Wiener Festwochen 2014

Oper Macbeth - Nach Wien kommt Brett Baileys Verdiadaption nun zum Festival Theaterformen nach Braunschweig.

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Wie man einen ursprünglich rein weißen Klassiker-Stoff - noch dazu die vom großen italienischen Komponisten Verdi veroperte Shakespeare-Tragödie des Macbeth - für schwarzes Theater adaptieren kann, zeigte bereits Ende Mai der weiße südafrikanische Theatermacher Brett Bailey bei den Wiener Festwochen. Für seine Macbeth-Version, die im April 2014 in Kapstadt Premiere hatte, bearbeitete der belgische Komponist Fabrizio Cassol Verdis Musik für das No Borders Orchestra unter Premil Petrović. Bailey übersetzte das italienische Libretto von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei für die Übertitelung ins Englische (dt. ÜT: Simona Weber) und bearbeitete es bezüglich der Verlegung der Handlung in die heutige Region des von paramilitärischen Rebellengruppen umkämpften Osten der Demokratische Republik Kongo. Gesungen wird aber der traditionelle Text auf Italienisch.

Schockte Brett Bailey 2012 noch die Sehgewohnheiten des weißen, europäischen Publikums bei den Wiener Festwochen und den Foreign Affairs in Berlin mit seiner Installation Exhibit A und B, in der durch schwarze Performer lebensecht Bilder unserer verdrängten kolonialen Vergangenheit nachgestellt wurden, so wartet er hier nun nach Orfeus (Theaterformen Festival, Hannover, 2011) und medEia (Foreign Affairs, 2011) wieder mit einer Klassikerbearbeitung für ein rein schwarzes Ensemble auf. Eine Texteinblendung per Video erzählt die Vorgeschichte einer Theatergruppe auf der Flucht, die im Rathaus der Stadt Goma Kisten mit Kostümen und Requisiten der Oper Macbeth finden und damit eine Geschichte über ihre Region aufführen. Die Biografien der einzelnen Interpreten werden im Video vorgestellt. Im kleinen Theater Odeon in der Taborstraße (Den hohen Saal im Gebäude der alten Börse nutzt sonst u.a. das Serapions Ensemble für Aufführungen ihres Figurentheaters.) wird auf fast völlig abgedunkelter Bühne gespielt. In der Mitte erhebt sich ein Podest, rechts daneben sitzt das Orchester und am linken Rand tritt immer wieder ein kleiner Chor in wechselnden Rollen auf. Baileys auf 90 Minuten verdichtete Inszenierung kommt mit nur drei Gesangssolisten aus.

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Owen Metsileng als Macbeth - Foto: Nicky Newman

Macbeth (Owen Metsileng) ein massiger Bariton und sein Gefährte Banquo (Otto Maidi) treffen nach erfolgreichem Kampf gegen eine rivalisierende Rebellengruppe auf die drei Hexen, dargestellt von weißmaskierten Männern mit Tropenhelmen, Geldkoffern und Geschenkkisten, in denen sich Camouflageuniformen befinden. Die Vertreter des Konzerns Hexagon offerieren den beiden Kämpfern die bekannten Weissagungen vom Aufstieg des Macbeth und Banquos Nachfahren. Die Stimmen leihen ihnen dabei drei Frauen aus dem Chor, denen ein weiterer Kämpfer die Machete an den Hals hält. Mit Angst, Gewalt und Vergewaltigungen terrorisieren die Milizen die Zivilbevölkerung im Krieg um die Rohstoffe des Landes. Das Geld für die Waffen kommt von ausländischen Konzernen, die im Gegenzug dafür Schürfrechte für Gold, Diamanten und das für Elektronikgeräte wie Mobil-Telefone und Notebooks benötigte Coltan erhalten.

Erst kürzlich hatte der deutsche Autor Roland Schimmelpfennig das von ihm geschriebene märchenhaft versponnene Stück SPAM über den Coltanabbau in Afrika am Deutschen Schauspielhaus Hamburg selbst inszeniert. Bailey Shakespeareadaption hält sich weitestgehend an den bekannten Plot. Per Videoprojektion werden aber aktuelle Details und Fakten zu einzelnen Rebellengruppen, Waffenlieferungen, transparenten Börsen und Finanzgebaren des IWF als Kommentare eingeblendet. Animierten Videobilder und Symbole verstärken die Handlung zusätzlich. Die Lady (Nobulumko Mngxekeza) wartet bei der Wäsche auf die Rückkehr Macbeths und erhält per SMS die Nachricht der Beförderung. Der Aufstieg Macbeth‘ und seiner Lady wird an Kleidung und sie umgebende Markenwaren verdeutlicht.

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Macbeth - Die Hexen - Foto: Nicky Newman

Ein Blauhelmsoldat der MONUSCO-Friedensmission filmt das Begräbnis des ermordeten Duncan. Ein Kommentar zur Untätigkeit der UNO. Nachdem der alte Kommandant aus dem Weg geschafft ist, geht es nur noch um den Machterhalt und die Beseitigung von Banquos Brut. Die gedungenen Mörder Banquos sind vier sonnenbebrillte Milizionäre mit Macheten, die danach an einem vorgehaltenen Tischtuch mit der Lady speisen und rhythmische Tänze aufführen. Der Leichnam des Banquo liegt dabei vorn auf der Bühne. Die Hexen werden wieder bemüht, und ein weiteres Mal verteilen die „weißen“ Männer Geld und machen Versprechungen. Totenköpfe und schwarze Babypuppenleichen liegen auf der Bühne. Der Chor klagt die Mörder vor den Kleidungsstücken der Toten an.

„Bullshit“ ruft die Lady im Kampanzug mit vorgehaltener MPi, bevor sie dem Wahnsinn verfällt. Das Schicksal des zaudernden Milizenführers Macbeth kann das nicht mehr ändern. Auch er stirbt durch die Machete eines anderen. Der Kontrast vom italienischen Opernlibretto zu Baileys Text mit teilweise drastischem Vokabular und der szenischen Umsetzung ist offensichtlich, trägt damit aber auch zum besseren Transport der aktuellen Botschaft bei. Die Musik des Zehnköpfigen Kammerorchesters ist kraftvoll und wird durch zwei Percussionisten verstärkt. Die Sangesleistung der Interpreten beeindruckt ebenfalls. Die Siegeshymne „Salve, o re!“ wird zum Klagechor aller. Brett Bailey hat dazu einen neuen Text über das Blutvergießen um der Macht Willen geschrieben. „Das Gesetz des Dschungels“, das von westlichen Konzernen mitbestimmt wird. Nach Wien ist die Inszenierung nun am 11. und 12. Juni bei den Theaterformen in Braunschweig zu sehen.

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Macbeth
Nach der Oper Macbeth von Giuseppe Verdi
Konzept, Inszenierung und Ausstattung: Brett Bailey
Musik: Fabrizio Cassol
Musikalische Leitung: Premil Petrović
Licht: Felice Ross
Choreografie: Natalie Fisher
Kostüme: Penny Simpson
Videotechnik und technische Assistenz: Carlo Thompson
Illustration und Animation Video: Roger Williams
Foto: Projektion Marcus Bleasdale/VII & Cedric Gerbehaye
Text: Übertitelung Brett Bailey

Mit:
Macbeth: Owen Metsileng
Lady Macbeth: Nobulumko Mngxekeza
Banquo: Otto Maidi
Chor: Sandile Kamle, Jacqueline Manciya, Monde Masimini, Siphesihle Mdena, Bulelani Madondile, Philisa Sibeko, Thomakazi Holland

No Borders Orchestra
Violine: Mladen Drenić, Jelena Dimitrijevic
Viola: Saša Mirković
Cello: Dejan Božić
Kontrabass: Goran Kostić
Querflöte: Jasna Nadles
Klarinette: Nenad Nešić
Fagott Milos: Dopsaj
Trompete: Nenad Marković
Posaune: Viktor Ilieski
Percussion: Cherilee Adams, Dylan Tabisher

Produktion: Third World Bunfight, Kapstadt
Koproduktion zwischen Wiener Festwochen, Kunstenfestivaldesarts, Brüssel, KVS, Brüssel, Festival Theaterformen, Hannover/ Braunschweig, Barbican Centre, London, La Ferme du Buisson, Marne-la-Vallée, Festival d’Automne à Paris

Infos: http://www.festwochen.at/programmdetails/macbeth/

Weitere Termine in Europa:

Festival Theaterformen Braunschweig:
11.06.14, 19:30 Uhr
12.06.14, 19:30 Uhr

Barbican Centre, London
16. bis 20.09.14, 19:45 Uhr

Festival d’Automne à Paris
18. bis 22.11.14 im Nouveau théâtre de Montreuil, centre dramatique national
25. und 26.11.14 im La Ferme du Buisson, Scène nationale de Marne-la-Vallée

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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