Medien Oliver Polak wirft in seinem Buch einem Moderator antisemitisches Verhalten vor. Sein Verlag will es nicht drucken. Dass es um Jan Böhmermann geht, verschweigen alle
Will sich lieber nicht zu Jan Böhmermann äußern: Oliver Polak
Fotos: Sven Simon/Imago, Andreas Rentz/Getty Images; Montage: der Freitag
Der Komiker Oliver Polak hat ein Buch geschrieben, das genauso unverbrämt unlustig ist wie sein Titel: Gegen Judenhass. Es besteht im Wesentlichen aus einer langen Folge kurzer Schilderungen dessen, was Polak in seinem Leben als Jude in Deutschland erlebt hat. Wie er sich immer wieder anhören muss, dass die Juden reich sind, dass sie die Welt beherrschen. Wie ein Zuschauer in einem Comedy-Club nach einem Auftritt den Witz macht, ihn zu fragen, warum er noch nicht weg sei: „Der letzte Zug nach Auschwitz fährt doch gleich noch.“ Wie er in der fünften Klasse von Mitschülern über den Schulhof gejagt wird, die dabei rufen: „Hast du ihn berührt?“ – „Ihhh, du hast Juden-Aids.“
Eine der vielen Geschichten ist nicht wie die
n ist nicht wie die anderen. Eine der Geschichten hat dafür gesorgt, dass sein Buch nicht im Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) erscheinen konnte wie seine anderen Bücher. Wegen einer der Geschichten musste er sich von dessen Chef öffentlich vorwerfen lassen, „unseriöse Spielereien“ mit dem Thema Antisemitismus zu betreiben und Vorwürfe gegen einen anderen Autor des Hauses zu erheben, die so absurd seien, dass man ihnen nicht einmal nachgehen müsse.Die Geschichte handelt von Jan Böhmermann.Oliver Polak beschreibt, wie er nach einem Stand-up-Auftritt einmal „ironisch“ von drei Kollegen von der Bühne gejagt wurde. Während er abging, spielten die anderen, wie sie sich vor ihm ekelten. Einer holte ein offenbar zu diesem Zweck hinter einem Sofa platziertes Desinfektionsmittel hervor und fragte die anderen: „Habt ihr ihm die Hand gegeben?“ Dann besprühte er ihre Hände, um sie zu desinfizieren.Polak nennt keine Namen. Aber sie sind nicht schwer herauszufinden. Die Szene spielt 2010, bei der Show zum 25. Bühnenjubiläum von Serdar Somuncu. Moderiert wird sie von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf. Diese drei sind es auch, die den Judenwitz auf der Bühne spielen; Böhmermann ist der Mann mit dem Desinfektionsspray.Nur Haftbefehl wird geoutetIm Interview mit der Welt am Sonntag nannte KiWi-Verleger Helge Malchow die Passage „eine absolut gegenstandslose Unterstellung“. Der Name Böhmermann fällt auch in diesem Gespräch nicht, aber Malchow muss ihn meinen, wenn er hinzufügt: „Wenn man diesen Autor und seine Arbeit kennt, dann weiß man, dass dieser Autor nicht in Zusammenhang mit Antisemitismus zu bringen ist.“Hat Polak sich die Szene nur ausgedacht? Oder falsch wiedergegeben?Es ist verblüffend leicht, das zu überprüfen, denn es gibt ein Video davon. Es ist Teil der Doppel-DVD Der Hassprediger: Hardcore Live! von Somuncu.Wenn man sich die Show ansieht, kann man erahnen, wie die Moderatoren auf die Idee kamen, dass es lustig sein könnte, ein paar Judenwitze zu machen. Größere Teile der Moderation, mit der der in Istanbul geborene Gastgeber gefeiert werden soll, bestehen aus plumpen Türkenwitzen. Sie können in diesem Zusammenhang überhaupt nur gemacht werden, weil sich alle Beteiligten unausgesprochen einig sind, dass man sie nicht so meint; dass man in Wahrheit keine Türkenwitze macht, sondern Witze über Leute, die Türkenwitze machen. Es ist ein Vorwand und eine Entschuldigung, Türkenwitze zu machen.Dann kommt Oliver Polak, der seine traumatischen Erfahrungen als Jude in der emsländischen Provinz nicht nur in Büchern, sondern auch in seiner Comedy sehr offensiv verarbeitet hat. Ich darf das, ich bin Jude heißt eines seiner Programme.Böhmermann, Heufer-Umlauf und Somuncu scheinen dieses Motto – wie offenbar viele andere auch – im Geiste um den Satz zu ergänzen: „Wenn der darf, dürfen wir das auch.“ Anmoderiert wird Polak an diesem Abend von Böhmermann mit den Worten: „Apropos Türken – hier kommt ein Jude.“ Während seines Auftritts ruft Somuncu einmal rein: „Juden schinden immer Zeit, damit sie hinterher Forderungen stellen können.“ Zum Abschluss folgt die Szene mit dem Desinfektionsmittel.Wie ist sie zu verstehen? Polak fragt das in seinem Buch: Waren seine eigenen Witze über den ungelenken Umgang der Deutschen mit dem Holocaust „für den Moderator die Legitimation für seinen Witz mit dem Desinfektionsspray? Sollte das Ironie sein? Wem genau galt sie? Imitierte er mit seiner Geste einen Antisemiten, oder sprach einer aus ihm? Fakt ist: Sein Gag war keiner, denn er hatte keine Pointe. Er bildete lediglich den Antisemitismus des Dritten Reiches ab.“Man könnte darüber streiten, ob Polak recht hat, insbesondere in diesem Rahmen, aber zu dieser Diskussion kommt es nicht. Der KiWi-Verlag verhindert sie, indem er die Vorwürfe des jüdischen Komikers für absurd erklärt und nicht drucken will. Jan Böhmermann entzieht sich ihr: Mehrfache Bitten um ein Gespräch für diesen Artikel ignoriert er. Und die Journalisten machen es ihm leicht, indem sie seinen Namen und die der anderen Beteiligten nicht nennen.„Alles gesagt“Polaks Buch hat große mediale Aufmerksamkeit bekommen, aber die Identität des Moderators wird nirgends verraten. Auch in einem Gespräch in der Welt am Sonntag, in dem es ausführlich um die geschilderte Situation geht, fällt er nicht. Zwar nennt Polak selbst grundsätzlich keine Namen – auch nicht den des Freitag-Verlegers Jakob Augstein, der ebenfalls im Buch vorkommt. Aber dass auch Journalisten in ihren vielen Berichten Böhmermann nicht für das Publikum identifizieren, ist erstaunlich: angesichts der Prominenz, die der ZDF-Komiker erreicht hat, des Aufsehens, das er immer wieder erregt, und der Debatten, die er immer wieder auslöst, auch über Satire und ihre Grenzen. Ein langer Spiegel-Artikel outet zwar den Rapper Haftbefehl als einen der Protagonisten des Buchs, belässt Böhmermann aber im Schutz der Anonymität.Dabei hat Polak noch mehr Geschichten über ihn zu erzählen. Zum Beispiel die, die man im Bonusprogramm von Somuncus DVD sehen kann: Während sich Heufer-Umlauf und Polak am Rande der Proben für die Show unterhalten, stellt sich hinten Böhmermann ins Bild, zeigt auf Polak und flüstert immer wieder das Wort „Jude“. „Krank, so richtig besessen“, beschreibt Polak das im Gespräch mit der Welt am Sonntag. „Als ob diese Person etwas am Laufen hat mit diesem Machtgefälle, das Deutsche manchmal unbewusst anzapfen.“Oder die Geschichte von einem Besuch in Böhmermanns ZDF-Show Neo Magazin Royale 2015. Angekündigt wurde er vorab mit den Worten: „Nächste Woche kommt Oliver Polak, weil der Mossad das will.“ Zu seinem Auftritt singt der Rapper Dendemann unter Bezug auf den Holocaust: „Ein Leben lang ham wir ein Scheißgewissen / Und auf der ganzen Welt ham wir verschissen. / Vielleicht ham wir uns echt zu schlecht benommen, / Doch Oliver Polak lässt uns nicht verkommen.“ Ein Einspielfilm nennt ihn in immer neuen Varianten einen Juden.Als er im Vorgespräch gegen diese Fixierung protestiert habe, schreibt Polak in seinem Buch, habe der Moderator nur gelacht: „Sorry, aber dein Judentum ist dein Unique Selling Point, da musste jetzt durch.“Das klingt brutal, ist aber natürlich nicht ganz falsch. Gerade durch die Art, wie Polak sein Jüdischsein thematisiert hat, sorgte er für Furore. Polak erwidert in seinem Buch: „Meine Auseinandersetzung mit dem Judentum und meiner kulturellen Herkunft ist keine strategisch getroffene Marketingentscheidung. Es geht um mein Leben, und das etlicher Juden in Deutschland.“ Er klagt, dass er sich von dem Punkt „kein bisschen wegentwickeln“ dürfe.Für Oliver Polak war es anfangs eine Befreiung, sein Jüdischsein zum Thema gemacht zu haben. Aber am Ende scheinen die Machtverhältnisse eindeutig: Nicht er selbst bestimmt, wie lange er auf den Juden reduziert wird, das tun die anderen. Und andere bestimmen auch, wer über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben ist und sich deshalb nichts von dem Juden vorwerfen lassen muss. Auf die Frage, warum er Polaks Vorwürfe über Böhmermann in der Welt am Sonntag als „absolut gegenstandslose Unterstellung“ bezeichnet hat, obwohl sie dokumentiert sind, teilt KiWi-Chef Helge Malchow mit, er habe seinem Interview nichts hinzuzufügen: „Von unserer Seite aus ist damit alles gesagt.“Polak und sein neuer Verlag Suhrkamp wollten sich nicht zu Böhmermann äußern.Placeholder authorbio-1