Gar heiter ist die Kammermusik

Lauschangriff Ton Koopman macht, was keiner für machbar hält: Gesamtaufnahmen. Nach Bach ist der unbekanntere Komponist Dietrich Buxtehude dran

Kaum weiß man, was an Ton Koopman mehr zu bewundern ist: Die gründliche und putzmuntere Art, in der der holländische Dirigent und Cembalist die von ihm geliebte Musik aufführt. Oder die Ausdauer, mit der er ein Riesenprojekt nach dem anderen durchzieht.

2001 brach Teldec die 1994 von Koopman begonnene Gesamtaufnahme aller Kantaten Bachs ab, weil das Major-Label kurz vor der Pleite stand. Teldec lebte als Warner Classics weiter, bis auch Warner Classics verschwand. Koopman wurde daraufhin für die Edelruine seiner Gesamtaufnahme bedauert, gab aber nicht auf, gründete sein eigenes Label und vollendete die Bach-Edition auf eigene Faust.

Seit 2004 ist Dietrich Buxtehude dran. Der Lübecker Kirchenmusiker (um 1637 bis 1707) wäre bis heute vergessen, wie er es 300 Jahre lang war, wenn nicht Begeisterte selbst ihn ausgegraben und reanimiert hätten wie der Dichter Hans Henny Jahnn oder Bruno Grusnick – der 1992 verstorbene Musikwissenschaftler und Chorleiter war einer der bislang eifrigsten Entdecker und Herausgeber der Werke Buxtehudes. Oder eben Koopman. Denn was von den Werken des im Ostseeraum beheimateten Komponisten noch da war, lagerte bis ins 20. Jahrhundert unberührt in den Beständen der Universitätsbibliothek von Upsalla und wollte befreit sein von der „nagenden Kritik der Mäuse“ (Karl Marx).

Buxtehudes Pech

Wie sehr sich das lohnt, wusste schon Bach (1685 – 1750). Der war von Buxtehudes Musik so begeistert, dass er 20-jährig von Thüringen nach Lübeck wanderte und seinen Urlaub als Stadtorganist von Arnstadt um glatte drei Monate überzog, um bei den berühmten Abendmusiken des greisen Kollegen Buxtehudes Werke erleben zu können.

Nach der Orgel- und Cembalomusik, den Kantaten, geistlichen Konzerten sowie Buxtehudes einzig erhaltenem Oratorium, hat Koopman jetzt die erste CD mit Buxtehudes Kammermusik herausgebracht. Sie zeigt, wie attraktiv und kurzweilig es in der Kammermusik schon vor Bach zuging. Buxtehudes Pech: jüngere Italiener wie Corelli, Albinoni und insbesondere Vivaldi begannen unmittelbar nach seinem Tod, den Markt mit ihrer moderneren Instrumentalmusik abzuräumen.

Buxtehudes Musik erinnert streckenweise an ältere Geigerkomponisten wie Pandolfi Mealli oder Ignaz Biber. Das Booklet informiert, dass er sich vor allem an Giovanni Legrenzi orientierte, dem Lehrer Vivaldis. Die Farbigkeit und Klangfülle, die den Hörer gleich zu Beginn im homophonen Adagio der C-Dur Sonate BuWV 266 erfreut, die munteren Fugen in den bis zu vierstimmigen Stücken, sind Buxtehudes Eigentum. Erstaunlich, mit wie vielen Schwierigkeiten (Dreifachgriffe) der Nichtgeiger Buxtehude den Violinpart versehen hat. Chorischer und solistischer Einsatz und Stricharten, Register, Metren und Dynamik wechseln ständig. Dass Viola da Gamba, Laute und Orgel improvisierend begleiten, gibt dem Ganzen eine an den Jazz erinnernde Leichtigkeit.

Im formidablen B-Dur Stück BuWV 273 fällt der ausgelassen tänzerische Kontrapunkt der beiden Solisten auf, die wie im Volkstanz immer neue Kapriolen schlagen, bis das Stück zur fröhlichen Tanzsuite mutiert. Eine Musik, deren stabile Aufgeräumtheit und positive Kraft verblüfft. Denn Buxtehude war um die zehn Jahre alt, als mit dem Dreißigjährigen Krieg eine der schlimmsten Katastrophen deutscher Geschichte endete.

Dietrich BuxtehudeOpera omnia XII Kammermusik 1 C. Manson/Rabinovich/J. Manson/Koopman/Fentross/Sticher; Challenge Classics CC72252

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