Theater ist endlich ist Theater

Theater, Performance Eine Runde stagediving im Studio Я zur Eröffnung der neuen Spielzeit im Maxim Gorki Theater

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Das beliebte Konzept des sogenannten stagedivings aus der ersten Spielzeit des Studios Я unter der Leitung der Dramatikerin Marianna Salzmann fand am Sonntag eine viel umjubelte Neuauflage. Noch während der Premierenfeier von Erotic Crisis trafen sich am Samstagabend junge AutorInnen und RegisseurInnen und heckten gemeinsam mit DarstellerInnen des Maxim Gorki Theaters und Theaterinteressierten an der Bar des Studios Themen für 8 kleine Dramolette aus. Über Nacht geschrieben und tags darauf geprobt, erlebten sie dann schon am Sonntagabend ihre Premiere im überfüllten Studio Я.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/09/theater_ist_endlich_ist_theater_MGT.jpg(c) Maxim Gorki Theater

Kurz überschreiben könnte man diesen Abend vielleicht mit dem Motto: Was will, was kann, wie geht Theater? Und vor allem, geht es uns noch etwas an, was da auf der Bühne passiert? Dabei geht es dann in erster Linie vielleicht nicht nur um relevantes Theater, sondern auch um den Spaß am Ausprobieren neuer Formen und Inhalte, was man allen 8 kleinen Stückentwicklungen durchaus anmerken konnte. Was sich aber wie ein roter Faden durch die aufgeführten Mini-Dramen zog, ist der Hang zum Surrealen, mitunter fast Skurrilen, gepaart mit einem Faible für die Tierfabel.

Bereits in der ersten Inszenierung eines Textes von Mehdi Moradpour durch Katharina Kummer treten sinnbildlich für Gefühle von Sehnsucht und Geborgenheit, aber auch Nacktheit, Verunsicherung und Verletzbarkeit Fabelwesen mit Tierköpfen auf. Ich bin das Tier, das dich beschützt ist der Versuch sich aus einer Art geschütztem Raum heraus zu artikulieren, denn „die Worte müssen raus, dahin, wo sie herkommen.“

Tierfiguren auch in dem aberwitzigen Stück Hermelin & Fuchs von Akin E. Şipal. Ein Text über den ganz normalen Wahnsinn unserer Zeit. In der Inszenierung von Rico Wagner reisen das lüsterne Hermelin (Mehmet Yılmaz) und der eher einfach gestrickte Fuchs (Falilou Seck) zu einem Kongress über die Strategien der Weltrettung. Erzählend begleitet wird das Ganze durch eine altklug philosophierende Grille (Paul Wollin). Rückbesinnung auf die Kräfte der Natur oder wissenschaftlicher Fortschritt? Dass das in dieser Konstellation im totalen Chaos endet, ist fast klar.

Wie man das schwierige Thema Asylverfahren in leicht poetischer Art darstellen kann, zeigen Ilknur Bahadir und Mareike Beikirch in Olga Grjasnowas Stück mit dem bezeichnenden Titel Liebe in der szenischen Einrichtung von Nurkan Erpulat. Asylsuchende und Sachbearbeiterin in einem wechselnden Dialog aus realer Bürokratie und surrealem Gefühlschaos, was sich schließlich ähnlich Kafkas Käferparabel in einem Liebes- und Todestanz zweier Insekten auflöst.

Foto: Esra Rotthoff

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/09/theater_ist_endlich_ist_theater_MGT_Programmheft.jpgIn Der Nabel der Welt von Luna Ali, eingerichtet von Wera Mahne, spielen Eva Bey und Till Porath ein religiösen Paar in ihrer Hochzeitsnacht, das vorher wohl noch keinen Sex hatte. Ob es sich um eine Zwangsheirat oder wahre religiöse Keuschheit handelt, bleibt ungeklärt. Man versucht sich kennenzulernen und Geheimnisse auszuloten. Das ist ungemein komisch aber auch beklemmend, wie sich die beiden unsicher zu nähern versuchen und dann doch immer wieder voreinander zurückschrecken. Und auch in dieser merkwürdigen Paarkonstellation schwingt etwas Surreales mit.

Jakob Nolte erzählt in Hallo eine phantastische Geschichte von einem Zirkusbrand, traurigen Elefanten, die nie vergessen und einer sprechenden Schreibtischlampe. Johannes Maria Schmit hat sie mit den SchauspielerInnen Elizabeth Blonzen, Gregor Loebel und Mateja Meded eingerichtet.

Das Spielen mit Identitäten ist mit Sicherheit eines der Hauptthemen des neuen Maxim Gorki Theaters. In dem Stück Im Herzen des Herzens eines anderen Menschen von Jayrôme C. Robinet plaudern die queeren Schauspielerinnen ingoe.deltraut und Fatma Souad sehr humorvoll über Identitäten mit Risiken und Nebenwirkungen sowie die männliche Vagina mit Variationshintergrund. Fazit: Es braucht neue Worte keine Identitäten als Hammer.

Vor die Säue. Verdauungsgeräusche vor Mitternacht von Tucké Royale ist ein kleines Diskursstückchen, das sich in losen Gedankenfäden um das Schweinchen Babe, den Tierschutz, das Anderssein und in fast schon Pollesch'scher Manier um die Identifikation und Repräsentation am Theater dreht, dass sich einem die Textlappen nur so um die Ohren wickeln. Dazu performt eine in Trance versetzte Darstellertruppe bestehend aus Alicia Agustín, Daniel Cremer, Marcues und Antje Prust in direkter Kontaktaufnahme mit dem Publikum. Die vierte Wand ist hier aufgehoben und man liest sich die Texte gegenseitig vor. Was zwar recht charmant, aber auch etwas chaotisch wirkte und nicht für alle durchweg verständlich war. Wer nichts mitbekam, konnte sich zumindest an den Klängen der Elektroharfe von Hans Unstern berauschen.

Wer in der Pause ging verpasste dann noch eine echt gespielte Geiselnahme. Das ganze Studio mit seinen ungefähr 200 ZuschauerInnen war plötzlich in der Hand der Schauspieler Hassan Tasgin und Till Wonka, die in der Polizeizentrale Mitte anriefen und verlangten, dass endlich die Am Kupfergraben um die Ecke wohnende Kanzlerin das Maxim Gorki Theater besuchen solle. Necati Öziri hat den beiden einen urwitzigen Text auf den Leib geschrieben, voller Gags und Anspielungen, in dessen kuriosen Verlauf auch irgendwann Regisseur Michael Ronen mit hineingezogen wird. Das Stück Theater ist endlich ist Theater, was dem Abend auch den Namen gab, ist Persiflage und Liebeserklärung auf das Metier zugleich.

Ob letztendlich die Forderung nach Abschaffung der Geldwertschöpfung oder das Braten größerer Schnitzel in der Kantine, der Weltfrieden oder doch ein Besuch der Kanzlerin wichtig für die neue Spielzeit des Maxim Gorki Theater sind, wird sich bald zeigen. Zu sehen war an diesem Abend auf jeden Fall eine große Lust am Fabulieren und Ausprobieren, wofür das Studio Я die besten Voraussetzungen bietet.

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Zuerst erschienen am 16.09.2014 auf Kultura-Extra.

THEATER IST ENDLICH IST THEATER

im Studio Я (14.09.2014)

Autor*innen: Luna Ali / Olga Grjasnowa / Mehdi Moradpour / Necati Öziri / Tucké Royale / Jayrôme C. Robinet / Akin E. Şipal / Jakob Nolte

Regisseur*innen: Daniel Cremer / Nurkan Erpulat / Katharina Kummer / Wera Mahne / Michael Ronen / Johannes Maria Schmit / Rico Wagner / Julia Wissert

Mit: Alicia Agustín / Ilknur Bahadir / Elmira Bahrami / Eva Bay / Mareike Beykirch / Elizabeth Blonzen / ingoe.deltraut / Gregor Loebel / Mateja Meded / Cynthia Micas / Jasmina Musić / Tim Porath / Antje Prust / Falilou Seck / Fatma Souad / Volkan Türeli / Hasan Taşgin / Hans Unstern / Till Wonka / Paul Wollin / Mehmet Yılmaz

Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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