Tagesschau-Berichterstattung zur Libyen-Krise

Amateur-Videos Politische Akteure können Online-Inhalte als Propagandainstrument nutzen. Massenhaft verbreitet tragen diese zur Legitimation von Interventionen bei. Propaganda 2.0?

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Die ARD Tagesschau widmete Libyen zu Beginn der Krise jede vierte Sendeminute. Wenn der Umsturz eines Regimes und die „Befreiung“ eines ölreichen Landes scheinbar unmittelbar bevorstehen, stellen die meisten Medien ihr Programm auf Konfliktbilder um.

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Eine im vorigen Jahr an der Universität Wien veröffentlichte Studie beschreibt aufschlussreiche Details der Tagesschau-Berichterstattung während der Libyen-Krise im Jahr 2011. Alle Nachrichtenbeiträge der ersten sechs Wochen des Konflikts wurden auf journalistische Deutungsrahmen und Ausmaß und Inhalt von verwendeten Amateur-Videos aus dem Internet überprüft. Das Ergebnis zeigt, dass usergenerierte Online-Inhalte zur Legitimation von Militäreinsatzen benutzt werden können.

Jeden Tag Libyen
Am 17. Februar 2011 berichtet die ARD Tagesschau erstmals über Proteste in Libyen: Auf verwackelten Bildern mit der vagen Quellenangabe „Handyvideo via Internet“ ist ein brennendes Plakat zu sehen, auf dem Gaddafi und der afrikanische Kontinent abgebildet sind. Das war der Anfang von Ende des libyschen Machthabers – wie er fortan genannt wurde. Von Mitte Februar bis Ende März 2011 wurden ganze 25 Prozent der Tagesschau-Sendezeit der Berichterstattung zum Thema Libyen gewidmet. In diesem Zeitraum wurde täglich über die explosive Lage im nordafrikanischen Wüstenstaat berichtet. Nur das Erdbeben in Japan, die Atomkatastrophe von Fukushima und der Guttenberg-Skandal hatten an wenigen Tagen einen höheren Nachrichtenwert in Deutschland.

Usergenerierte Inhalte, Medienpools und eingebettete Journalisten
Von Beginn an hatte Amateur-Footage in der Fernsehberichterstattung über Libyen einen besonderen Stellenwert. Als Beweis für die Menschenrechtsverletzungen des Gaddafi-Regimes trugen im Internet veröffentlichte Videos in den ersten Wochen des Konflikts wesentlich zum Aufbau des Feindbildes und zur Etablierung des journalistischen Bezugsrahmens bei.

Auffallend ist, dass solche Online-Videos zu Beginn der Berichterstattung täglich Verwendung in der Tagesschau fanden - bis exakt zu jenem Zeitpunkt, als von der Einrichtung eines Pressezentrums der Opposition in Bengasi berichtet wurde. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Medienpool genutzt. Die meisten Journalisten waren in der von Oppositionellen besetzten Stadt Bengasi untergebracht und lieferten von dort aus ihre Berichte. Die meisten Reporter vor Ort waren also in die Reihen der Rebellen eingebettet. Kann man in dieser Situation noch von neutraler Berichterstattung sprechen?

Quelle: Video via Internet
Zu Beginn der Tagesschau-Berichterstattung wurden beinahe täglich Online- bzw. Amateur-Videos in die Beiträge des deutschen Leitmediums eingebaut. Die via YouTube und Twitter verbreiteten Videos waren die ersten verfügbaren Quellen, die das brutale Vorgehen von Gaddafis Sicherheitskräften gegen die Demonstranten belegen konnten.

Die in der Studie identifizierten Videos sind durchgehend von schlechter Qualität, teilweise sehr verwackelt und verschwommen. Alle gezeigten Videos wurden von den Aufständischen aufgenommen und ins Netz gestellt, kommen also aus den Reihen eines Konflikt-Akteurs und können somit nicht als neutrale Quelle eingestuft werden. Diesen kurzen Videoschnipseln kam eine entsprechende Beweiskraft zu, wenn es darum ging, die Unterdrückung der Aufständischen zu zeigen. Die konkreten Quellen wurde von der Tagesschau nicht kommuniziert, stattdessen wurde oft betont, dass sich diese nicht nachprüfen lassen und die Videos „im Internet kursieren“. Es wurden nur kurze Ausschnitte aus Videos gezeigt, was die Auswahl bestimmter Bilder zur argumentativen Visualisierung der Berichterstattung zusätzlich begünstigte. Ist das Qualitäts-Journalismus?

Bomben für den Frieden
Gaddafi töte das eigene Volk, deshalb müsse er beseitigt werden, so der globale Mainstream-Tenor. Nach zwei UN-Resolutionen wurde im März schließlich die von den Rebellen geforderte „Flugverbotszone“ über Libyen eingerichtet und die „humanitäre Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung“ konnte beginnen.

Am 19. März 2011 meldete Nachrichtensprecherin Judith Rakers in der deutschen „Tagesschau“: „Die internationale Staatengemeinschaft hat die Schraube angezogen, der Militäreinsatz gegen Libyens Machthaber Gadaffi hat begonnen. Wie Frankreichs Staatspräsident Sarkozy nach einem Sondergipfel in Paris bestätigte, operieren Militärmaschinen seines Landes dafür im Luftraum über Libyen. Inzwischen haben die Flugzeuge auch Panzer der Gadaffi-Truppen beschossen. Ziel ist es, die Bevölkerung zu schützen und das von den UN verhängte Flugverbot durchzusetzen.“

Eine freie Berichterstattung über Kriege und Krisen ist seit dem zweiten Golfkrieg praktisch nicht mehr möglich. Die Bilder, die wir über die Massenmedien zu sehen bekommen, sind detailliert in Szene gesetzt, kontrolliert und Teil der Medienstrategie politischer Akteure.

Heute liegt Libyen in Trümmern und kaum jemand berichtet noch über das Wüstenland, die vergessenen Opfer der „humanitären“ Intervention und das traumatisierte Volk.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan G. Meier

Blogger, Texter, Social Internetzler und Promoter. Aufgewachsen in den Alpen, Studium in Wien. Lebt seit 2012 in Deutschland.

Stefan G. Meier

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