Die Mitleidsmafia

Wohlfahrt Der Krieg um das Geld: Mit welchen Methoden ­Spendenorganisationen gutgläubige Helfer abkassieren

Dieser Tage bekommen die Sortierer bei der Post viel zu tun. Und unser Gewissen auch. Es ist November. Und der läutet die Zeit der Bettelbriefe ein. Zehntausendfach verschicken in diesen Wochen Spendensammler Schreiben, die große Worten enthalten und Fotos mit noch größeren Kinderaugen. In den Briefen geht es um die Not der Welt, das Leid von Einzelnen, es geht um Tiere, Kranke, Kinder oder um Kombinationen dieser drei Gruppen, kranke Kinder beispielsweise. Gegen die nämlich kann sich unser Gewissen am schlechtesten wehren, die bringen am meisten Geld.

Man kann nicht behaupten, dass die Deutschen ein unsolidarisches Volk seien. Es gibt 500.000 von Finanzämtern als gemeinnützig anerkannte Vereine und Organisationen. Fast fünf Milliarden Euro geben die Deutschen laut Deutschem Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) pro Jahr für wohltätige Zwecke.

Wie viel von dem Geld aber wirklich bei den Bedürftigen ankommt, ist alles andere als gewiss. Darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen. In den vergangenen Jahren hat Deutschland immer wieder von schwarzen Schafen der Wohltätigkeitsbranche gehört und gelesen. Die Maserati-Affäre der Berliner Treberhilfe ging wochenlang durch die Zeitungen, nachdem der 400-PS- Dienstwagen des Chefs in einer Radarfalle geblitzt wurde. Selbst der deutsche Ableger des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, UNICEF, hatte seinen Spendenskandal und damit bewiesen, dass selbst Größe und ein bekannter Name kein Garant für vorbildliches Handeln sind.

Wer sich die deutsche Spendenlandschaft etwas genauer ansieht, erkennt, dass es sich leider nicht um einzelne schwarze Schafe handelt, sondern um ganze Herden. Die Akquise von Spenden ist zu einem Geschäft geworden, das selbst kleine Vereine zwingt, so effizient zu sammeln, dass sie kaum mehr ohne professionelle Hilfe auszukommen glauben. Doch die Erfolge der Professionalisierung hat nicht wenige auch darauf gebracht, dass sich mit dem Leid anderer schnell Geld verdienen lässt.

Seriöse Vereine geben den Großteil des Geldes wirklich für Bedürftige aus und nicht für gut bezahlte Sammelprofis, die neudeutsch Fundraiser heißen. Aus Sicht eines Spenders, der sein Geld im Sinne der guten Sache verwendet wissen will, gilt es mehr denn je, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist nicht einfach, denn auf dem Markt für Mitleid ist ein Ungleichgewicht entstanden zwischen denen, die sich auf echte Hilfe konzentrieren und denen, für die Marketing an erster Stelle steht. Einige Beispiele:

Die Sammeldose auf der Straße

Erst kürzlich wurde in Lüneburg ein Mann vom Landgericht zu einer Gefängnisstrafe wegen Spendenbetrugs verurteilt. Er ließ im großen Stil ganze Truppen für sich arbeiten und brachte krebskranke Kinder um die ihnen gespendeten Gelder. Sein Bruder ist ebenfalls wegen Spendenbetruges vorbestraft. Ehemalige Spendensammler sprechen von einem ganzen Konglomerat von Vereinen, mit denen Millionen kassiert wurden. Flog einer der Vereine auf, dann ging es gleich mit dem Nächsten weiter. Den professionellen Sammlern auf der Straße war das egal, sie waren vor allem auf hohe Provisionen aus. Sie mussten nur den Namen ändern. Den Sammelzweck, die krebskranken Kinder, denen eigentlich geholfen werden sollte, ließen sie meist bestehen. Dafür geben angesprochene Passanten erfahrungsgemäß am meisten Geld.

Mitgliedschaften und Dauerspenden

Hier ist zwar der Schulungsaufwand für professionelle Standmitarbeiter etwas höher, der Ertrag dafür aber noch lukrativer. Fast alle Fundraiser an Informationsständen in Fußgängerzonen oder vor Einkaufszentren arbeiten auf Provisionsbasis. Vom ersten Jahresumsatz bleibt für den guten Zweck meist fast nichts übrig. Und auch in den Folgejahren fließen üblicherweise weitere Provisionen an den Werber, die zu Lasten der eigentlich gewollten guten Taten gehen. Der Spender bekommt von all dem in der Regel nichts mit.

Telefonakquise

Die gut geschulten Verkäufer, die sich neudeutsch lieber Call-Center-Agenten nennen, wollen sich nur ein mündliches Ja abholen. Natürlich beginnen sie das Gespräch nicht gleich mit der Frage, ob die oder der Angerufene einem Verein beitreten will. Die Angerufenen werden zum Beispiel mit einem Tipp für ihr Haustier versorgt oder allgemein zu ihrer Meinung über ein spezielles Thema befragt. Da der Datenschutz ein riesiges Loch aufweist, wenn es um gemeinnützige Organisationen geht, wissen die Akquisiteure häufig bestens über ihr potenzielles Opfer Bescheid und können leicht Vertrauen gewinnen. Für kleines Geld kann man inoffiziell persönliche Daten über Fördermitglieder anderer Vereine erwerben und weiß schnell von der persönlichen Einstellung über Geburtsdatum bis zur Kontonummer fast alles. Offiziell gibt es etwas weniger Daten zu kaufen. Die Bundesregierung antwortete im Rahmen einer Kleinen Anfrage im Bundestag durch Bündnis 90/Die Grünen unumwunden, es bestehe ein weitgehend gelockerter Datenschutz bezüglich Name, Adresse, Beruf und Geburtsjahr einer Person, sofern „die Verarbeitung oder Nutzung erforderlich ist für Zwecke der Werbung von Spenden“.

Bettelbriefe

Wegen der laschen Regeln im Datenschutz werden im Jahr auch Tausende von Bäumen gefällt, weil zig Millionen Bettelbriefe bei der Post aufgegeben werden. Allein der IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds verschickt rund drei Millionen pro Jahr. Nicht weiter verwunderlich, dass die Spenden nicht nur für schützenswerte Robben aufgewandt werden, sondern in erheblichem Umfang in Erstellung und Versand der Spendenaufrufe gehen. Das zeigt ein Blick in den Wirtschaftsprüferbericht für das Unternehmen zum Jahresabschluss 2009/2010. Oder ein anderer Fall: Der Allgemeine Tierhilfsdienst aus Ahlum hat mit einer Fundraisingfirma einen Vertrag geschlossen, um Millionen Bettelbriefe verschicken zu lassen. Der Inhalt dieser Vereinbarung wurde erst bekannt, als dem Tierhilfsdienst das Spendensammeln in Rheinland-Pfalz verboten wurde, wogegen sich der Verein gerichtlich wehrte.

Ungehörte Warnungen

Ausgesprochen hatte das Verbot die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), eine Behörde, die in den deutschen Bundesländern – bisher – leider einmalig ist. Im Prozess stellte sich heraus, dass der Marketingplan Spendeneinnahmen in Höhe von sieben Millionen Euro vorsah. Und wieviel sollten nun davon die Tiere abbekommen? Genau 1.825,35 Euro. Das ist kein Druckfehler! 99,9 Prozent der Spenden sollten laut Plan die Fundraiser kassieren. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz stellte fest, dass „die angesichts der an die Agentur zu zahlenden Abschlagszahlungen von 90 Prozent des Geldeingangs in einem krassen Missverhältnis zum Reinertrag stehen und keine zweckentsprechende Verwendung erkennen lassen“.

Solch klare Worte von Richtern kommen aber bei den Spendern selten an. Intransparenz ist in Spenden-Deutschland ein weitverbreitetes Phänomen. Burkhard Wilke vom DZI, das das deutsche Spendensiegel für seriöse Organisationen vergibt, mahnt: „Vorsicht ist bei Scheintransparenz geboten: Dem DZI begegnen zum Beispiel immer mehr Jahresberichte, in denen zwar Einnahmen und Ausgaben beziffert werden, dabei aber Werbekosten als angebliche satzungsgemäße Öffentlichkeitsarbeit deklariert und so in den Projektausgaben versteckt werden.“

Infostände statt Hilfe

Vor allem im Tierschutz wäre eine Verpflichtung zu mehr Offenheit sehr hilfreich. Dort tummeln sich so viele schwarze Schafe, dass es kaum möglich ist zu sagen, wer hier überhaupt seriös arbeitet. Die Aktion Tier – Menschen für Tiere e. V. zum Beispiel als einer der Größten in diesem Segment könnte viel mehr direkte Hilfe für Tiere leisten. Stattdessen kassierten zwei mit dem Vorstandsvorsitzenden schon sehr lange bekannte Männer die Hälfte der Einnahmen für Infostände. Von zwölf Millionen waren das rund sechs Millionen Euro. Weitere Verwaltungs- und Werbekosten belasteten den Anteil der für den direkten Tierschutz zur Verfügung stehenden Mittel weiter. Das zeigen Unterlagen, die von einem ehemaligen Insider zur Verfügung gestellt wurden. Wie viele der rund 200.000 zahlenden Unterstützer werden davon wohl in dieser Deutlichkeit wissen? Schließlich dürfen sie als Mitglieder nicht den Vorstand wählen. Auch viele weitere Mitgliederrechte übt nur eine sogenannte Delegiertenversammlung aus.

Auch der ETN Europäischer Tier- und Naturschutz e. V. entzieht den Mitgliedern auf diesem Wege direkte Mitspracherechte. Wie dort die Wahl von Delegierten abläuft, zeigt ein Fax des Ehrenpräsidenten Heinz Wiescher an den Geschäftsleiter Götz Bukenberger: „Aufstellung der zu wählenden Mitglieder.“ Das betraf die Delegierten sowie die Aufsichtsräte des ETN. Ein solch bestimmendes Vorgehen ist verständlich, angesichts eines Vereinsvermögens von rund elf Millionen Euro Ende 2009 und eines Jahresetats in Millionenhöhe. Ob es allerdings im Interesse der Spender und Mitglieder ist, darf bezweifelt werden.

Ein anderes Beispiel ist der BdT – Bund deutscher Tierfreunde. Die ADD aus Trier hat ihm in Rheinland-Pfalz das Sammeln von Spenden untersagt. Dagegen zogen die „Tierschützer“ vor Gericht und unterlagen im vergangenen Jahr beim Verwaltungsgericht Trier. In der Verhandlung wurden allerdings sehr interessante Details öffentlich, die die Behörde gegen den Verein ermittelt hatte. Zum Beispiel ging es um die Frage der Zuordnung von Kosten, etwa ob diese wirklich dem satzungsgemäßen Tierschutzauftrag zuzuordnen sind. Die Richter stellten dabei fest: „Die derzeitige Kon­struktion ermöglicht es förmlich, willkürlich-zweckwidrige oder gar missbräuchliche Verschiebungen zwischen den in Rede stehenden Ausgabenpositionen vorzunehmen und hierdurch in umgekehrter Richtung die Zweckerfüllungsquote des Klägers [Anm. d. Red.: BdT] in durchaus erheblichem Umfang zu bestimmen und damit zu manipulieren.“

Promis für den Profit

Mutter Theresa, Mahatma Gandhi, Sir Peter Ustinov und Katarina Witt haben eines gemeinsam: Für alle gibt es gemeinnützige Organisationen, die den Namen prominenter Aushängeschilder tragen. Aber leider gibt es noch eine Gemeinsamkeit: Spenden allein wegen solcher Namenszusätze sind nicht empfehlenswert. Die meisten Spender vertrauen kontrolllos darauf, dass ihr Geld, wie versprochen, Betroffenen zugute kommt. Dabei sind deutsche Vereine ebenso wie Stiftungen nicht verpflichtet, über die Verwendung ihrer Spenden öffentlich Auskunft zu geben. Und das, obwohl ihnen die Allgemeinheit über steuerliche Privilegien enorme Subventionen gewährt. Vereinsrecht ist in Deutschland ein stiefmütterlich behandeltes Thema. In zwölf der 16 Bundesländer wurden in den vergangenen Jahren sogar bestehende Sammlungsgesetze abgeschafft. Die pauschale Begründung: „Bürokratieabbau“.

Auch wenn eine Organisation auf ihre vom Finanzamt bestätigte Gemeinnützigkeit verweist, ist Misstrauen angebracht, wie Burkhard Wilke vom Spenden-TÜV sagt: „Es zeigt immerhin, dass sie einer gewissen regelmäßigen Überprüfung durch die Finanzbehörde unterliegt und dass Spenden an sie steuerlich abzugsfähig sind. Die staatliche Gemeinnützigkeit darf jedoch nicht als umfassendes Gütesiegel verstanden werden. Denn viele für Spenderinnen und Spender wichtige Kriterien werden vom Finanzamt gar nicht überprüft wie zum Beispiel seriöse Werbemethoden, funktionierende Aufsichtsstrukturen, allgemeine Transparenz oder wirksame Mittelverwendung. Auch die gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen an eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung, die in aller Regel nur bedeuten, dass mehr als die Hälfte der Einnahmen den Satzungszwecken unmittelbar zugutekommen, wird vielen Spenderinnen und Spendern nicht streng genug sein.“

Wie ungenügend die Gemeinnützigkeitsprüfung ist, zeigt ein Fall, der den Namen des indischen Widerstandskämpfers Mahatma Gandhi trägt. Der Gandhi Hunger Fonds e. V. verschickte 2009 fast 400.000 Briefe, 35.000 Postwurfsendungen und vieles mehr, um für Kinder in Afrika zu sammeln: „Weltweite Lebensmittelkrise: In Kenia verhungern Kinder vor den Toren unseres Waisenhauses“ ist schon außen auf Briefumschlägen zu lesen. Der Vereinsvorstand Arun Gandhi, ein Enkel von Mahatma Gandhi, wolle nicht ruhen, bis kein Kind auf dieser Welt mehr Hunger leiden muss. Ein schöner Vorsatz, für den ihm Spender 2009 immerhin 337.000 Euro anvertraut haben. Doch laut Tätigkeitsbericht 2008/2009 hat er mit keinem Euro von diesen Spenden Nahrungsmittel gekauft.

Pfälzer leben sicherer

Verlassen können sich Spender immerhin auf die ADD in Trier – allerdings wird die nur für das Bundesland Rheinland-Pfalz aktiv. Kontrolleur Sven Brauers beschreibt seine Arbeit ganz nüchtern: „Aufgabe der Sammlungsbehörden ist es, karitative Sammlungen zu überwachen und zu genehmigen.“ Die Behörde prüft, ob Sammlungen ordnungsgemäß durchgeführt werden und ob der Sammlungsertrag auch dem beworbenen Zweck zugutekommt. Auch wenn das nüchtern klingt, schützt es doch vier Millionen Pfälzer vor den schlimmsten Spendenabzockern. Die Summe der außerhalb von Rheinland-Pfalz von den Abzock-Vereinen gesammelten Beträge liegt bei einem hohen zweistelligen Millionenbetrag. Dieser enorme Betrag ergibt sich bereits, wenn die Jahresumsätze der größten Fälle aufsummiert werden.

Das Spendensiegel vom DZI wiederum ist zwar eine gute Einrichtung, allerdings mit gewissen Schwächen verbunden. So ist zum Beispiel anhand des Siegels nicht erkennbar, ob die ausgezeichnete Organisation sehr gut, gut oder nur befriedigend arbeitet. Ein ungenügend ist allerdings ausgeschlossen. Außerdem gibt es gerade kleinere Organisationen, die aufgrund der Kosten für das Spendensiegel auf einen Antrag verzichten.

So wäre längst die Politik gefordert, endlich Transparenzvorschriften für gemeinnützige Organisationen zu verabschieden. Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen sagt: „Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für die Weiterentwicklung des Spendenmarktes. Deshalb fordern wir ein zentrales Register mit weitgehenden Veröffentlichungspflichten.“ Das würde vor allem denen helfen, die wirklich wohltätig arbeiten und dann wieder etwas mehr vom Spendenkuchen abbekämen.

Stefan Loipfinger ist freier Wirtschaftsjournalist und Gründer von

charitywatch.de

. Sein Buch Die Spenden-Mafia. Schmutzige Geschäfte mit unserem Mitleid ist eben bei Knaur erschienen. Unter

spendenpetition.de

kann sich jeder bei einer Petition eintragen, die von der Politik eine gesetzlich vorgeschriebene Transparenz im Spendenbereich fordert

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