Theatertreffen 2015

Theater "die unverheiratete" von Ewald Palmetshofer und "Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz. Zwei bemerkenswerte Wiener Inszenierungen mit starkem Damenensemble

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Politik und Ästhetik in den eingeladenen Inszenierungen (Teil 2)

Zu den beim THEATERTREFFEN 2015 jeweils doppelt vertretenen deutschen Bühnenmetropolen Berlin, München und Hamburg gesellte sich diesmal auch wieder die österreichische Hauptstadt Wien mit zwei durchaus bemerkenswerten Inszenierungen, die auch ganz gut zu den vom Veranstalter Berliner Festspiele selbst gelabelten politischen Themen Krieg, Flucht und Traumata passten.

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Den Anfang machte Ewald Palmetshofers für das Wiener Akademietheater verfasste Auftragsstück die unverheiratete. Darin zeichnet der österreichische Dramatiker anhand von Gerichtsakten die wahre Geschichte einer Frau nach, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einen Soldaten anzeigte, nachdem sie zufällig ein Telefongespräch belauscht hatte, in dem er von “abhau’n” spricht. Der junge Mann wurde daraufhin zum Tode verurteilt. Nach dem Krieg zog man die damals ebenfalls noch junge Frau zur Verantwortung, was ihr immerhin 12 Jahren Gefängnis einbrachte. Das Stück dreht sich nun in einer hoch artifiziellen Sprache um das Verdrängen von Schuld und die Schwierigkeit des Erinnerns einer alten Frau, die von Ihrer Tochter und Enkelin nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus nach der Vergangenheit befragt wird.

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die unverheiratete am Burgtheater Wien - Foto (C) Georg Soulek



Aus einem Heft, in das die Alte spät ihre eigene Wahrheit geschrieben hat, lässt sich „Die Wahrheit“ nicht ausreichend rekonstruieren. Die wiederkehrenden, quälenden Bilder der Vergangenheit schließt sie stolz und trotzig in sich ein. Die Anwürfe der Tochter und Enkelin perlen an der Alten ab, die zielsicher ihre Vergangenheit als langen roten Faden aus der Strickjacke trennt, um sich später daran zu hängen. Elisabeth Orth spielt ihren Part einfühlsam überzeugend. Es menschelt dabei immer wieder auch etwas. Wie der Erinnyen-Chor einer griechischen Tragödie rezitieren Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Sylvie Rohrer und Petra Morzé als die „Hundsmäuligen” wechselnd in Biedermeierkostümen, Schwesternuniformen oder im Gouvernanten-Look aus den Gerichtsakten. Sie wirken wie das personifizierte schlechte Gewissen der Alten.

Christiane von Poelnitz als Tochter und Stefanie Reinsperger als Enkelin, hier die Mittlere und die Junge genannt, graben in den von Robert Borgmann (Bühne und Regie) aufgeschütteten Grabhügel auf der Bühne nach den verschütteten Erinnerungen der Alten und im eigenen psychologisch Unterbewussten. Alle drei Frauen haben da ihre Lücken. Die Alte in der Vergangenheit, die Mittlere, die mit diesem Erbe hadert und die Junge, die flüchtige Sexbeziehungen zu Männern pflegt, die sie im Schlaf fotografiert. Bezeichnend ist dabei wohl die vollständige Abwesenheit der Männer im Stück. Die „Weiberwirtschaft“, wie es die Alte nennt, scheint aber gerade daran zu kranken. Dazu muss sich Christiane von Poelnitz auch noch mit Blut übergießen und eine an Heiner Müller erinnernde Elektra-Paraphrase rezitieren.

Der Regisseur übersetzt alles in möglichst eindrucksvolle Bilder. Bedeutsam geht ein roter Samtvorhang immer wieder rauf und runter. Die Rhythmik von Palmetshofers Jambentext überführen die Darstellerinnen in eine entsprechende Sprachmelodie. Borgmann bricht die Schwere nur hin und wieder mit ironischen Einspielungen und viel Musik. Das hat natürlich so seine Längen und schreit geradezu nach Kürzungen im Text, die ihm Borgmann - sonst ein wahrer Spezialist im expressiven Auspinseln von Regieeinfällen - allerdings nicht gönnt; daher dauert die Aufführung satte 2 h 20 min. Die hervorragend aufspielenden Damen des Burgtheaterensembles machen die Uraufführung dieses etwas sperrig geratenen Sprachgebildes dennoch recht sehenswert.

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Sprachlich recht ungewöhnlich ist der von Wolfram Lotz eigentlich als Hörspiel verfasste Text Die lächerliche Finsternis. Das Stück hatte im letzten Jahr auf mehreren Bühnen, so auch am Deutschen Theater Berlin und dem Thalia Theater in Hamburg, einen regelrechten Erfolgslauf. Zum Theatertreffen eingeladen wurde aber die Uraufführung von Dušan David Pařízek, die im September 2014 die erste Burgtheaterspielzeit nach Matthias Hartmanns Rauswurf als Intendant eröffnete.

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Die lächerliche Finsternis am Burgtheater Wien - Foto (C) Reinhard Maximilian Werner



Lotz greift für seine bissige Satire über die Verteidigung westlicher Werte am Hindukusch auf zwei bereits aufeinander beruhende fiktionale Werke zurück, indem er sie wiederum miteinander verschränkt und in unsere Gegenwart holt. Das Hörspiel Die lächerliche Finsternis ("nach Francis Ford Conrads 'Herz der Apokalypse'", wie es im Untertitel heißt) fußt auf dem Afrika-Roman Das Herz der Finsternis von Joseph Conrad und dem Vietnamfilm-Klassiker Apokalypse Now von Francis Ford Coppola. Schon im kuriosen Prolog des somalischen Piraten Ultimo Michael Pussi, den hier Stefanie Reinsperger im breitesten Wienerisch gibt, macht der Autor klar, dass es ihm nicht nur um die reine Wirklichkeit geht, sondern um eine aus der Fiktion des Theaters heraus erschaffene neue Realität. Die Inszenierung zitiert auch aus Lotz’s Rede zum unmöglichen Theater.

In der Annahme, dass der Hindukusch ein Fluss sei, begeben sich Hauptfeldwebel Oliver Pellner und Unteroffizier Stefan Dorsch mit einem Boot auf die Suche nach dem abtrünnigen Oberstleutnant Deutinger in den Dschungel Afghanistans. Soweit die etwas schräge Analogie zu den beiden Vorlagen. Was nun folgt, ist eine surreale Reise aus der sicher geglaubten westlichen Zivilisation in die Irre der Finsternis aus wirtschaftlichen Verflechtungen und Kriegen. Was hier auch zu einer Fahrt in die eigenen und europäischen Innereien wird, die sich - wie sooft im postmodernen deutschen Drama - um die ganz persönlichen Darmwindungen dreht. Hier aber eben auf eine sehr lustvoll poetische und auch ironisch selbstkritische Art.

Als zusätzliche theatrale Verfremdung lässt Regisseur Pařízek alle Rollen von Frauen spielen. Sicher auch eine Reaktion auf die im Text enthaltende Frage der Mutter an Sohn und Autor Lotz: „Und es kommen keine Frauen vor?" Die fremde Umgebung, die die beiden Soldaten (Catrin Striebeck als Pellner und Frida-Lovisa Hamann als Dorsch) langsam in den Wahnsinn treibt, wird noch durch die Wesensfremdheit des zynischen Pellner zu seinem ostdeutschen, leicht sächselnden Untergebenen Dorsch verstärkt. Den Beiden begegnen italienische Blauhelmsoldaten, die Coltan abbauende Einheimische beaufsichtigen und wohlmeinende rassistische Vorurteile pflegen. Ein vorbeischippernder Händler vom ehemaligen Kriegsschauplatz Balkan bietet den typischen Ramsch der Zivilisation an und geht dafür mit dem Unglück seiner Familie hausieren. Ein lüsterner Missionar kultiviert islamische Wilde, und ein sprechender Papagei berichtet von Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung. Dorothee Hartinger und Stefanie Reinsperger spielen alle weiteren Rollen mit österreichischem oder italienischem Spracheinschlag nebst einer bajuwarisch-exotischen Musikeinlage "Wo samma" oder sorgen nebenbei für elektronische Dschungelgeräusche aus dem Hintergrund.

Des mit öliger Schmiere angedeuteten Blackfacing hätte es sicher nicht bedurft. Man kann es aber auch als einen Verweis auf Coppolas Film, in dem sich die Soldaten auch mit Kampftarnfarben im Gesicht bemalen, oder als Öl (das Blut der Wirtschaft) deuten. Sehr schön auch die Idee, die Reflexionen von Lotz zu seinem Gefühl über Dinge zu schreiben, die einem „fremd“ sind, in der improvisierten Pause mit sprechen zu lassen. Dabei wird von den Schauspielrinnen die zuvor eingestürzte Bretterrückwand Stück für Stück durch einen Gartenhexler gejagt, während sie den vielgecoverten Song "The Lion Sleeps Tonigth" in Endlosschleife singen. Das karikiert wunderbar den kolonialen Ökoraubbau wie auch die popkulturelle Vereinnahmung ethnischer Folklore. Besser kann man westliche Selbstgewissheit nicht auf die Spitze treiben.

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Zuerst erschienen am 15.05.2015 auf Kultura-Extra.

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die unverheiratete (UA)
von Ewald Palmetshofer
UA am Akademietheater Wien: 14.12.2015
Regie und Bühne: Robert Borgmann
Kostüme: Janina Brinkmann
Musik: webermichelson
Licht: Peter Brandl
Dramaturgie: Klaus Missbach
Mit: Stefanie Reinsperger, Christiane von Poelnitz, Elisabeth Orth, Petra Morzé, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt, Alexandra Henkel
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

Termine beim Theatertreffen: 06.05. und 07.05.2015

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Die lächerliche Finsternis
von Wolfram Lotz
UA am Akademietheater Wien: 06.09.2015
Regie und Bühne: Dušan David Pařízek
Kostüme: Kamila Polívková
Licht: Felix Dreyer
Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Frida-Lovisa Hamann, Dorothee Hartinger, Stefanie Reinsperger, Catrin Striebeck
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, "eine Pause, wenn Sie möchten"

Termine beim Theatertreffen: 13.05. und 14.05.2015

Weiter Infos: http://www.theatertreffen.de

und http://www.burgtheater.at

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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