Der Besen schabt am Trommelfell

Lauschangriff Zwischen Hochspannung und Gelassenheit: Das neue Album des Jazztrios Tethered Moon zelebriert die Kunst der Improvisation und geht damit direkt ins Ohr

Es sind nur Töne, aber jeder einzelne hat Gewicht. Jedes Intervall, jeder Akkord, jeder Melodieton, der eine sanft dahin geworfen, dass er schwebt, und der nächste roh gehämmert, sich dann mit dem übernächsten Ton zu einer rollenden Bewegung verbindend, die ihn dahinschwemmt. Nur Töne und Pausen, gespielt auf dem Klavier, links und rechts, im tiefen Register und im hohen, der Kontrast ist immer schon mitgespielt und wird noch unterstrichen, wenn Masabumi Kikuchi mit knarrender Stimme seine Tonfolgen mitsingt, begleitet.

Kikuchi, geboren 1939 in Tokio, gehört zu den großen Unbekannten des Jazz. Nachdem er noch in seiner Jugend seine ersten Auftritte an der Seite von Größen des modernen Jazz wie Lionel Hampton oder Sonny Rollins absolviert hatte, erweiterte er später sein Spektrum um die Komponisten Ellington, Stockhausen, Ligeti und sein klangliches Repertoire um das elektrische Instrumentarium und spielte eine – noch immer nicht veröffentlichte – Session mit Miles Davis ein.

Als Kikuchi sich wieder auf das Klavier und den akustischen Klang konzentrierte, entstand Tethered Moon, das Trio mit dem Bassisten Gary Peacock und dem im vergangenen Winter verstorbenen Schlagzeuger Paul Motian. Über Jahrzehnte blieb das die Plattform, von der aus Kikuchi den Kontakt zur Welt des Jazz hielt, der er einerseits längst entwachsen und in der er andererseits tief verwurzelt blieb. Doch so hoch Kikuchis Name unter Kennern gehalten wird, ist er dem größeren Publikum unbekannt.

Schule der Improvisation

Sunrise, Kikuchis neues Album mit dem Trio, markiert eine neue Phase im Schaffen des Pianisten, mit seiner ausgereiften Improvisationskultur, die keine der gängigen Startrampen mehr braucht, um den Fluss der Einfälle zu erzeugen, keine romantischen Harmoniefolgen zum Losträumen, keine leichtfüßigen Rhythmen, die den Widerstand des Publikums niederreißen könnten.

Nichts Oberflächliches, nur Töne und Pausen: Töne wie Schleier, Pausen größter Lautstärke. Mit der Ruhe im Aushandlungsprozess dieser Musik, die auf jedes Muskelspiel verzichtet, wirkt diese Musik wie ein Monument der Improvisation. No Nonsense: Auf seine fortgeschrittenen Tage verzichtet Masabumi Kikuchi auf alle Referenzen und folgt seinem eigenen Weg – rau und herzlich, lyrisch und unterkühlt, still und konzentriert. In seinen beiden Nebenmännern, dem Bassisten Morgan und, ein letztes Mal, Motian am Schlagzeug, findet Kikuchi die idealen Partner für diese Musik.

Traumwandlerisch gelassen und mit dem Gespür für den richtigen, den Spannung aufbauenden oder auch auflösenden Ton, mit einem sonoren Brummen, das ganze Räume in Schwingung versetzt, rundet Morgan das Klangspektrum nach unten ab. Während Motian auf seinem Schlagzeug eine differenzierte Palette von Klängen, Geräuschen und Akzenten freisetzt, deren Klangfarbenreichtum einen Gegenpol zu Kikuchis Klavier bildet.

Da sirren die Becken in einem verschachtelten Wechselspiel, da schabt der Besen leise über ein Trommelfell, berührt hier einen Trommelrand, streichelt dort einen Kessel und verschafft dann einem kantigen Akzent Aufmerksamkeit. Es ist die hohe Schule der Improvisation, die Tethered Moon zelebrieren, jederzeit unter Hochspannung und gleichzeitig entspannt im Hier und Jetzt.

SunriseMasabumi Kikuchi, Thomas Morgan, Paul Motian. ECM/Universal. First MeetingTethered Moon. Play Kurt Weill Tethered Moon. Chansons dEdith PiafTethered Moon, alle bei Winter Winter

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