Puerto Rico sieht aus wie jedes andere Kaff an der ecuadorianischen Pazifikküste, wenn die Regenzeit beginnt. Auf der Straße suchen ein paar Hühner und Schweine im Matsch nach Futter, daneben dösen Hunde. Ein Selectivo-Bus, mit dem man für ein Dollar fast hundert Kilometer fahren kann, zieht eine dunkelgraue Schwade Dieselruß hinter sich her. Ein paar Mädchen steigen ein, wie alle Schüler Ecuadors in akkuraten Uniformen mit blütenweißen Hemden, unberührt von dem allgegenwärtigen Schmutz.
Doch Puerto Rico ist anders als die meisten Dörfer hier - ein Verdienst vor allem des Philosophie-Professors Marcello Vinueza-Rojas aus Quito, der gerade nicht da ist, weil er in Madrid einen Preis für Öko-Tourismus entgegen nimmt. Ein Preis für das Alandaluz, ein Ökohotel, das er vor zwölf Jahren mit einigen anderen aufzubauen begann. Die Idee war einfach und schien vielen zu entlegen: nämlich mit Bambus statt Beton und Holz zu bauen. Bambus wächst schnell nach, und man braucht keine tropischen Edelhölzer.
"Die Leute in Puerto Rico waren anfangs misstrauisch", meint Victor Villamar Pisco, Angestellter im Alandaluz. "Dass ein Professor wie ihre Vorfahren mit Bambus und nicht wie jedermann mit Beton und Wellblech bauen wollte, hielten sie für irrsinnig." Auch die Banken hielten das Ganze für abseitige Intellektuellen-Spinnerei - Kredite gab es nicht.
Öko-Hotel "Alandaluz" - Arbeitsplätze dank Nachhaltigkeit
Heute ist das Alandaluz das ökologische Renommierprojekt an der Küste. In einem großzügigen Terrain direkt hinter einem weißen Sandstrand fügen sich zwei Dutzend Cabañas harmonisch in die Landschaft - umgeben von einem Park mit kleinen Brücken und Springbrunnen, in dem verschiedene Palmenarten, Lorbeer-, Limonen- und Papaya-Bäume wachsen. Das Eingangsportal erinnert von Ferne an Hundertwasser, die zentrale, dreistöckige Halle des Hotels ist zum Land und zum Meer hin offen und mit einer Bambuskonstruktion überdacht. So viel Stein und Holz wie nötig, so viel Bambus und Palmenwedel wie möglich, heißt die Devise. Das Abwasser wird dreifach gereinigt und dann zur Bewässerung der Pflanzen benutzt, neuerdings gibt es auch Sonnenkollektoren.
"Wir zeigen, das Alternative ist produktiv - Ökologie ist rentabel", sagt Victor Pisco. Das Alandaluz, das viel von NGOs genutzt wird, ist mehr als ein Hotel, in dem Touristen ohne schlechtes Gewissen Spaß haben können. Dazu gehört eine mehrere Hundert Hektar große Farm: 40.000 heimische Bäume hat man gepflanzt, von dort kommen pestizidfrei angebaute Zutaten für das Restaurant. 40 Festangestellte arbeiten auf der Farm und im Hotel und verdienen zwischen 100 und 200 Dollar im Monat. Sehr viel in einem Land, in dem Arbeitslosigkeit notorisch ist und eine Dorfschullehrerin 70 Dollar im Monat bekommt.
Die Erfolgsgeschichte des Alandaluz ist so etwas wie ein Beweis dafür, dass Öko kein Luxusartikel ist, den ein armes Land nicht braucht. Mit Nachhaltigkeit kann man Arbeitsplätze schaffen - das zu zeigen, ist viel wichtiger als die Frage, warum im Alandaluz Solarenergie erst spärlich zum Einsatz kommt oder Ökoplumpsklos eher die Ausnahme sind. Denn neben der Gier amerikanischen Konzerne, die den Dschungel mit Rohöl und Gift verseuchen, ist das nackte Elend die größte Gefahr für die Natur. Vor einigen Jahren stürmten Zehntausende verarmter Kleinbauern den nahe gelegenen Machiallia-Nationalpark und hackten Edelholzwälder ab. Der Staat tat nichts, und die Umweltschützer sahen hilflos zu.
Dagegen erscheint das Alandaluz als eine Idee, die wirklich funktioniert hat - ein florierendes Business, ein blühendes, grünes, linkes, leicht esoterisch angehauchtes Projekt, das so gut es geht in der Gegend verwurzelt und anerkannt ist. Es entstand ohne Entwicklungshilfe aus dem Nichts, ein Garten im Süden. Und es ist fast zu perfekt, um wahr zu sein. Schließlich ist Puerto Rico auch das wahrscheinlich einzige Dorf in Südamerika mit einem Müllrecycelhof, den Professor Vinzuena-Rojas zusammen mit dem Einheimischen aufgebaut hat. Mülltrennung ist für Ecuadorianer, die Abfälle traditionell gern in die Gegend kippen, eine kleine Kulturrevolution. Aber sie findet statt und bringt sogar ein bisschen Geld, weil man den Müll als Rohstoff wieder verkauft.
Von der Küste fahren wir in die Anden: ein gut zwölf Stunden langer Trip, der zunächst über eine schnurgerade Straßen führt, doch je näher die Berge rücken, desto beklagenswerter wird der Zustand der Route. Hoch in das wolkenverhangene Gebirge führen enge, steile Schotterpisten, hinter denen sich vermutlich Abgründe auftun. Hin und wider tauchen aus der Nebelwand ein paar Straßenarbeiter auf, die niedergegangene Steinlawinen beseitigen. Unser Ziel ist das Black Sheep Inn, ein von zwei Amerikanern betriebenes Ökohotel, 3.300 Meter hoch, in Chugchilan gelegen, weit ab von der Panamericana. Wir erreichen es in unwirtlich kühler, grau dunstiger Dämmerung: ein solide gebautes Holzhaus mit Kamin, ergänzt durch ein paar Cabañas an steilem Hügel.
"Black Sheep Inn" - Idyll für westliche Stadtneurotiker
Der Morgen ist einem strahlenden, hellblauen Himmel überlassen, hingetupfte Wölkchen, Sonne, die in einer halben Stunde die Temperatur um zehn Grad steigen lässt. Vor unserer Cabaña grast ein Lama - wie im Prospekt. Nur schöner. Der Blick fällt vorn auf einen kleinen Canyon, in der Ferne auf steile Berge und einen Flickenteppich aus verschiedenen Grüntönen, von den satten Farben der Wiesen bis zu den fahlen der Felder. Am Horizont ist der weißen Gipfel des Illiniza zu sehen. Dieses Panorama mag Europäer an das Tessin erinnern - nur fehlen zivilisatorische Errungenschaften wie Skilift, Strommast und Autobahn. Dieser Ausblick kann auch von der Öko-Toilette her bewundert werden. Streng nach Ammoniak riechend, funktioniert die Einrichtung perfekt. Statt Wasser kippt man ein Häufchen bereitstehende Rinde, Laub und Zweige nach. So entsteht Kompost und in ein paar Monaten verwandelt sich das Ganze in freundliche Erde.
1995 haben Michelle Kirby und Andrew Hammerman ihre Jobs in den USA aufgegeben und begonnen, das Black Sheep Inn aufzubauen. Wie im Alandaluz soll es einen ökologischen Tourismus ermöglichen, der dem Dorf nutzt. Michelle unterrichtet in Chugchilan Englisch und gibt Computer-Kurse. Zur Zeit versucht sie, so etwas wie eine kleine Bücherei aufzubauen. Außerdem haben die Amerikaner Kurse in "Permaculture" - in nachhaltiger Landwirtschaft, für die ansässigen Bauern organisiert.
Alles in allem ist das Black Sheep Inn mit weniger weltanschaulichem Drall versehen als das Alandaluz. Hier walten amerikanischer Pragmatismus und die Botschaft: "Von Gringos für Gringos", denn kein Ecuadorianer würde 17 Dollar für (wunderbares) vegetarisches Essen und Lodges mit einem Plumpsklo vor der Tür bezahlen - das tun nur westliche Stadtneurotiker.
Andrew engagiert sich besonders für den Schutz des Anden-Nebelwaldes. Bis vor 20 Jahren war dieses Terrain fast unberührt, seitdem geht es bergab. 1996 wurden 150.000 Hektar um den Illiniza zum Naturschutzgebiet erklärt. Doch was dort in den vergangenen fünf Jahren geschah, ist typisch für die hiesige staatliche Ökologiepolitik. Knapp ein Fünftel Ecuadors wurde inzwischen als Naturschutzgebiet deklariert. Und das bedeutet nichts. Die Nationalparks - etwa der Machalilla-Park an der Küste - bringen dem Staat Geld: 25 Dollar kostet der Eintritt für Ausländer. Diese Mittel fließen allerdings in den chronisch maroden Haushalt, den Parks fehlt hingegen das Notwendigste, bis hin zu ein paar Dollar, um Wegschilder für die Besucher aufzustellen. Seit die Illinizia-Region unter Naturschutz steht, hat die Abholzung dort sogar noch zugenommen. Es ist wie immer der gleiche Kreislauf: Der Staat kümmert sich um nichts, weil Geld, weil Einsicht, weil beides fehlt. Und das Elend treibt die Kleinbauern in die Edelholzwälder.
"Projekt Fatima" - ein seltsam schöner Reparaturbetrieb für die Fauna
Von den Hochanden fahren wir weiter nach Osten, Richtung Amazonasbecken. Wir kreuzen die Panamericana, die einzige ausgebaute Straße weit und breit, und fahren in Serpentinen, gegen die der Schotterweg in die Anden ein Highway war, hinunter bis nach Puyo. Es ist schwül und diesig, man riecht den nahen Dschungel schon, ein schwerer, leicht fauliger Geruch. In dieser Gegend treffen wir Medardo Tapia: Ungefähr 50 Jahre, Mestize - er hat in Quito Agrarwissenschaft studiert, verehrt Trotzki und ist - sobald Frauen in der Nähe sind - eine Charme-Maschine.
In seiner Küche, die in jedem Freak-Brothers-look-a-like-Wettbewerb keine Konkurrenten zu fürchten hätte, hängt an der Wand neben Che Guevara ein Dokument, unterschrieben von Birgit Breuel. Denn das Projekt Fatima durfte Ecuador auf der Expo repräsentieren: als ökologisches Vorbild im Kampf für den Erhalt des Regenwaldes. Fatima ist Medardo Tapias Lebenswerk, jedenfalls augenblicklich. Dabei lässt sich gar nicht so einfach sagen, was Fatima eigentlich ist: ein Laboratorium, um ökologische Landwirtschaft im Amazonas zu erforschen - ein Tierheim, ein seltsam schöner Zoo, eine kleine Arche Noah, ein Reparaturbetrieb für die Fauna bei Puyo, eine touristische Attraktion in der Provinz Pastaza.
Wer das einige Fußballfelder große Terrain betritt, dem springen als erstes ein paar junge Affen auf den Kopf, ein Fischotter kreuzt den Weg, einige Meter weiter sitzt ein großer bunter Ara-Papagei, dem Militärs einen Flügel abgeschossen haben, friedlich neben einem schwarzen Hund. Alle Tiere laufen frei herum, außer den Kaimanen, der Boa Constriktor und ein paar Biber ähnlichen Geschöpfen, die alle Jungen der anderen auffressen würden.
Auch Tapia hat eine Vision, wie man den Amazonas-Regenwald nutzen könnte, ohne ihn zu zerstören. Einen Traum, der auch so etwas wie praktizierter Antiimperialismus ist, einfach und einleuchtend und unendlich schwer zu verwirklichen. Tapia will zeigen, dass man die einheimischen Tiere des Amazonas züchten kann: Tapire statt Rinder. Denn mit den Ölfirmen kommen die Straßen in den Dschungel, mit den Straßen die verarmten Kleinbauern, die den Indígenas das Land abnehmen, es roden, um Weideland für die Kühe zu schaffen. So wird seit 20 Jahren Regenwald vernichtet, jedes Jahr etwas mehr. "Es ist völlig absurd, dass wir den Regenwald abholzen, Gras pflanzen und dort Kühe züchten, damit McDonalds daraus Hamburger macht. Aber alle finden das völlig normal", sagt Tapia, "alles, was die Indígenas wissen, halten die Mestizen für Mist. Aber die Indígenas wissen, wie man im Dschungel lebt, ohne ihn zu ruinieren."
Tapia zeigt uns einen Teich, in dem er wohl schmeckende Süßwasserfische aus dem Amazonas züchtet. "Wir haben hier über 600 verschiedene Fischarten. Wir haben das artenreichste Ökosystem der Welt, aber wir importieren irgendwelche afrikanischen Fische, die in Zuchtbecken groß gezogen werden. Wir importieren Schnecken aus Frankreich, obwohl wir hier viel bessere Schnecken haben. Und das alles nur, weil wir so felsenfest an die Doktrinen des Westens glauben, der uns blind für den eigenen Reichtum werden lässt." - Zu zeigen, dass es anders geht, ist Tapias Traum, viel zu groß für einen allein. So verwegen, dass das Alandaluz dagegen kinderleicht wirkt. Die Produktion von Rindern und Schweinen wurde in Ecuador mit viel, viel Geld, von Agrarwissenschaftlern und dem Staat durchgesetzt. Was für ein Irrglaube, man könne einfach so mit einer guten Idee und ohne Geld das Vernünftige tun und beweisen, dass man Tapire züchten kann, ohne den Urwald zu ruinieren.
www.alandaluz.com / www.blacksheepinn.com
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.