Der schöne Zwischenfall

Lauschangriff Ein Komponist zwischen den Stühlen: Zwei Einspielungen räumen Missverständnisse aus und zeigen, wie sich ein Mendelssohn-Stil anhören könnte

Kaum ein Musiker hatte zu Lebzeiten so viele Erfolge, Freunde, Entfaltungsmöglichkeiten wie Felix Mendelssohn Bartholdy. Wenigen ist es nach ihrem Ableben übler ergangen. Richard Wagner verfasste in seiner Schmähschrift Das Judentum in der Musik Ungeheuerlichkeiten nicht nur gegen Mendelssohn; den Faschisten kam er als Stichwortgeber und Einpeitscher umso gelegener. Heute wird Mendelssohn von recht vielen Multiplikatoren als „nur noch“ elegant, damit aber auch weitgehend untief und mithin wenig landsmännisch missverstanden.

Am Namen Mendelssohn reibt sich in Deutschland schlechtes Gewissen. An dessen bürgerlichen Anfängen standen jüdische Bankiersfamilien, die aufgeklärte Philosophen hervorgebracht haben wie Moses Mendelssohn und eben dessen Enkel Felix (das Bankhaus Mendelssohn Co verschwand 1939 im großen Arierbauch der Deutschen Bank). Historisch und auch musikhistorisch ist Mendelssohn ein Mensch zwischen den Stühlen. 1809 geboren, 1847 gestorben, war er, der mit sieben Jahren getauft wurde und geprägt war von Revolution und Biedermeier, Klassik und Romantik, der „schöne Zwischenfall deutscher Musik“ (Nietzsche).

Wahrscheinlich infolge der Vorgeschichte liegt bislang nicht eine Ernst zu nehmende Mendelssohn-Biografie vor. Hört man die Aufnahmen, die der US-amerikanische Dirigent Andrew Litton jetzt mit dem Bergen Philharmonic vorgelegt hat sowie die Mendelssohn-CDs des Belgiers Philippe Herreweghe, sieht es immerhin aus, als etabliere sich endlich ein einleuchtender Mendelssohn-Stil.

Hoffnung statt Gewissheit

Beide wollen ihn nicht vom Verdikt der Leicht(fert)igkeit befreien durch beethovensche Bedeutsamkeit. Für Klassizismus ist diese Musik zu romantisch, für Romantik zu gesittet; Mendelssohn ist ein ent­heroisierter Beethoven, ein enterotisierter Mozart. In c-moll, einer Vorzugstonart der Wiener Klassik, ertönt bei ihm weder Sturm und Drang noch das Schicksal. Litton lässt folgerichtig anstelle von Gewissheit Hoffnung hören, anstelle von Triumph an vielen Stellen das helle Glück. Sein Orchester ist klein genug, um Mendelssohns feingliedrige Rhythmik glitzern zu lassen; freilich, schnelle Tempi sind bei ihm keine Glaubensfrage, Prestissimo oder Largo – es klingt angenehm, wie bei Mendelssohn selbst noch das Dramatische, und angenehm ist – gegen Adorno – bei Mendelssohn eine wunderbar positive Kategorie. Herreweghes mit Darmsaiten und teils historischen Instrumenten ausgerüstete Musiker zeigen beeindruckend, wie sich das Wunderkind Mendelssohn bereits in seinem Gesellen- und Meisterstück, der Musik zu Shakespeares Sommernachstraum, als Souverän abwechslungsreichen Orchestrierens und delikatester Klangfarben erweist.

Mendelssohns Melodien haben nicht Schuberts Todessehnsucht, nicht Mozarts Weisheit, sie sind indessen überall. Volkslied und Humor lassen sie überdauern. Sie haben oft auch etwas, das heute längst vom Markt erledigt ist – das Feierliche. Das hatte, man hört es in Mendelssohns Kunst, dereinst einen Inhalt. Die Musik feiert sich bei Mendelssohn, sie feiert Tatkraft und Perspektive menschlichen Denkens und Empfindens. Mendelssohn hörend könnte man meinen, der Optimismus dieses Projekts habe sich noch lang nicht erledigt.

Felix Mendelssohn BartholdySinfonien 1 bis 5 (auf 3 Einzel-CDs) Bergen Philharmonic/Litton; Klassik Center Kassel / BIS 1704; Ein Sommernachtstraum, Hebriden-Ouvertüre Orchestre de Champs-Élysées/Herreweghe; Harmonia Mundi France HMX 2901502

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