Die Bankeinlagen für Petro Poroschenko sollen sich 2014 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt haben, lässt sich seiner Steuererklärung entnehmen. Das sorgt in Kiew für Gesprächsstoff, wenn für den Präsidenten in Zeiten von Rezession, Währungsverfall und Krieg die Geschäfte nicht abreißen und sein Süßwarenkonzern Roshen floriert. Es köchelt eine brisante Debatte: Was darf ein Staatschef? Aus dem präsidialen Umfeld heißt es, Poroschenko sei dabei, seine Anteile an diversen Unternehmen abzustoßen. Das brauche aber Zeit.
Alek ist Kleinunternehmer, betreibt ein kleines Gästehaus und ärgert sich: „Jetzt muss ich eine Registrierkasse anschaffen, das kostet wieder. Für wen soll das gut sein?“ Er habe kein Problem damit, Steuern zu zahlen. Sie dürften auch steigen, wenn er wüsste, dass die Abgaben tatsächlich dem Staat zugutekämen. Aber wer könne da schon sicher sein? Ähnlich denken viele Unternehmer, die in den Reformen gegen Korruption und Misswirtschaft nur eines sehen: neue bürokratische Hürden.
So wird inzwischen bei allen Zahlungen an Firmen im Ausland überprüft, ob sie wirklich dem Wert der erworbenen Ware entsprechen. Das soll Kapitalflucht durch Scheinrechnungen verhindern, hat aber zur Folge, dass Bargeld erst recht außer Landes gelotst und in Westeuropa angelegt wird, während die desolate Wirtschaftslage dem Kampf gegen die behördliche Korruption keinen Rückenwind verschafft. Ein Beamter im mittleren Dienst verdient umgerechnet 100 Euro.
Es sind vorrangig Bürgerrechtsgruppen der Post-Maidan-Bewegung, die sich mit der Lage nicht abfinden. Sie nehmen die Stimmung einer Gesellschaft auf, die nach zwei Umstürzen – 2004 und 2014 – mit einem gewissen Selbstbewusstsein gegenüber staatlicher Autorität auftritt und auf konsequentem Handeln besteht. Es gibt novellierte Gesetze, die den Einfluss von Oligarchen auf Staatsfirmen beschränken sollen. Die Lizenzierung von Medikamenten – bisher ein Korruptionssumpf – wurde neu geregelt, das dafür zuständige Staatspersonal ausgetauscht und ein Antikorruptionsbüro geschaffen. Die Regierung lässt Beratergremien der Zivilgesellschaft zu. Nur was sollen sie bewirken, wenn geschätzte 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) am Fiskus vorbei erwirtschaftet werden – quer durch alle Branchen?
Der Krieg im Osten erschöpft die Staatskasse, und das jeden Monat mehr. „Man verlangt von uns derzeit viel zu viel und vieles viel zu schnell“, räsoniert Finanzministerin Natalie Jaresko, eine in den USA geborene und ausgebildete Bankerin ukrainischer Herkunft. Die Alternative zu Reformen wäre der Staatsbankrott. Und der scheint näher zu rücken, denn im ersten Quartal 2015 ist das BIP laut Kiewer Statistikbehörde um 17,6 Prozent gesunken. Zugleich stieg die Inflationsrate im April auf 61 Prozent, womit sich der Wert der Griwna seit Antritt Poroschenkos vor gut einem Jahr mehr als halbiert hat. Ministerin Jaresko erklärt: „Die Reformen haben es noch weit bis zu ihrer Vollendung.“
Was nach wie vor das öffentliche Bewusstsein in der Ukraine bestimmt, ist ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Regierung. Sergej, ein Kiewer Psychologe, meint: „Die Bürger dieses Landes verhalten sich wie Kinder, deren Urvertrauen gestört wurde. Sie glauben nur noch sich selbst und ihrer engsten Umgebung. Das viel größere Problem ist aber, dass sich Politiker, Staatsanwälte und Polizisten ähnlich verhalten.“ In einem Klima des exzessiven Argwohns gegenüber jedermann zähle nur der persönliche Vorteil. Und das sei wiederum der Nährboden für Korruption.
Josef Zissels von der renommierten Mohyla-Akademie in Kiew spricht von einer „Tradition“. Er hat an der Bildung des Antikorruptionsbüros mitgearbeitet und ist sicher, dass die gegenwärtige Regierung den Willen zu Veränderungen habe. Es bleibe jedoch eine offene Frage: „Werden die Eliten, besonders die Oligarchen, bereit sein, Opfer ihrer eigenen Reformen zu werden?“ Da hege er Zweifel. Entscheidend sei der Respekt vor dem Gesetz. Und wenn die politische Klasse den nur zum Teil oder gar nicht aufbringe, liege es eben an der Gesellschaft, Druck auszuüben. Nur sei die soziale Lage so prekär, dass sich der Normalbürger vorrangig um sich selbst sorge. „Es ist naiv“ – so Zissels –, „wer glaubt, die Korruption in der Ukraine sei eine Sache, die man in einem Jahr eliminieren könne.“
Alek wird nichts weiter übrig bleiben, als sich eine Registrierkasse anzuschaffen. Doch will er genau darauf achten, ob der Präsident wahrhaftig seine Unternehmen abstoße. „Wenn nicht, wird er bald Geschichte sein.“
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