Der lange Weg zur Schlange

Lauschangriff Das Kölner Festival "winter jazz" beweist, dass die Entstehungsbedingungen für improvisierte Musik nirgendwo in Deutschland so günstig sind wie hier

Es war eine laue Winternacht, es war Freitag, und der Eintritt war frei. Vor den Türen des vor 25 Jahren zum Musikklub umgebauten Ausflugscafés im Kölner Stadtgarten standen Schlangen von Menschen. Ein buntes Gemisch: Männer und Frauen, jüngere und ältere Semester, die darauf warteten, in die vollen Räumlichkeiten eingelassen zu werden. Viele mussten lange warten, manche warteten erfolglos, doch die Stimmung war gut. Der Erfolg von „winter jazz köln“, einem Selfmade-Festival, das die Saxofonistin Angelika Niescier nach Vorbild des New Yorker Winter Jazzfest erstmals organisiert hatte, war größer als erhofft.

Dreizehn verschiedene Bands aus der Kölner Szene spielten auf drei Bühnen die Musik, die sie spielen wollten: aktuellen Jazz, in dem streng arrangierte Formen keinen Widerspruch zu radikalen Improvisationshaltungen darstellen, musikalisch polyglott und kompromisslos, gelegentlich elegisch und versonnen, manchmal auch aggressiv oder schrill. Musik aus dem Moment, Musik zur Zeit. Allein aus dem enormen Fundus an Musikern, aus der ungeheuer breiten Palette an verschiedenen Spielhaltungen, die sich im Windschatten der Jazzausbildung an der Musikhochschule in Köln herauskristallisiert haben, stellte Angelika Niescier ein abwechslungsreiches Programm zusammen, das auch noch vieles erahnen ließ.

In selbstbewusster Ignoranz der üblichen Mechanismen des Geschäfts, unter Verzicht auf Stars von außerhalb, ohne Rücksichtnahme auf die Verdauungsprobleme von Restauranthörern oder plüschiges Wohlfühlgeklimper wollte dieses Festival nichts sein als eine Bestandsaufnahme – und ein großes Fest. Alle Probleme, über die man im Zusammenhang mit Jazz in Deutschland sonst klagt – schüttere Nachfrage oder unangemessene Auftrittsbedingungen, Generationenproblem zwischen Jugendwahn auf der Bühne und alterndem Publikum, Männerüberschuss auf und erst recht vor der Bühne – wirkten wie weggewischt, der Stadtgarten war für einen langen Abend: ein offenes Haus mit höchster Anziehungskraft, voll mit improvisierter Musik, lebendig.

Rolls-Royce und Bentley

Es ist kein Zufall, dass eine Unternehmung wie „winter jazz“ ausgerechnet in Köln so gut funktioniert. Während sich im letzten Jahrzehnt alle Scheinwerfer auf das frisch erblühte Musikleben in Berlin richteten, ist Köln in Deutschland noch immer die Stadt mit den günstigsten Entstehungsbedingungen für improvisierte Musik. Seit Kurt Edelhagen 1958 eine Jazzklasse an der Musikhochschule eingerichtet hat, ist nirgendwo die Dichte an gut ausgebildeten Jazzmusikern höher. Vom Lifestylejazz eines Till Brönner bis zur freien Improvisation eines Frank Gratkowski, von der Stringenz der Kölner Saxofon-Mafia bis zum vitalen Puls des Bass-Schlagzeug-Tandem Robert Landfermann/Jonas Burgwinkel, das den derzeitigen Stand der Dinge markiert, zählen Kölner Musiker zu Größen der Szene.

Gleichzeitig sorgt der WDR, als der Rolls-Royce unter den ARD-Anstalten, im Wechselspiel mit dem Deutschlandfunk, dem Bentley, im Hörfunk dafür, dass der regionale Jazz publizistisch ein Thema bleibt. Und schließlich steht der Jazzklub im Stadtgarten selbst für etwas, was die Entwicklung der Szene mitunter hemmt: Selbstorganisation und Kampfkraft. Acht Jahre lang mussten die Musiker, die sich 1978 in der Initiative Jazzhaus Köln zusammen geschlossen hatten, gegen die Mühlen der Kommunalpolitik kämpfen – ehe sie 1986 das heruntergekommene Café im Stadtgarten übernehmen konnten.

Angelika Niescier Quite Simply (Enja Records)

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