William Kentridge bei den Foreign Affairs (2)

Theater, Performance Six Drawing Lessons - Eine multimediale Lecture-Performance von William Kentridge über den Zusammenhang von Zeichenkunst, Kunstgeschichte und Weltpolitik

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In seinen Six Drawing Lessons genannten, erstmals 2012 für die Charles Eliot Norton Lectures an der Harvard Universität gehalten Vorlesungen über die Kunst des Zeichnens, beschäftigt sich der südafrikanische Multimedia-Künstler William Kentridge mit Gedanken zur Kunst selbst, der Kunstherstellung und dem Atelier als Mittelpunkt seiner Arbeit. Im diesjährigen Fokus der FOREIGN AFFAIRS hielt er nun an zwei aufeinanderfolgenden Abenden im Haus der Berliner Festspiele seine sechsteilige Lecture-Performance, die in dem multimedialen Bühnenstück Refuse the Hour mündet.

Ausgehend von Platons Höhlengleichnis entwickelt Kentridge philosophische und künstlerische Denkmodelle über Mechanismen und Täuschungen, durch die wir in der Welt Sinn konstruieren. Er erläutert das immer wieder sehr anschaulich anhand seiner Arbeiten. So ist der Prozessionszug von schattenartigen Menschen, die Dinge und Symbole mit sich tragen, schon zu seinem Markenzeichen geworden. Das Licht der Aufklärung, der Drang Menschen auch gegen ihren Willen zu befreien, ist für Kentridge durch die blutigen Auswüchse der Französischen Revolution und die europäische Kolonisation Afrikas diskreditiert. Als Beispiel bringt er die Niederschlagung eines Aufstandes in der britischen Kolonie Nyassaland (dem heutigen Malawi) und den deutschen Genozid an den Hereo.

Kentridge vergleicht Robespierre mit dem Sarastro aus Mozarts Zauberflöte, die er 2005 in Brüssel inszeniert hat, und hat noch so manch anderen Querverweis aus der Kunstgeschichte von Dürers Rhinozeros bis zu Picassos Faible für afrikanische Masken auf Lager. All das findet sich in Kentridges Kunst wieder. Der Künstler nennt das selbst „Lob des Synkretismus“. Auch eine Synthese von Zeichnung und verschiedenen Methoden, bewegte Bilder zu erzeugen (wie etwa mit dem Zoetrop oder der Filmkamera). Kentridge erklärt den Ablauf von Bewegung, Projektion und Illusion. Wir schauen ihm im Video bei der Arbeit zu, wie er sich selbst als Double Hinweise gibt. Das Prinzip des schauenden und handelnden Künstlers im Atelier, dem Raum für die „notwendige Dummheit“, die wiederum Raum für unvoreingenommene Ideen und Gedanken schafft.

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Die Bemühung, die Unordnung der Welt neu zu ordnen, stürzt uns immer wieder in neue Unordnung. Kentridge erklärt daher das Unfertige und die Unsicherheit zum Prinzip seiner Arbeit. Irgendwo gibt es immer eine Lücke in der Lösung von Rätseln, die wieder ein neues unlösbar scheinendes Rätsel offenbart. Diese Lücke nutzt Kentridge als Impuls für sein künstlerisches Schaffen. Als politisch denkender Künstler zeichnet Kentridge auch gegen den nationalen Gedächtnisverlust. Bilder aus seiner Kindheit (wie die Fotos von den Toten des Massakers an 69 schwarzen Demonstranten im Township Sharpeville) haben sich in sein Gedächtnis eingefressen.

Zeichnen bedeutet für Kentridge auch Erinnern. Eines seiner in Versalien auf Buchseiten geschrieben Mantra lautet daher auch: Undo, unsay, unsave, unremember, unhappen. Für das Erinnern versucht er wie jeder Mensch auch die Zeit anzuhalten oder rückwärts laufen zu lassen. Das schafft Kentridge mit Hilfe des vor- und rückwärts laufenden Films. Zeit ist Entfernung und Geografie. Können wir dem entfliehen, was wir sind, ist dann auch die Frage Kentridges, die er wiederum mit dem Schaffensprozess des Künstlers im Atelier in Zusammenhang bringt, der wie Rilkes Panther im Käfig auf- und abläuft. Ein Prozess, den Kentridge „Denken mit den Füßen“ nennt. *In der Lektion Vertikales Denken befasst sich Kentridge mit der Landschaft um Johannesburg, die sich durch den Bergbau stark verändert hat. Eine Stadt, die auf dem Reißbrett entstanden ist, einzig aus geologischen Gründen, weil es dort Gold gibt. Hier hat sich Geschichte vertikal in eine Landschaft eingeschrieben. Eine illusionslose Nichtlandschaft, die immer wieder in Kentridges Bildern und Animationsfilmen über die Unterdrückung und Ausbeutung der schwarzen Bevölkerung auftaucht.

Die selbstironische Distanz, das kluge Aufgreifen und Nutzen von Widersprüche sowie der humorvolle und unterhaltsame Vortrag Kentridges machen diese Lektionen zu einer echten Anregung zum Weiterdenken, auch wenn es in Lesson 4 und Lesson 5 manchmal etwas zu didaktisch wird.

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In Teil 6, der Kammeroper Refuse the Hour, die eine Weiterführung der multimedialen Installation The Refusal of Time ist, wird jedoch alles Wissenschaftliche zur reinen Poesie aus Wort, Bild, Bewegung und Musik. Es geht um Zeit, Raum und Schicksal. Und wieder verbindet Kentridge eine antike Sage mit der Gegenwart. Die Geschichte von Perseus und dessen Großvater Akrisios, die ihm als Achtjährigem von seinem Vater vorgelesen wurde. König Akrisios flieht vor dem Orakelspruch, der ihm prophezeit, von seinem Enkel Perseus getötet zu werden. Dennoch kann er seinem Schicksal nicht entgehen und ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Theorien über europäische Zeitmessung, die Kolonialgeschichte Afrikas, schwarze Löcher, Ordnung, Unordnung, Begrifflichkeiten und deren Fehlinterpretationen verbinden sich auf wundersame Weise mit Soundinstallationen, Bühnen- und Kostümgestaltung, Videokunst, Musik und Performance.

Kentridge ist hier eine kongeniale Übertragung der zuvor behandelten Themen mit den Mitteln des Schauspiels, Tanzes und Animationsfilms sowie seinem eigenen Vortrag in ein multimediales Bühnenspektakel gelungen, zu dem Philip Miller eine recht moderne Musik mit europäischen und afrikanischen Referenzen komponierten hat, wie wir sie schon in Paper Music erleben konnten. Hier glänzen aber nicht nur die Sängerin Ann Masina und Performerin Joana Dudley, die sogar rückwärts singen kann, sondern vor allem auch die südafrikanische Choreografin und Tänzerin Dada Masilo, der Schauspieler Thato Motlhaolwa sowie die Orchestermusiker unter Leitung von Adam Howard. Ein ganz großes Bühnenerlebnis mit anschließenden Standing Ovations des begeisterten Publikums.

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Zuerst erschienen am 11.07.2016 auf Kultura-Extra.

DRAWING LESSONS I-V (Haus der Berliner Festspiele, 08./09.07.2016)
Konzept: William Kentridge
Musik und musikalische Einrichtung: Philip Miller
Video, Schnitt: Catherine Meyburgh
Performer: William Kentridge
Videomanipulation: Janus Fouché
Licht: Marine Deballon

REFUSE THE HOUR (Haus der Berliner Festspiele, 09.07.2016)
Kammeroper von William Ketridge
Konzept und Libretto: William Kentridge
Musik: Philip Miller
Choreografie: Dada Masilo
Videokonzept: William Kentridge und Catherine Meyburgh
Bühnenkonzept: Sabine Theunissen
Kostüme: Greta Goiris
Mit: William Kentridge, Dada Masilo (Tanz), Ann Masina und Joanna Dudley (Gesang), Thato Motlhaolwa (Schauspiel) sowie den Musikern Adam Howard (Dirigent, Ko-Einrichtung, Trompete und Flügelhorn), Tlale Makhene (Perkussion), Waldo Alexander (Violine), Dan Selsick (Posaune), Vincenzo Pasquariello (Klavier) als auch Edward Rudolf Neuhauser (Tuba)

Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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