Ulysses

Premierenkritik Sebastian Hartmann inszeniert am Deutschen Theater Berlin seine Adaption des berühmten Romans von James Joyce als textschweres Assoziationsgewitter

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sebastian Hartmann hat ein Faible für schwerverdauliche Romanadaptionen. Schon zu Zeiten seiner Leipziger Intendanz hat er literarische Brocken wie Thomas Manns Zauberberg oder Lew Tolstois Krieg und Frieden recht erfolgreich auf die Bühne gehievt. Mit Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz ist ihm selbiges auch am Deutschen Theater Berlin geglückt. Nach Mann und Döblin - beide nachweislich Verehrer des irischen Schriftstellers James Joyce - lag es daher nahe, sich auch an dessen berühmten, 1922 erschienen und seitdem in der Literaturwissenschaft bis heute viel diskutierten Roman Ulysses zu wagen. Ein Unterfangen, an dem man eigentlich nur scheitern kann.

Joyce beschreibt in 18 in sehr unterschiedlichen Schreibstilen gehaltenen Episoden einen Tag in Dublin des Jahres 1904, den die Joyce-Fans jährlich am 16. Juni als sogenannten Bloomsday feiern. Der Autor hält sich im Aufbau an bestimmte Figuren und Episoden aus der Odyssee des Homer. Hauptfiguren des Romans sind der 38jährige Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom (Odysseus) sowie der etwas jüngere Lehrer Stephen Dedalus (Telemachos) - beide durchaus als Alter Egos des Autors zu verstehen - die sich auf ihrem Weg durch die Stadt Dublin immer wieder über den Weg laufen und sich so in gewisser Weise eine Vater-Sohn-Beziehung aufbaut. Die Besonderheit des Romans ist, dass die Episoden keine stringente Erzählung bilden, sondern der Leser (wie auch bei Döblin) meist nur den Gedanken der Figuren, ihrem sogenannten Bewusstseinsstrom, folgen kann, was wiederum Sebastian Hartmann bei seiner meist eher assoziativen Regiearbeit sehr entgegenkommen dürfte.

Eingebetteter Medieninhalt

Und Hartmann geht die theatrale Umsetzung dann auch ganz nach Joyce an. Nicht der Roman in Gänze kommt auf die Bühne, die im DT zu Beginn noch komplett leer ist und nur von einem aus roten Neonröhren geformten Portal gerahmt wird, sondern viele aneinandergereihte, szenisch aufbereitete Texthäppchen, die wiederum ein assoziativ zusammensetzbares Gedanken-Pandämonium bilden sollen. Dabei geht es Hartmann weniger um die Kenntlichmachung eines bestimmten Ortes, wie das Dublin Anfang des 20. Jahrhunderts, sondern mehr um ein universelles Erkenntnismuster. Das Portal entpuppt sich so als Erden- und Höllenschlund menschlichen Denkens, eine wie bei Joyce schon angelegte Reflexion über Geburt, Leben und Tod, Politik, Philosophie, Religion und Wissenschaft.

„Dublin brennt! Dublin steht in Flammen!“ heißt es in einem Eingangsmonolog, den Linda Pöppel allein an der Rampe spricht. Sie beschwört das Pandämonium eines fiktiven Kriegsbrandes. Der menschliche Abgrund in wenige Sätze gepackt. Ein Teil aus dem wohl eindrücklichsten Kapitel des Romans, der in den Erläuterungs-Kommentaren zum Roman mit dem Titel Circe (dem Namen der mythischen Zauberin aus der Odyssee) überschrieben ist und wie in einen Drama den Bordellgang der beiden Protagonisten beschreibt, bei dem sie wild halluzinierend ihren Verstorbenen begegnen, das Thema Vaterschaft und Schuldgefühle behandelt werden und das auch eine Art „tiefenpsychologische Walpurgisnacht“ genannt wird. Hartmann sprengt Teile davon immer wieder in die Inszenierung ein und geht auch sonst eher unchronologisch vor.

Bernd Moss spielt einen Magier mit Zylinder, der den Sound in der Hand fängt und eine imaginäre Taube aus dem Hut zaubert. Dabei steht das Ensemble ganz in Schwarz als gelenkte Sprechpuppen auf der Drehbühne. Feuerblitz und Donner, Meeresrauschen, ein assoziatives Spiel mit Gesten und Geräuschen. Auch die Musik folgt diesem Muster mal mit schweren Orgelklängen, barocken Melodien und dann wieder mit krachigem Punk und fetten Reggae-Beats. Wer sich nicht auskennt, wird vor der Pause sicher etwas hilflos dem Treiben auf der Bühne zusehen. Da folgen Szenen am Strand mit Benjamin Lillie, Birgit Unterweger und Cordelia Wege, die die Onanieszene aus dem Kapitel Nausikaa andeuten, Manuel Harder beschreibt das Braten der Frühstücksnieren, Evolution und Wiedergeburt sowie den morgendlichen Stuhlgang Blooms aus dem vierten Kapitel. Ulrich Matthes spricht sehr erhaben die Todesreflexionen Blooms aus dem Hades-Kapitel und auch eine Episode mit einem Totenritus aus der ursprünglichen Odyssee. Wieder Benjamin Lillie blödelt in Englisch oder führt als Hund einen Blinden (Edgar Eckert) über die Bühne.

Ein ironisches Nummernprogramm quer durch den Ulysses, dem es noch an der nötigen Stringenz und Bildgewalt fehlt. Die bringt Hartmann erstmals mit einer Körpermalaktion von Linda Pöppel, die sich nackt einen Eimer schwarzer Farbe über den Körper kippt, und auf einer Folie, die dann hochgezogen wird, ein großes Kruzifix schmiert. Dazu schweben immer wieder zwei riesige schwarze Discokugeln vom Schnürboden. Ein magisches Doppelgestirn, in dem man vielleicht die beiden Hauptfiguren erkennen mag, das allgegenwärtige Universum, überdimensionale Moleküle oder den Magnetismus, von dem im Roman gesprochen wird. All das ist szenisch angedeutet, näher erklärt wird es aber erst nach der Pause, wenn Bernd Moss aus der Rolle heraus- und ans Publikum herantretend über Quantenphysik, Unschärferelation und die ortsunabhängige Gleichzeitigkeit zweier Elektronen referiert. Ein augenzwinkerndes Plädoyer, trotz Nichtverstehens sich den Gesetzen des Universums vertrauensvoll und ohne Angst auszuliefern. Aber auch wissenschaftlich-philosophischer Diskurs, der vielleicht sogar Joyces Religionskritik andeuten soll. Eine ewige Kontroverse.

Im zweiten Teil nimmt die Inszenierung dann etwas an Fahrt auf. Hier überzeugen vor allem Judith Hofmann, die die Mutterliebe hochhält und gegen kleingeistige Männer ätzt, Manuel Harder im Nachthemd, der im Fruchtbarkeits-Kapitel Die Rinder des Sonnengotts gleichzeitig die Geburtswehen der Mina Purefroy und die in verschiedenen Sprachstilen gefassten Zoten der Medizinstudenten und das Wachsen des Ungeborenen im Mutterleib beschreibt, oder Cordelia Wege, die mit angeklebtem Bart den antisemitischen Bürger aus dem Kapitel Der Zyklop gibt. Und auch der Shakespeare-Disput in der Nationalbibliothek darf nicht fehlen. Judith Hofmann, Bernd Moss, Linda Pöppel, Birgit Unterweger und Cordelia Wege performen ihn als süffisant-ironisches Cocktailpartygewäsch. Dann choreografiert das großartige Ensemble unter der Anleitung von Edgar Eckert Orte und Sehenswürdigkeiten der Stadt Dublin. Daniel Hoevels als heimkehrender Bloom und Cordelia Wege als seine über Liebe, Gott, Erlösung und Reue sinnierende Frau Molly beschließen den immerhin vierstündigen Abend, an dem Sebastian Hartmann vieles, aber leider nicht alles gelingen will.

----------

Zuerst erschienen am 20.01.2018 auf Kultura-Extra.

Ulysses (DT, 19.01.2018)
nach James Joyce
Regie / Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Videoanimation: Tilo Baumgärtel
Licht: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Ulrich Matthes, Edgar Eckert, Manuel Harder, Daniel Hoevels, Judith Hofmann, Benjamin Lillie, Ulrich Matthes, Bernd Moss, Linda Pöppel, Birgit Unterweger, Cordelia Wege
Die Premiere war am 19. Januar 2018 im Deutschen Theater
Termin: 28.01. / 18., 25.02.2018

Infos: https://www.deutschestheater.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden