Eine Kampfansage an die Jugend Europas

Wohlstandspartei Das Wahlprogramm der Union ist keines für „das Volk“, sondern verteidigt das Vermögen der Alten
Ausgabe 26/2021
Eine Kampfansage an die Jugend Europas

Collage: der Freitag

Was ist eigentlich eine Volkspartei – und für wen? Dieser Frage stellte sich jüngst Thomas de Maizière im Bundestag; es war, nach drei Legislaturperioden als Abgeordneter, seine letzte Rede. Als ehemaliger Kanzleramtschef, Bundesminister und Staatsminister in Sachsen zog de Maizière Bilanz: Bei einer Volkspartei, sagte er, komme es nicht auf die Größe an. Sondern darauf, dass sie sich „aus ihrer Sicht um das Wohl der ganz großen Mehrheit der Bevölkerung kümmert“, um den „Ausgleich zwischen Arm und Reich, Jung und Alt“ bemühe. Nun zieht Thomas de Maizière nicht erneut in den Wahlkampf. Würde er, so könnte man ihm die naheliegende Frage stellen: Seid ihr also noch Volkspartei?

Liest man das Wahlprogramm von CDU und CSU, findet man darin jedenfalls kein Bemühen um einen Ausgleich von Arm und Reich oder Jung und Alt. Das Gemeinwohl kommt darin kaum vor. Der „neue Wohlstand“, den die Partei verspricht, ist Präambel-Prosa. Oder besser: Es ist der Wohlstand der Alten, den die CDU verteidigen will. Von neuem Wohlstand für die Jüngeren weiß ihr Wahlprogramm nichts.

Stattdessen geht es der Partei um die Sicherung der alten Vermögen in den Händen alter, reicher Eigentümer, denen eine „Entfesselung“ der Wirtschaft versprochen wird. Die jüngeren Klimaschützer hingegen müssen damit leben, dass die CDU die Wirtschaft „auf dem Weg zur Klimaneutralität“ mit „effizienten marktwirtschaftlichen Instrumenten“ lediglich „unterstützt“. Hier ist immer noch die Rede von „Anreize statt Verbote“, von „Freiheit“ und „Eigenverantwortung“. Dass der Freiheitsbegriff vom Bundesverfassungsgericht kürzlich um eine zeitliche Komponente bereichert wurde, als Mahnung, in der Klimapolitik dürfe die heutige Freiheit nicht zu Lasten der zukünftigen Freiheit heute noch junger Generationen gehen, ignoriert die Partei geflissentlich.

„Steuerlasten für Gewinne“ sollen gedeckelt werden, wird hier gefordert. Um diese Gewinne zu garantieren, bleibt anderes, wie es ist. Etwa befristete Arbeitsverhältnisse. Denn nur zu sagen, die „sachgrundlose Befristung soll auch weiterhin die Ausnahme bleiben“, ist zu wenig. Sie ist schon jetzt nicht die Ausnahme: Rund zehn Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten in befristeten Arbeitsverträgen, beinah zwei Drittel von ihnen sind unter 35 Jahre alt. Insbesondere der Staat als Arbeitgeber setzt in der Wissenschaft auf Befristung als Normalzustand, Deutschland ist hier OECD-Spitzenreiter. Doch davor verschließt die CDU weiterhin die Augen. Dafür soll der Spitzensteuersatz auf Einkommen künftig erst bei „spürbar“ höherem Verdienst greifen.

Die CDU schreibt weiter, sie wolle einen „Neustart im Verhältnis zwischen Staat und Bürger“, der „Staat muss sich nach der Pandemie wieder deutlich zurückziehen“. Warum sich der Staat ausbreitete, wird nicht aufgearbeitet. Es könnte auffallen, dass Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, um Dividendenzahlungen nicht zu gefährden. Oder dass Corona-Hilfen dazu dienten, Mietzahlungen abzusichern. Die CDU ist die Partei der Wohnungseigentümer. Vermieter sind hierzulande durchschnittlich 58 Jahre alt. Corona hat sie nicht gefährdet.

Der Trend, durch den sich die Zahl der Millionäre während der Amtszeit von Angela Merkel in Deutschland verdoppelt hat, wurde im Corona-Jahr nicht unterbrochen – im Gegenteil. Zugleich übersteigen Mietverträge in den urbanen Ballungszentren, die überwiegend von jungen Menschen unterschrieben werden, inzwischen das Zumutbare. In Städten wie Frankfurt am Main gehen im Schnitt mehr als 40 Prozent des verfügbaren Einkommens fürs Wohnen drauf. Dazu sagt das CDU-Programm: nichts. Der Mietendeckel sei ein „rechtlich fragwürdiger und ungeeigneter Eingriff“ in den Markt, schreibt die Partei. Dass das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel nur wegen Zuständigkeitsfragen kippte, spart sie aus.

Doch beim Wohnen gilt dasselbe wie schon beim Arbeiten: Die jungen Menschen, auf dem Weg zum ersten Job und zur Familiengründung, machen die urbanen Zentren und Unternehmen attraktiv. Die dadurch bewirkten Wertsteigerungen gehen aber weiterhin als Rendite an die zumeist älteren Eigentümer und Vermieter. Denen will die CDU diese aber nicht wieder abknöpfen, denn: „Wir lehnen eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ab.“

Sparen gegen die Zukunft

Auf drei Billionen Euro beziffern Forscher um den Wirtschaftswissenschaftler Moritz Schularick den Wertzuwachs allein durch Immobilien in Deutschland seit 2011. Das ist im Kern ein gigantisches Umverteilungsprojekt von Arm zu Reich, von Jung zu Alt, welches die CDU mit ihrem aktuellen Wahlprogramm fortschreibt.

Die hier über Arbeits- und Mietverträge Benachteiligten sind die jüngeren Menschen in Deutschland. Wie können sie sich gegen das Wahlprogramm der CDU wehren? Sie stecken in einer demografischen Sackgasse: Bundestagswahlen werden zu zwei Dritteln von der Wählerschaft älter als 50 Jahre entschieden. Doch sind die Jüngeren hierzulande der CDU damit nicht restlos ausgeliefert. Sie können selbst anders wählen. Sie können die Auseinandersetzung mit ihren Eltern und Großeltern suchen, damit diese für sie anders wählen.

Anders ergeht es einer anderen Gruppe junger Menschen: den jungen Europäern. „Wir bekennen uns zur grundgesetzlichen Schuldenbremse“, schreibt die CDU. Während sich China und die USA gerade im Wettlauf um die Hoheit über die Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts befinden, legt die CDU unserem Land also Ketten an. Warum eigentlich? Seitenlang schwärmt die CDU von Innovationen und Forschung, den „besten Köpfen“ und der „digitalen Transformationsoffensive“. Doch während die USA erst diesen Juni das nächste 250-Milliarden-Dollar-Investitionsprogramm in diesem Bereich gestartet haben, zieht die CDU blank: Die Schuldenbremse, der Spar-Fetisch, ist ihr dann doch wichtiger als die Schlüsseltechnologien.

Das Spargebot, das sie den jungen Deutschen aufdrückt, will sie auch all den europäischen Nachbarn in der Eurozone diktieren. „Wir wollen eine stärkere Rolle für den EU-Wirtschafts- und Währungskommissar“ heißt es im Parteiprogramm. Doch diese Beförderung soll nicht dem Fortkommen Europas dienen, um mit Amerika und China mitzuhalten. Stattdessen wünscht sich die Partei die stärkere Rolle „insbesondere zur Durchsetzung der Stabilitätskriterien“.

Schon im nächsten Satz ist von „Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung“ die Rede. „Reformprozesse“ sollen angestoßen werden. Diese Sprache treibt jungen Spaniern, Griechen, Portugiesen und Italienern den Angstschweiß auf die Stirn. Die Erinnerungen an die Troika-Politik in Südeuropa sind noch frisch. Bedrückend hohe Jugendarbeitslosigkeit, politischer Extremismus und umfassende Armut peinigen bis heute die betroffenen Länder. Und das alles nur, weil die CDU der deutschen Exportweltmeisterwirtschaft Absatz im Ausland garantieren will?

Die Schuldenbremse schadet Deutschland, für Europa ist sie verheerend. Daraus kalkuliert die CDU einen Gewinn, den sie in ihrem Parteiprogramm mit dem Versprechen auf „neuen Wohlstand“ verbucht.

Das aktuelle Wahlprogramm der Union kann nur als Abschiedsbrief an die Jüngeren gemeint sein. Und es sollte als Kampfansage gelesen werden: an alle, die keinen (alten) Wohlstand zu verteidigen haben. In Europa genauso wie hierzulande.

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