Lauschangriff 26/08

Musik Schon äußerlich sperrt sich Das Mollsche Gesetz: Catalogue of Improvisation den Konventionen im Tonträger-Segment Jazz/Improvisierte Musik. Eine ...

Schon äußerlich sperrt sich Das Mollsche Gesetz: Catalogue of Improvisation den Konventionen im Tonträger-Segment Jazz/Improvisierte Musik. Eine aufwendige Kassette im Hochformat, darin ein aufwendiges Booklet, Querformat, alles Äußere in ebenso schmucklosem wie schmückendem Pappkarton, während das Innere sehr hochglänzt - eine gelungene Covergestaltung darf durchaus metaphorisch auf die ästhetischen Haltungen verweisen, die das Eigentliche, die dokumentierte Musik, prägen. Sperrig, schwer einzuordnen, eigen. Kein bisschen anbiedernd, freundlich oder verkaufsfördernd. Dabei gehaltvoll, durchdacht und edel.

Das Mollsche Gesetz? Ein Trio: Trompete, Posaune, Kontrabass, und einige andere Instrumente. Udo Moll, Matthias Muche, Sebastian Gramss, Kölner Szene, vertraut mit Jazz, mit populäreren Formen ohnehin und ausgebildet im klassischen Umfeld, elek­tronische und Kammermusik, Bühnen- und Filmmusik, alle angesehene Improvisatoren in der freien Szene, neugierig, experimentierfreudig. Dokumentiert ist eine Reihe von Konzerten, die das Trio im Lauf des letzten Jahres gab - mit Gästen wie den Vokalistinnen Maria de Alvear oder Sidsel Endresen, dem Pianisten John Tilbury, dem Gitarristen und Klarinettisten Elliott Sharp, dem Organisten Wolfgang Mitterer und den drei Turtable-Artisten vom Institut für Feinmotorik, Marc Matter, Florian Meyer, Daniel van den Eijkel: ein Catalogue of Improvisation eben.

Das Mollsche Gesetz lautet: Eine Minute spielen, eine Minute schweigen. Die Musik wirken lassen und dann die Stille. Damit ist ein weiter dynamischer Rahmen gesteckt, denn stiller als im Schweigen wird Musik nie, und nach oben ist alles möglich, was der Katalog hergibt. Rabiate Verdichtungen vom Fleck weg, steile Crescendi weitab jeder Tonalität, Kakophonien im Geräuschraum, wuchtige Clusterbrocken und so weiter. So schafft man freie Räume für das Eigentliche der Improvisation: für die feinen Abstufungen des Mit-, Neben-, Gegeneinanders, für scharfe Kontraste und weiche Übergänge, für das Girlandenspiel der Alten und die Mehrstimmigkeit der Noch-viel-Älteren, für das Spiel mit den Tönen und den Nicht-mehr-Tönen, mit Geräuschen und mit Gesprochenem, mit Worten, Sätzen, Sinnkomplexen.

Mit den wechselnden Partnern exerziert das Mollsche Gesetz die Möglichkeiten durch. Kreischt in dunklen Tönen in einem urbanen Elektro-Urwald. Platzt mit einzelnen Silben in den Raum, legt zarte Schlieren drumherum, tastet sich in eine Interaktion, tanzt eine Weile auf einem einfachen Ostinato, ruht dann wieder auf einem stoischen Ton, im rasenden Stillstand althergebrachter musikalischer Strukturen. Verteilt Töne wie Farbtupfer im Raum, versenkt sich in eine stille Melodie, kratzt und schabt, wischt und zischt. Und wenn es sein muss für die Klarheit der musikalischen Botschaft, dann ignoriert das Mollsche Gesetz auch das Gesetz von der Minute, nur der Rahmen bleibt: Bewegung, dann Stille, dann wieder Musik.

Der Catalogue of Improvisation hält inne in einem Moment, da die Kunst des Jazz von der Gefahr ihrer Erstarrung bedroht ist. Die historischen Formen sind gesichert, sie werden gepflegt, in Konzerten gespielt, an Musikhochschulen gelehrt. Historisch, aber nicht kritisch, mehr oder weniger notengetreu, aber innerlich hohl, weil den Noten der Prozess ihrer Findung, der Weiterentwicklung der spielerischen Möglichkeiten nicht mehr anhängt: Bildungsgut. Doch Jazz ist Musik, die aus dem Moment ihrer Entstehung lebt, nur lebendig ist, wenn sie eine Brücke schlägt zwischen ihrer handwerklichen Seite, die längst ein extrem hohes Niveau verlangt und dem archaischen Moment, das in der direkten Begegnung von Musikerindividuen steckt. Und den sich mit neuen technologischen Möglichkeiten stets erneuernden Voraussetzungen einer solchen Begegnung. Ein Moment des radikalen Individualismus, der um seine Bedingtheit weiß. Ein klingender Hoffnungsschimmer, oszillierend zwischen Lärm und Stille.

Das Mollsche Gesetz Catalogue of Improvisation. Wergo 80512

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