Wir bewegen uns im spekulativen Raum. Aber es ist nicht unplausibel, dass es nach einem entsprechenden Verhandlungsgewürge am Ende dann doch zu einem Jamaika-Bündnis von Union, FDP und den Grünen kommen wird. Was könnte das für die Sozialpolitik bedeuten?
Es sind keine erbaulichen Aussichten. Nicht nur, aber auch wegen der sehr großen grundsätzlichen Differenzen zwischen den (bisherigen) Grünen und der Union, vor allem aber zur FDP. Die Grünen haben sich in den vergangenen vier Jahren gegenüber dem GroKo-Block gerade in sozialpolitischen Fragen mit eher linken Positionierungen hervorgetan – man denke hier an ihren Widerstand gegen die „Reform“ der Leiharbeit und der Werkverträge und die Präsentation deutlich weiterreichender Änderungsvorschläge als das, was eine sozialdemokratische Arbeitsministerin auf den Weg zu bringen in der Lage war.
Die Grünen treffen in Jamaika auf eine durch die faktische Wahlniederlage verunsicherte Union. Deren Sozialflügel hat schon erheblich an Bedeutung verloren, denn die SPD hat diese Flanke zu besetzen versucht. Man kann für viele in der Union von einem „Nahles-Trauma“ sprechen, Stichworte wie Mindestlohn und Rente mit 63 mögen hier genügen. Der Wirtschaftsflügel hingegen hat unter Merkel und der GroKo mehr als „gelitten“ und reklamiert „Nachholbedarf“ gerade in einem Feld, wo er wesentlich mehr Überschneidungsbereiche mit der FDP hat als mit der Merkel-Linie, sofern es eine solche überhaupt gibt: Jetzt ist (wieder) Deregulierung angesagt, gerne im Verkäuferdeutsch als – lieblicher klingende – „Flexibilisierung“ tituliert. „Bürokratieabbau“ beim Mindestlohn oder ganz zentral der Angriff auf die Arbeitszeitgesetzgebung stehen auf dem Wunschzettel, der von der FDP mit Begeisterung unterschrieben werden wird.
Auch auf einer anderen sozialpolitischen Baustelle werden die Grünen auf Granit beißen – der Rentenpolitik. Hier haben die Grünen im Angesicht der kontinuierlich steigenden Altersarmut mit ihrer „Garantierente“ eine Antwort zu geben versucht. Die Union möchte den Ball auf diesem für Millionen Menschen so wichtigen Spielfeld flach halten, bis 2030 sei angeblich gar kein Handlungsbedarf und für die Zeit danach wolle man eine Kommission einsetzen, die sich den vorbestellten Kopf zerbrechen darf. Und so wird es kommen. Müsste man ein Skript schreiben, um die auseinanderlaufenden Interessen in die „richtige“ Richtung zu lenken, dann bietet sich die Instrumentalisierung eines Begriffs an, der für sich genommen auch bei vielen Grünen auf fruchtbaren Boden fallen wird – gemeint ist die Generationengerechtigkeit.
Schleifen linker Restposten
Wer kann schon etwas dagegen haben, wenn man darauf achtet, dass die Jüngeren nicht überlastet und wie eine Weihnachtsgans ausgenommen werden. Mit einer Dichotomisierung in die vielen und immer mehr werdenden Älteren, die immer mehr von den immer weniger werdenden Jüngeren in Anspruch nehmen, kann man die Ziele großer Teile der Union und der FDP, also eine Anhebung des Renteneintrittsalters und eine damit verbundene weitere Rentenkürzung für die vielen, die es nicht schaffen (können), legitimierend verpacken. Die biologistische Inanspruchnahme von Generationengerechtigkeit ist ein hervorragendes Mittel zur Neutralisierung des „klassischen“ Verteilungskonflikts zwischen Arm und Reich. Denn „die“ Jüngeren versus „die“ Älteren ist ein eingängiges Bild für viele. Es geht aber an der Realität der meisten Menschen völlig vorbei. Wenn argumentiert wird, dass doch „die“ Lebenserwartung weiterhin ansteige und man deshalb den Renteneintritt daran koppeln könne, dann ist das nur im Durchschnitt wahr. Ein genauer Blick zeigt aber, dass das ärmste Viertel der Bevölkerung eine bis zu zehn Jahre niedrigere Lebenserwartung hat als das reichste Viertel. Wenn die nun alle über einen Kamm geschert werden, dann gehen die von unten als große Verlierer vom Platz – und das auch noch vor dem Hintergrund, dass viele von ihnen während ihres Erwerbslebens im Niedriglohnsektor keine Chancen hatten, neben den Rentenansprüchen noch weitere Einkommens- und Vermögensquellen zu erschließen, die ihnen im Alter helfen können.
Wenn man ganz professionell die Neutralisierung grüner Positionen vorantreiben will, dann müsste man die bei der Rente noch negativ daherkommende Generationengerechtigkeit positiv aufladen, durch eine Bildungssemantik, die vielen Grünen sicher sehr eingängig erscheinen wird. Klassischerweise macht man das zu Lasten Dritter, indem man beispielsweise einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder in Aussicht stellt, den die Kommunen ausbaden müssen.
Was aber, wenn die Grünen trotz allem Widerstand leisten gegen das Schleifen ihrer linken Restposten? Man wird sie daran erinnern, dass Kompromisse dazugehören, vor allem, wenn man der kleinste Partner in einer Koalition ist. Konkret: Wenn den Grünen Entgegenkommen bei den für sie so wichtigen Themen Umwelt und Klima in Aussicht gestellt wird, dann müssen sie eben in den sozialpolitisch ziemlich sauren Apfel beißen. Und man wird das auch mit den entsprechenden ministeriellen Spielwiesen abzubilden versuchen. Sollen die Grünen das Umweltministerium bekommen. Und das Familienministerium und, wenn es denn sein muss, gerne auch ein Integrationsministerium, in dem sich die „Gutmenschen“ austoben können, ohne wirkliche Budgetrelevanz. Man schaue nur in die Bundesländer, in denen die Grünen als dritter und kleinster Partner in einer Regierungskoalition mitmischen. Selbst wenn es sich wie in Rheinland-Pfalz um eine Ampel und nicht um Jamaika handelt – genau das ist der Zuschnitt, den man den Grünen zugesteht. Wo sie am wenigsten stören, aber beschäftigt sind.
Bleibt die Hoffnung, dass es eine starke Opposition im Bundestag geben wird – neben den Linken, die sich trotz der AfD-bedingten Verluste im Osten stabilisieren konnten, vor allem durch die SPD, die an ihren eigentlichen Markenkern, also eine arbeitnehmerorientierte Sozialpolitik, nun wieder andocken könnte. Aber nachdem bereits am Wahlabend der Fraktionsvorsitz für die geschrumpfte Sozialdemokratie an Andrea Nahles übergeben wurde, wird man in den vor uns liegenden Monaten und Jahren immer wieder den Hinweis zu hören bekommen, dass es doch Frau Nahles war, die vier Jahre lang die Sozialpolitik mitgestaltet hat, was die SPD zumindest bremsen wird in ihrer Angriffslust.
Möglicherweise wird sich mit einer Jamaika-Koalition der biografische Abschlusstraum einiger der derzeitigen Führungspersönlichkeiten der Grünen erfüllen, aber am Ende dieses Ausflugs kann es sehr gut sein, dass die Grünen da landen werden, wo die 2009 als Tiger gestartete FDP 2013 bettvorlegermäßig gelandet ist. Das aber müssen dann andere ausbaden.
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