Genießen Sie ruhig den Cellisten

Lauschangriff Diese Woche: Rudolfo Luigi Boccherini (1743–1805)

Der holländische Cellist Anner Bylsma ist 75 Jahre alt. Und schon eine Legende. Eine Legende mit wunderbar seltsamen Ansichten. Spricht man ihn auf Joseph Haydn an, weil 2009 ein Haydn-Jahr ist, lacht er: „Mein Gott ist größer, magischer, mysteriöser.“ Nun sind Magie und Mysterien nicht Haydns Do­mäne. Aber Anner Bylsmas Gott, elf Jahre nach Haydn geboren, vier Jahre vor ihm gestorben, komponierte als Cellovirtuose sozusagen vom Cello aus – so etwas lieben Cellisten. Dass man Rudolfo Luigi Boccherini (1743–1805) in seiner wahren Größe „noch nicht sieht“, liegt laut Bylsma daran, dass man die Musik des Italieners, so wie sie meist gespielt wird, für Haydns Musik hält.

In Bylsmas Boccherini-Aufnahmen erklingt folglich der eigentliche Boccherini? Voraussetzung nach Bylsma: nicht um­wickelte Darmsaiten auf Barockinstrumenten. Boccherini schrieb neben einer Oper, einem Oratorium, Symphonien und Cellokonzerten, 125 Streichquintette und 91 Streichquartette.

Anders als bei seinen wienerklassischen Zeitgenossen besteht der Reiz seiner Musik statt aus kunstreich durch­geführten Sonatensätzen aus dem augenblickhaften Wechsel von Themen, Farben, Rhythmen und Instrumentenkombina­tionen. Boccherinis Quintettbesetzung mit zwei Celli – statt wie bei Mozart und allen anderen mit zwei Bratschen – taucht in der ganzen Literatur nur noch einmal auf, in Schuberts C-Dur Quintett.

Ganz anders als Schubert und alle anderen besetzte Boccherini – ein Meister der Ökonomie – sein Stabat Mater lediglich mit einem Sopran und fünf Streichern. Seine Melodik verbindet Eleganz mit Zauber und Melancholie. Sein Gefühl für zarte Klangfarben wandelt nicht nur den Hörer an, laut Bylsma auch den Spieler: suave, dolce, amoroso.

Boccherinis besondere Art von Molltrübungen, seine Klangfarben, erinnern unwillkürlich an den geschichtssatten Dämmer in den Bildern des dissidenten Hofmalers Goya, dem der königliche Cellist am Madrider Hof begegnet sein dürfte. Im Stabat Mater und in den Streichquintetten verbreitet sich latente Wehmut. Die mitreißenden Tanzsätze haben, angenehm unplakativ, etwas von der Kraft und dem Stolz Spaniens. So konservativ und katholisch dessen Volk oft erscheint, so mutig hat es – im ersten Guerillakrieg der Geschichte (Goyas Desastres de la Guerra) – die napoleonischen Verhältnisse zum Tanzen gebracht.

Der italienische Barockgeiger Fabio Biondi findet den Ton. Die Synkopen am Anfang des d-moll-Quintetts klingen abgeklärt dunkel wie in Mozarts g-moll-Pendant; der zweite Satz rauscht rhythmisch aufgeladen vorbei. In den Trios und Quartetten fehlt dem Ohr alsbald das dunkeltönige Fundament des doppelten Cello. Und: Boccherini hätte nicht fast sein gesamtes Berufsleben in Spanien verbracht, hätte er nicht auch Gitarrenquintette komponiert. In ihnen klingt, was Boccherini wie Haydn und alle Großen allseitig inspiriert hat: Die entspannte, erfüllte Musik derer, die seit Jahrtausenden nie ein Wertpapier besaßen und denen auch sonst immer recht wohl war – sie hatten denn genug zu beißen, sich zu wärmen und zu lieben.

Luigi BoccheriniStabat Mater, Streichquintette. Roberta Invernizzi, LArchibudelli; Sony Classical/Vivarte (nur über www.jpc.de) SK 89926. Trio G.98, Quartett G.214, Quintett G.355, Sextett G.457. Biondi u.a. Virgin Classics/EMI 212149. Gitarrenquintette. R. Savino, Artaria Quartett, P. Mund, Kastagnetten; Harmonia Mundi USA HCX 3957026. Symphonien op. 35, 41 43 Akademie für alte Musik Berlin; Harmonia Mundi France HMA 1951597

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