Zum Start der neuen Spielzeit in Berlin (3)

Theater Eine Rückschau und ein Ausblick auf Vergangenes und Künftiges an den fünf Stadttheatern der Hauptstadt. Teil 3: Die Volksbühne

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Frank Castorf ist ja schon in Teil 2 der Vorberichterstattung zur neuen Spielzeit in den Berliner Stadttheatern erwähnt worden. Er wird sich außerhalb von Berlin wieder Hans Henny Jahn (Deutsches Schauspielhaus Hamburg) und Brechts Menschenvernichter Baal (Residenztheater München) widmen. Was er für sein eigenes Haus, die Berliner Volksbühne mit der Inszenierung Kaputt - Tour de force européenne nach Malaparte bereithält, ist aber wie immer noch gut gehütetes Geheimnis. Der deutschstämmige italienische Schriftsteller und Journalist Curzio Malaparte (Kurt Erich Suckert) erregte großes Aufsehen mit seinem 1944 erschienen Roman Kaputt, der in seinen reißerischen Schilderungen der Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs durchaus auch faschistische Züge trägt. Nach dem Krieg wandte sich Malaparte dann dem Kommunismus zu. Castorfs neue Roman-Adaption wird demnach wohl eine Fortsetzung in der Auseinandersetzung mit zwiespältigen Künstlerpersönlichkeiten wie Limonow oder Celine sein.

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Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz – Foto: St. Bock

Für einiges (Miß)Vergnügen sorgte kürzlich ein Artikel des Literaturchefs der Welt-läufigen Tageszeitung gleichen Namens. Tilmann Krause degradierte darin Castorf ganz stiefmütterlich zum kleinkarierten Vorgartenzwerg der Nation Ost. Krause hatte sich da wohl im Resort geirrt, als er fälschlicherweise den Grünen Hügel in Bayreuth beackerte. Sein als Polemik getarntes Essay in der Welt, geriet zum Tief- und Rundumschlag nicht nur gegen das seiner Meinung nach auf eine DDR-Fixierung beschränkte Theater von Regisseuren mit Ostbiografie, sondern auch noch unfairer Weise gegen völlig unbeteiligte Schriftsteller wie Volker Braun und Christoph Hein, deren Theaterstücke leider immer seltener auf deutschen Bühnen zu finden sind. Gerade kleinere Ostbühnen machen sich da immer wieder einen Namen mit Neuinszenierungen ihrer Roman- und Bühnenwerke. Dieser unqualifizierte Ausfall Krauses offenbart aber nur erneut den niederen Horizont und eine selbst in höchstem Maße kleinkarierte Weltsicht der bürgerlichen Springerpresse.

Nach Frank Castorfs Ausflug im Sommer 2013 nach Bayreuth zu Wagners heiligem Grünen Hügel, wo er dann den Ring nicht einfach in den Sand, sondern bis über die Ellenbogen in das den kapitalistischen Weltmotor schmierende Erdöl setzte, hatte man mit einer kleinen Rekonvaleszenz in der letzten Spielzeit gerechnet. Dem war nicht so. Castorf, produktiver denn je, stellte ganze fünf Inszenierungen auf die großen Bühnen der Wiener Burg, des Residenztheaters München und der heimischen Volksbühne. Einladungen zum Theatertreffen im Mai waren die Folge. Regisseur Castorf und auch die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz stehen so gut wie seit Jahren nicht mehr. Neben dem Intendanten sind René Pollesch (Glanz und Elend der Kurtisanen) und Herbert Fritsch (Ohne Titel Nr.1) die Garanten dieses Erfolges. Lediglich die vierte Stütze im seit Jahren eingespielten Männerquartett der Berliner Volksbühne, Martin Wuttke, schwächelte mit seiner Balzac-Adaption Trompe l’amour auf Grund einer beruflich bedingten Selbstüberschätzung.

Die zum Ende der letzten Volksbühnensaison ausgefallene Pollesch-Premiere von Cruel to be Kind wird nun unter dem Titel House for sale die neue Spielzeit am Rosa-Luxemburg-Platz eröffnen. Die ursprüngliche Inszenierung von René Pollesch zum Zitat „I must be cruel only to be kind” aus Shakespeares Hamlet (In dt. Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel: „Zur Grausamkeit zwingt bloße Liebe mich.“, was den Kern der Aussage natürlich nur bedingt poetisch trifft.) wird nun voraussichtlich mit den Drei Schwestern von Tschechow verschnitten, wenn man die Vorankündigung der Volksbühne richtig deutet. Mit Sicherheit gibt es aber den üblichen philosophischen Pollesch-Mix aus Liebe, Leben und Glauben in Zeiten des Kapitalismus. Zitat: „Mir scheint, der Mensch muss gläubig sein oder muss nach einem Glauben suchen, sonst ist sein Leben leer, leer…“ In Keiner findet sich schön, einer weiteren Uraufführung von René Pollesch im Juni 2015, geht es natürlich auch wieder um sein ewiges Thema Liebe und Körper.

Voll wird die Volksbühne dann sicherlich wieder bei einem neuen Streich von Komödienregisseur Herbert Fritsch. Er bringt im Februar 2015 mit Der die Mann Texte von Konrad Bayer auf die Bühne. Der mit erst 32 Jahren nach heftiger Kritik durch die Gruppe 47 1964 freiwillig aus dem Leben geschiedene österreichische Schriftsteller und Dandy dürfte mit Sicherheit die dadaistische Blödellust von Herbert Fritsch angeregt haben. Nachdem sich Fritsch bereits mit einer sogenannten Oper in der Volksbühne beschäftigt hat und im Februar mit Don Juan sogar einen Ausflug an die Komische Oper Berlin wagt, wird sich auch René Pollesch im März 2015 dem Genre zuwenden. Der Titel, der von Dirk von Lowtzow (Sänger und Gitarrist der Band Tocotronic) komponierten Oper mit Texten von René Pollesch, steht aber noch nicht fest.

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Keine abgetragenen Lumpen. Die Volksbühne setzt weiter auf Bewährtes – Foto: St. Bock

Außerdem wird es eine Rückkehr von Christoph Marthaler nach Berlin geben. Neben Letze Tage. Ein Vorabend, einer Übernahme von den Wiener Festwochen 2013 an die Staatsoper im Schillertheater, wird sich der Schweizer Regisseur im Oktober mit Tessa Blomstedt gibt nicht auf - Ein Testsiegerportal zur elektronischen Kontaktaufnahme in die Weiten der Daten-Profile auf Partneranbahnungsportalen begeben. Denn nur entdeckt und angeklickt werden, heißt auch, begehrt zu sein. Der mit Villa Verdi bereits in der letzten Spielzeit an die Volksbühne zurückgekehrte Choreograf Johann Kresnik ehrt mit Die 100 Tage von Sodom den vor 200 Jahren gestorbenen Marquis de Sade und passend zur Ausstellung PASOLINI ROMA im Martin Gropius Bau den italienischen Filmregisseur Pier Paolo Passolini. Der nächste Rückkehrer, Videoschnipsler Jürgen Kuttner, beschäftigt sich im Dezember mal wieder mit Geschichte. Ach Volk, du obermieses ist eine Revue am Bülow-Wessel-Luxemburg-Platz.

Den Regie-Männern zwischen 50 und 75 hat Frank Castorf in der neuen Spielzeit nur noch zwei jüngere Regisseure entgegenzusetzen. Das ewige Volksbühnentalent Sebastian Klink, der mit Der Sandmann nach E.T.A. Hoffmann vor zwei Jahren auf der großen Bühne noch scheiterte, bekommt nun mit einer Adaption des 2013 unter dem Titel Blutsbrüder wiederaufgelegtem Romans des relativ unbekannten Autors Ernst Haffner aus dem Jahr 1932 eine neue Chance. In Jugend auf der Landstraße Berlin beschrieb der nach 1938 spurlos verschollene Haffner das harte Leben einer Gruppe obdachloser Jugendlicher. David Marton wird mit Pelleas und Melisande ein Schauspiel mit Gesang nach Maurice Maeterlinck inszenieren. In Das Schottenstück. Konzert für Macbeth, seiner letzten Inszenierung für die Volksbühne, rückte Marton mit der Lady Macbeth, dargestellt von der grandiosen Lilith Stangenberg, zumindest mal eine starke Frauenfigur in den Mittelpunkt.

Nach seinem Ausflug zu den Frauenfiguren der französischen Literatur mit Balzacs La Cousine Bette kehrt Frank Castorf aber lieber wieder zu Dostojewskij zurück. Er erneuert seine Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen (Juni 2015) und tritt mit Die Brüder Karamasow in Konkurrenz zu Luk Percevals Inszenierung am Thalia Theater Hamburg aus dem Jahr 2012. Premiere an der Volksbühne ist dann im November der übernächsten Spielzeit. Castorf sitzt also weiter fest im Sattel. Er wird sich nicht wie sein Alter Ego Baumeister Solness vor jungen Nachwuchstalenten verstecken und die Tür der Volksbühne zu halten müssen. Castorfs selbstironische Ibsen-Inszenierung am Ende der letzten Spielzeit ist eine direkte Antwort an die nicht enden wollenden Nachfolgediskussionen von Journalisten, die schon das Ende seiner Intendanz für das Jahr 2016 sehnsüchtig herbeischreiben.

Die Männerbündler an der Volksbühne bleiben demnach weiter unter sich. Lediglich Silvia Rieger schlägt im 3. Stock mit der Schriftstellerin Gisela Elsner Fliegeralarm. Trotz der Schlagworte Glaube, Liebe und Hoffnung im Spielzeitmotto glaubt an der Volksbühne wohl auch keiner an die baldige Einsetzung einer weiteren Intendantin in Berlin, neben Shermin Langhoff, die mit dem Maxim Gorki Theater nun sogar eine preisgekrönte erste Spielzeit hingelegt hat. Und das ganz ohne Einladung zum Theatertreffen.

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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