande des Tiergartens gelegenen Hansaviertels. Constanza Macras nutzt die Intimität der hinteren Atelierräume und Teile des Gartens für ihre neue Produktion The Pose. Nun ist das Sich-in-Pose-Werfen ja nicht unbedingt eine intime Angelegenheit, außer man täte es daheim, allein vor dem Spiegel. Hier geht es aber zunächst um das ganz freizügige Posieren vor der eigenen Handykamera. Die Ergebnisse, sogenannte Selfies, landen dann meist sofort in den einschlägigen sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, Instagram oder in Dating-Portalen wie etwa Tinder oder PlanetRomeo.

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Das getanzte Selfie

Die Choreografin von The Pose stellt sich nun ganz einfach die Frage: „Wie verändern sich die ikonografischen Narrative der Selbstinszenierung durch die Fülle achtlos erstellter Bilder?“ Was sich zunächst wie ein etwas aufgeblasenes Dramaturgen-Vokabular anhört, ergibt hier in Bewegung umgesetzt so etwas Ähnliches wie das getanzte Selfie. Was das in drei Gruppen aufgeteilte Publikum dann auch in mehreren Varianten im ersten Durchlauf des Abends von den 10 PerformerInnen der Gruppe DorkyPark geboten bekommt. Dabei werden wechselnd ein mit einem Erdbeet gefüllter, kleiner Sitzungssaal, ein Besprechungsraum mit Treppe und am Rand aufgestapelten Sesseln und ein Teil des Gartens mit Mauer, Steinsäulen und Wasserbecken bespielt.

Zu den im Solo oder in der Gruppe absolvierten Tanzeinlagen mit in den Bewegungen immer wieder teils bizarr oder akrobatisch verrenkt eingefrorenen Posen zeigen die PerformerInnen in einer Art Lichtbildervortrag eigene Selfies, die sie an verschiedenen Orten der Welt, meist im Urlaub oder auf Flughäfen, aufgenommen haben. Erklärt wird dazu die gerade gewählte Attitüde oder vorherrschende Stimmungslage wie: peinlich, traurig, betrunken oder mit nachfolgendem „Hangover“. Auch kleine philosophische Abhandlungen, wie Lacans Spiegeltheorie, ziehen sich durch den ganzen Abend. Der Selbstpräsentationszwang als Teil unserer narzisstischen Ader verursacht eine digitale Bilderflut, die unsere Sinne täuschen will wie ein mit der Tapete verschmelzender Tänzer.

Dass Constanze Macras mit Orten und deren Geschichte umgehen kann, hat sie schon 2013 in der Performance Forest: The Nature of Crisis im Köpenicker Müggelwald bewiesen. Aber auch wenn hin und wieder auf bestimmte Orte oder Sehenswürdigkeiten auf den Fotos verwiesen wird, glückt das angekündigte Zusammenspiel der Performance mit der Architektur des Düttmann-Baus nur bedingt in den Gartenpassagen, wo sich die Bewegungen einfach besser in die Umgebung integrieren oder deren Gegebenheiten wie die Säulen und das Wasserbecken nutzen lassen. Um auf die eingangs erwähnte Frage zurückzukommen, wirkt die Fülle der Bilder und Erzählungen genauso beliebig wie achtlos erstellte Selfies nun mal meist sind. Der geglückte „Headshot“ (ob nun wild oder seriös) ist die Seltenheit. Die gewünschte Wirkung bleibt gemäß Bekundung der PerformerInnen auch in professionell erstellten Fotoserien für die eigene oder eine Agentur-Website doch meist aus.

Trotz der für Macras typischen Ironie ernüchtert das dann schon etwas auf die Dauer. Zur Auflockerung gibt es vor der Pause für alle gemeinsam im Studiosaal eine tänzerische Gruppeneinlage zur teils recht minimalistischen, mit Störgeräuschen versetzten elektronischen Musik von Robert Lippok, Mitbegründer der legendären Ost-Berliner Experimentalband Ornament & Verbrechen. Bei schnellen Kostüm- und Accessoirewechseln friert das Ensemble immer wieder in Tableau Vivants ein oder führt kommandierte Gruppenchoreografien bis hin zum sterbenden Schwan aus.

Der Zwang alles zu fotografieren und zu dokumentieren ist dem Menschen immanent. Ein gesellschaftlicher Ritus und Fluch zugleich, der schon früher zu einer Fülle von Familienfotografien und Sammlungen von Fotoalben führte. Und so sind dann beim zweiten Durchlauf nach der Pause auch die persönlichen Familiengeschichten der PerformerInnen das Thema der Choreografien und wieder parallel stattfindenden Fotoschauen. Es geht um Kindheitserinnerungen, die teils schwierigen Beziehungen zu den Eltern oder auch um den Tod naher Verwandter. In einem einführenden Vortrag erzählt die brasilianische Performerin Fernanda Farah als Barkeeperin am Tresen im Studiofoyer von ihrem kunst- und fotografiebesessenen Vater, dessen Leidenschaft sie früher nicht teilte und nun bedauert, ihm vor seinem Tod die Fotos ihres Sohnes nicht mehr gezeigt zu haben.

Diese zum Teil sehr intimen Berichte gehen wesentlich tiefer als die Selfie-Parade zuvor. Die Fotografie als Spiegel der Geschichte von Menschen und Orten. Ein kollektives Gedächtnis, das sich durch die entsprechende Pose oder Gesichtsregung positiv oder negativ beeinflussen lässt. Wie trügerisch diese Erinnerungen sein können, zeigt sich, wenn die Performer einfach unversehens die Rollen bei der Erklärung der Fotos tauschen. Ein Foto allein sagt noch nichts über das ganze Leben eines Menschen. Die Geschichten dahinter müssen zum Leben erweckt werden. Als ziemlich perfekt abschnurrendes Gesamtkunstwerk aus Bild, Raum, Ton und Bewegung erzählt der Abend dann auch einiges über die magische Wirkung persönlicher Fotografie und die Geschichten ihrer Entstehung. In seiner recht epischen Struktur wirkt der gut 4,5-h-Abend aber auch etwas über Gebühr zerdehnt. Da ist es am Ende wie eine Befreiung, wenn die PerformerInnen noch mal wie aus dem starren Rahmen gefallen draußen vor den Fensterscheiben im Garten wild tanzen oder, uns fixierend, einfach als dreidimensionales Einzel- oder Gruppen-Selfie vor dem angeleuchteten Hintergrund verharren.

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The Pose (AdK am Hanseatenweg, 09.07.2017)
Constanza Macras | DorkyPark
Regie & Choreographie: Constanza Macras
Musik: Robert Lippok
Dramaturgie: Carmen Mehnert
Von und mit: Emil Bordás, Diane Gemsch, Luc Guiol, Fernanda Farah, Nile Koetting, Thulani Lord Mgidi, Ana Mondini, Daisy Philips, Felix Saalmann, Miki Shoji & Momo Akkouch
Licht: Catalina Fernandez
Ton: Fabrice Moinet
Bühne: Laura Gamberg, Veronica Wüst & Chika Takabayashi
Kostüm: Constanza Macras & Daphna Munz
Regieassistenz: Helena Casas
Eine Produktion von Constanza Macras | DorkyPark in Zusammenarbeit mit Robert Lippok. In Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin.
Premiere war am 09.07.2017 in der Akademie der Künste am Hanseatenweg

Weitere Termine: 12.-17.07.2017

Infos: http://www.adk.de/de/programm/index.htm?filter=30211

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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