Die Heilige Johanna der CDU

ANGELA MERKEL Über Karrieren hier wie dort

Wer auch nur einmal den umflorten Blick in ihrem Gesicht beobachtet hat, wird verstehen, weshalb der Dr. Kohl "das Mädchen", wie er sie nannte, so rückhaltlos förderte. Von einer, die so in die Welt schaut und sich so geriert, kann auch der beste Menschenkenner kaum erwarten, dass sie immer bereit sein würde, ihrem Wohltäter das nächstbeste Küchenmesser zwischen die Rippen zu jagen.

Ach, wie die meisten Wessis wusste der Dr. Kohl nicht, dass schon bei den Jungpionieren - und erst recht dann bei der FDJ, der Freien Deutschen Jugend, - diese Tarnmaske und das zugehörige unterwürfige Gehabe eifrig kultiviert wurden, und wer am besten liebedienerte, kam am raschesten nach oben; und wäre die Deutsche Demokratische Republik nicht, unter anderem genau deshalb, so ruhmlos kollabiert, Klein-Angela hätte auch dort eine bemerkenswerte Karriere vor sich gehabt. Nicht, dass in den letzten Tagen der DDR eine geheime Organisation ausgesuchte Leute dieser Art beauftragt hätte, an Schlüsselstellen gesamtdeutscher Ämter und Institutionen aktiv zu werden; nach solch romanhaftem Muster geht es in der Weltgeschichte nicht zu; aber es gibt im Leben, und besonders im politischen, menschliche Affinitäten, welche passende Teilchen veranlassen, einander anzuziehen und sich am Ende zu vereinen: eine Art physikalischer Vorgang, in dessen Verlauf eine FDJ-Sekretärin an einer DDR-Universität sich zur Generalsekretärin einer großen christlichen Partei der neuen Bundesrepublik mit entsprechenden Ehrgeizen und Machtvollkommenheiten wandeln kann.

Und wie perfekt sie anzuwenden weiß, was sie einmal gelernt hat! Wem, wenn nicht einer ehemaligen FDJlerin, würde das Phänomen Pubertät im Zusammenhang mit einem "alten Schlachtross", als welches sie den Dr. Kohl bezeichnet, in den Kopf kommen! So aber erfahren Deutschlands Christdemokraten aus ihrem berufenen Munde, dass es Zeit wäre, die alten pubertären Anhänglichkeiten abzustreifen und zu der menschlichen und moralischen Reife zu gelangen, für die Klein-Angela so vorbildhaft steht - und im übrigen wisse die Generalsekretärin natürlich nichts vom Finanzgebaren ihres obersten Chefs.

Dafür aber zeigt diese heilige Johanna der CDU einen respektablen Instinkt für den richtigen Zeitpunkt von Finten, Retraiten und Richtungsveränderungen. Blick und Miene verdecken die Wendigkeit ihrer Gedanken, die leichtfüßig dahergetrappelt kommen wie jene Nager, die beim geringsten Glucksen im Laderaum schon in Scharen zum Deck hinauf streben, um das sinkende Schiff noch rechtzeitig zu verlassen. Hier zeigt sich, wie allgemein bemerkt wird, eine neue politische Generation; ob eine bessere, wird sich weisen; eine listigere jedenfalls, wie schon ihre Entstehungsgeschichte vermuten lässt. Die Erfolge des Dr. Kohl haben eben aus dem Osten nicht nur die Braven und Lieben und Geduldigen in den großen Topf der deutschen Einheit gespült, sondern auch die mit den eigenen, nicht immer edlen Zielen - und da quirlen sie nun herum.

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