Enough Gaddafi - Woher der Widerstand kam

Libyen-Krise 2011 Nach Wochen des Aufstands und dessen Bekämpfung durch Gaddafi-Truppen begann am 19. März 2011 die militärische Intervention in Libyen. Doch wie spontan war der Protest?

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Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass die „Arabische Revolution“ keinesfalls unerwartet und plötzlich losbrach, sondern Teil eines seit 2003 offiziell bestehenden und von den G8 ratifizierten Plans zur Demokratisierung des „Greater Middle East“ war. Seit Jahren arbeitet die vom US-Kongress finanzierte Organisation NED (National Endowment for Democracy) mit verschiedenen NGOs zusammen, um weltweit ihr Verständnis von Demokratie zu propagieren und durchzusetzen.

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Soft Power
Unter anderem wird über das „Freedom House“ seit Jahren die Organisation „CANVAS“ (Centre for Applied Non-Violent Action and Strategies) unterstützt, die früher unter dem Namen „Otpor!“ schon für die serbische Revolution und die Umwälzungen in Osteuropa mitverantwortlich war. Als Grundlage der Bewegung dient das 1993 erstmals erschienene Buch „Von der Diktatur zur Demokratie“ des Politikwissenschaftlers und Umsturz-Gurus Gene Sharp. Auf 119 Seiten werden darin wirkungsvolle Methoden zum Sturz von Diktaturen beschrieben, es geht hauptsächlich um Nichtzusammenarbeit und den geschickten Aufbau von Feindbildern. Unter dem Namen CANVAS sind die serbischen Revolutionsprofis heute weltweit aktiv. Auch der „Arabische Frühling“ wurde von dieser Demokratiebewegung um Srdja Popović stark beeinflusst, das sagt er selbst vor laufender Kamera. So wurden beispielsweise die Köpfe der Revolution in Ägypten in Belgrad ausgebildet und folgten der Otpor-Strategie, deren Inhalt sich mit der Anleitung von Sharp deckt.

Die Unterstützung von Widerstandsbewegungen im Ausland ist ein Mittel von „Soft Power“-Strategien – ein indirekter Weg politischer Machtausübung, der hauptsächlich auf die Vermittlung neuer Werte in fremden Kulturen setzt. All das ist gut dokumentiert und recherchierbar, doch kaum ein Medienunternehmen berichtete während der Proteste in der arabischen Welt darüber. Wenn, dann mit großer Verzögerung oder als Randnotiz. Nur vereinzelt gab es Berichte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, meist in der Nacht.

Die Revolutionsprofis
In der sehr zu empfehlenden Reportage „Die Revolutionsprofis“, die unter anderem auch im ORF ausgestrahlt wurde, wird auf die Relevanz von Sharps Buch bei den Protesten in der arabischen Welt verwiesen. Das Werk sei mittlerweile in 34 Sprachen erhältlich, wobei die arabische Version die populärste sei und zuletzt im arabischen Raum eine sehr große Verbreitung fand – so die Assistentin von Gene Sharp im Juni 2011.

Aktivist und Revolutionslehrer Popović zu den Aufständen in Ägypten: „Das war keine spontane Revolution von 19 Tagen, vergessen Sie diesen Mythos, das wäre sehr oberflächlich. Das war alles lange vorbereitet, denn die junge Generation in der arabischen Welt hat erkannt, dass sie mächtig ist.“ Jede Revolution, die die Organisation unterstützt habe, sei zur eigenen Marke geworden, heißt es mit Verweis auf die Blumenrevolutionen in der Reportage weiter.


Propagandainstrument YouTube?
Sharp schreibt in seiner während des „Arabischen Frühlings“ weit verbreiteten Widerstandsbibel, man könne „sich darum bemühen, die Weltmeinung aus humanitären, moralischen und religiösen Gründen gegen die Diktatur zu mobilisieren“. Und so hatten von der Widerstandsbewegung aufgenommene Amateur-Videos in der weltweiten Fernsehberichterstattung über Libyen von Beginn an einen besonderen Stellenwert. Als Beweis für die Menschenrechtsverletzungen des Regimes trugen die via Internet verbreiteten Videos in den ersten Wochen des Konflikts wesentlich zum Aufbau des Feindbildes und zur Etablierung des journalistischen Bezugsrahmens bei. Gaddafi töte friedliche Demonstranten – sein eigenes Volk – hieß es weltweit in den Massenmedien. Würde man die Berichterstattung manipulieren wollen, müsste man genau an dieser Schnittstelle zwischen usergenerierten Inhalten und Leitmedien ansetzen.

Libysche Widerstandsbewegung seit 2009 aufgebaut
Auch im Vorfeld der Proteste in Libyen gibt es Hinweise auf eine Verknüpfung von CANVAS mit der nordafrikanischen Widerstandsbewegung. Seit 2009 gab es den Blog engoughgaddafi.com und die dahinter stehende Bewegung, die sich ENOUGH! bzw. arabisch KHALAS! nannte. Dabei ist zuerst die Ähnlichkeit der Namensgebung mit der Widerstandsbewegung in Serbien, die sich Otpor! (deutsch: Widerstand!) nannte, auffallend. Ziel der libyschen Bewegung war es, Widerstand gegen Gaddafi zu schüren und vor allem junge Menschen zu mobilisieren.


„ENOUGH is born from a single, broad sentiment: the recognition of the overwhelming need for change in Libya. Initiated by a group of second-generation Libyan exiles in the United States, Enough aims to engage all those who share this sentiment towards the betterment of Libya“. Mittlerweile ist der Blog aus dem Netz verschwunden, aber auf change.org und Twitter finden sich noch jeden Menge Spuren der Bewegung.


Aus dieser Initiative gründeten sich auch die zahlreichen Bewegungen und Online-Plattformen rund um den 17. Februar 2011, wie etwa feb17.info oder libyafeb17.com, die für die Demonstrationen in Libyen verantwortlich waren. Sie nutzten die neuen Kommunikationskanäle des Internets zur Verbreitung ihrer Propaganda, was schließlich zum Sturz des unbeliebten Gaddafi-Regimes führte.

Politisches Jiu-Jitsu
Um auf die von Gene Sharps propagierten Strategien des gewaltlosen Kampfes zurückzukommen: Es gibt drei Hauptkategorien von gewaltlosen Waffen: Protest bzw. Überredung, Nichtzusammenarbeit und Intervention. Zu den über 200 Methoden gehören unter anderem Demonstrationen, Besetzungen und die Einsetzung einer Parallelregierung, wie sie auch in Libyen beobachtet werden konnte. Besonders wichtig ist die Strategie des politischen Jiu-Jitsu: „Dabei fällt die rohe Brutalität des Regimes gegen die eindeutig gewaltlosen Aktionisten politisch auf die Stellung der Diktatoren zurück, denn sie sorgt für Mißstimmigkeiten in den eigenen Reihen und stärkt die Unterstützung für die Widerständler in der breiten Bevölkerung, bei denen, die üblicherweise dem Regime anhängen, sowie dritten Parteien.“

Sprang der Funke der Arabellion im Februar 2011 einfach von Tunesien und Ägypten auf das unzufriedene libysche Volk über und entfachte einen Flächenbrand? Oder wurde Libyen von außen destabilisiert, damit das Land unter dem Vorwand der „humanitären Hilfe“ erst zerbombt und später wieder aufgebaut werden kann?

Links

Demokratisierung des Greater Middle East

TV-Beitrag: The Revolution Business

Enough Gaddafi bei change.org

CANVAS: Centre for Applied Non-Violent Action and Strategies

Weitere Quellen in

Meier, Stefan (2012): Propaganda 2.0? Strategien zur Manipulation von Kriegs- und Krisenberichterstattung via World Wide Web. Frames und Online-Quellen in der Berichterstattung der ARD Tagesschau zu Beginn der Libyen-Krise 2011. Magisterarbeit, Universität Wien.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan G. Meier

Blogger, Texter, Social Internetzler und Promoter. Aufgewachsen in den Alpen, Studium in Wien. Lebt seit 2012 in Deutschland.

Stefan G. Meier

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