Höhere Mathematik

Expertin Sahra Wagenknecht hat ihre Dissertation publiziert. Thema ist das Verhältnis von Einkommen und Sparverhalten. Ein Gutachten
Ausgabe 46/2013
Hat eine sprachlich hervorragende Arbeit abgeliefert: Sahra Wagenknecht
Hat eine sprachlich hervorragende Arbeit abgeliefert: Sahra Wagenknecht

Foto: picture alliance / dpa

Die Doktorarbeit von Sahra Wagenknecht umfasst 327 Seiten, 312 Quellen, 54 Diagramme und über 200 mathematische Formeln. Vollständig in englischer Sprache verfasst, trägt sie den Titel The Limits of Choice. Saving Decisions and Basic Needs in Developed Countries. Wagenknecht hat diese Arbeit an der Technischen Universität Chemnitz unter der Betreuung von Prof. Fritz Helmedag verfasst und wurde am 30.10.2012 mit der Note magna cum laude zum Dr. rer. pol. promoviert. Um den Doktortitel öffentlich tragen zu können, wird die Doktorarbeit dieser Tage im Campus-Verlag veröffentlicht.

Wagenknecht geht darin der Frage nach, wie die Relation zwischen verfügbarem Einkommen und Sparverhalten der Menschen mathematisch dargestellt respektive prognostiziert werden kann. Sie erörtert die Tauglichkeit gängiger Erklärungsversuche, wie etwa das LCPIH-Modell. Hier wird davon ausgegangen, dass Haushalte ihr Konsum- und Sparverhalten langfristig so optimieren, dass Sparbemühungen immer nur dazu dienen, zukünftigen Konsum zu ermöglichen. Oft wird beispielsweise Geld gespart, um im Falle einer plötzlich eintretenden vorübergehenden Arbeitslosigkeit den jetzigen Lebensstandard möglichst aufrechterhalten zu können.

Die Vorhersagen des LCPIH-Modells verändern sich dramatisch, wenn man anstatt des Verhältnisses zwischen Einkommen und Sparrate die Relation zwischen dem Einkommen abzüglich des Existenzminimums und der Sparrate nimmt und davon ausgeht, dass die Bereitschaft zum Konsum zunimmt, je deutlicher das verfügbare Einkommen über dem Existenzminimum liegt. Dann wirken sich politische Initiativen, die das Einkommen der Menschen zumindest zeitweise deutlich über das Existenzminimum heben, auch stimulierend auf den Konsum aus. Aber selbst wenn man die gängigen Modelle modifiziert, sind sie nicht in der Lage, die großen Unterschiede im Sparverhalten zwischen den Gering- und Vielverdienern zu erklären. Während Geringverdiener traditionell nahezu nichts sparen können, ist es den Vielverdienern möglich, viel zu sparen. Keines der gängigen Modelle bildet diese Kluft zuverlässig ab. Trotz der deutlichen politischen Implikationen des Themas rückt die Verfasserin politische Motive in den Hintergrund: „It is not a concern of this book to scrutinise policy implications, but they should at least be mentioned.“ Nachdem Wagenknecht Stärken und Schwächen und in Summe die weitgehende Unbrauchbarkeit bestehender Theorien wie des LCPIH und des Buffer-Stock-Modells herausgearbeitet hat, kommt sie zum Kern ihrer Arbeit.

Hier schlägt sie eine einfache Faustregel vor, mit der sich Sparentscheidungen abbilden lassen sollen. Mathematisch ausgedrückt sieht Wagenknechts einfache Faustregel so aus:

http://imageshack.com/a/img31/8924/ckpm.png

Hierbei stellt Yj(t) das nominelle Einkommen des Verbrauchers dar. C*(t) ist die Summe der lebensnotwendigen Güter zu ihrem gegenwärtigen Preis. α1(t) stellt die Bereitschaft dar, etwas vom frei verfügbaren Einkommen zu sparen. α2(t) stellt die Neigung dar, Ersparnisse aufzubrauchen aufgrund einer etwaigen Differenz zwischen den Grundbedürfnissen und dem verfügbaren Einkommen.

An dieser Stelle möchte ich die fachliche Beurteilung von Wagenknechts Ergebnissen denjenigen überlassen, die mit der Materie besser vertraut sind. Es fällt allerdings auf, dass ihre eigene Hypothese, die sie selbst als „oversimplified” bezeichnet, im Vergleich zu den von ihr angeführten Konzepten von weltberühmten Ökonomen von Dixit bis Stiglitz selbst für Laien relativ gut nachvollziehbar und verständlich ist. Gegen Verständlichkeit ist grundsätzlich nichts zu sagen. Fraglich ist aber, ob Wagenknechts einfache Faustregel die Volkswirtschaftslehre entscheidend weiterbringt in dem Versuch, das Sparverhalten der Menschen zu erforschen. Das müssen aber wie gesagt andere entscheiden.

Bleibt mir nur festzuhalten, dass die sprachliche Darstellung der Arbeit hervorragend ist. Nicht zuletzt dafür, dass sie auf Englisch verfasst ist, gebührt der Autorin größter Respekt. Die Arbeit ist durchaus fehlerarm, aber eben nicht frei von Druckfehlern. So lesen wir auf Seite 145: „The traditional Keynesian macroeconomic approach has often been accused for a lack of explanatory power.” Das Verb accuse mit der Präposition for? Webster‘s Unabridged Dictionary kennt nur accuse of. Das ist selbstverständlich kein Weltuntergang, es passt aber irgendwie in das Gesamtbild dieser Veröffentlichung: Eine Person des öffentlichen Lebens hat mit größter Akribie neben ihrer beruflichen Tätigkeit eine fundierte Arbeit in einer Fremdsprache verfasst, die in den entsprechenden Expertenkreisen sicherlich für Aufsehen sorgen wird, und was macht der Campus-Verlag? Veröffentlicht diese Doktorarbeit völlig sang- und klanglos (beinahe schon heimlich!) in einer schmucklosen Paperback-Auflage und gönnt dem Projekt nicht einmal ein perfektes Lektorat. Das ist nicht nachvollziehbar.

So kann man nur hoffen, dass diese Arbeit trotzdem eine interessierte Leserschaft erreicht und ihr die Aufmerksamkeit zuteil wird, die sie verdient. Und noch etwas: Wenn man dieser Tage die Doktorarbeit eines prominenten deutschen Politikers rezensiert, kommt man leider nicht umhin, die böse P-Frage zu stellen. Im Fall von Sahra Wagenknechts Dissertation kann ich allerdings zumindest partiell Entwarnung geben. Bei der Eingabe von

http://imageshack.com/a/img31/8924/ckpm.png

bleibt Google stumm.

The Limits of Choice: Saving Decisions and Basic Needs in Developed Countries
Sahra Wagenknecht Campus 2013, 327 S., 39,90 €

Stefan Mönke studiert an der Fachhochschule für Finanzen des Landes Brandenburg in Königs Wusterhausen

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