Lauschangriff 01/08

Musik Klassik-Kolumne

"Das Vibrato", sagt unser aller Wikipedia, "ist in der Musik das leichte Zittern oder Vibrieren eines Tons. (...) Beim Saiteninstrument entsteht es durch Hin- und Herbewegen des Fingers auf einer Saite."

Vibrato, das sagt Wikipedia nicht, überblendet Unsauberkeiten, es rundet und schönt den Ton. Bis heute gehört es zu den umstrittenen Teilen interpretatorischer Praxis. Obwohl schon frühe Autoritäten des Geigenspiels wie Mozarts Vater Leopold in seiner Violinschule dazu rieten, den Finger auf Saite und Griffbrett nur als Zutat und Würze zittern zu lassen, ließen ihn die Geigenvirtuosen des 20. Jahrhunderts immer enthemmter, vordergründiger und dauerhafter hin und her schnellen. Bis das Vibrato obligater Bestandteil jeder Interpretation war.

Dagegen erhob die historische Aufführungspraxis ab Ende der sechziger Jahre Einspruch. Nikolaus Harnoncourt oder John Eliot Gardiner setzten der Pauschalität des Dauervibrato aber zunächst nur den Purismus eines oft recht stupide gehandhabten Nonvibrato entgegen. Das ist lange her. Auch die inzwischen unter Nichthistorischen verbreitete Vibrato-Skepsis schlägt indes nicht immer zum Guten aus. In Deccas Neuaufnahme von Mendelssohns Violinkonzert klingt das Vibrato der jungen niederländischen Geigerin Janine Jansen trotz schöner Tongebung seltsam unentschieden.

Vom britischen Geiger Daniel Hope als Mann mit frühem Faible für gemäßigte Moderne war man bislang mal ein zurückhaltendes, mal ein munteres Vibrato gewohnt. In seiner Neuaufnahme des Mendelssohn-Konzerts dreht der 34-Jährige, was den auf der Saite tobenden Finger angeht, allerdings voll auf. Weil sich Hopes Generation sonst eher cool gibt, verblüfft, wie es ihm bei Mendelssohn gelingt, ein an manchen Stellen von romantischer Schwelgerei und Pracht erhitztes Vibrato zu aktualisieren, so als klinge sein Lehrer Menuhin noch nach.

Inzwischen haben die Aufführungspraktiker entdeckt, wie gut ein wohldosiertes Vibrato helfen kann bei der Darstellung von Gefühl, Farbe, Licht. Allerdings muss die Barockgeigerin Midori Seiler, anders als ihre auf modernen Instrumenten arbeitenden Kollegen, in Beethovens Violinsonaten op. 12 nicht jede Note vibrierend aufrüsten, um dynamisch zu überleben im übermächtigen Auftritt eines modernen Klaviers. Der Ton ihrer italienischen Geige vom Anfang des 18. Jahrhunderts mischt sich organisch mit dem Klang von Jos van Immerseels Kopie eines kleinen Wiener Walter-Flügels aus derselben Zeit. Es sind die schüchternen, die zaghaften Töne, von Seiler angereichert durch mädchenhaften Charme, die das Ohr bezaubern mit der Kunst eines jungen Beethoven, der noch nicht das mozartisch Leichte und Leise wie zwanghaft ausbalancieren musste mit dem heroisch Insistierenden.

Dass am Ende gleichwohl wenig oder nichts abhängt vom Alter des Instruments oder vom Konzept des Interpreten, zeigen historische Aufnahmen. Dank immer besserer Digitalaufbereitung ist da zu erleben, wie selbst ein Dauervibrato die Großartigkeit eines wie gemeißelt intonierten und zugleich eleganten, eines sehr unsentimentalen und doch erfüllten Violinspiels nicht verdirbt, ja wie das Vibrato zur Großartigkeit gehört. Die Voraussetzungen: Unirdische Fingerfertigkeit, göttliche Intuition und ein unfehlbarer Geschmack, die Ausrüstung eines Jahrtausendgeigers wie Jascha Heifetz. Bei den Mitschnitten der Violinkonzerte Beethovens (aufgenommen 1956) und Brahms´ (aufgenommen 1935) kommen hinzu: Dimitri Mitropoulos und Arturo Toscanini als kongenialer nicht zu denkende Dirigenten und Begleiter einer musikalischen Sternstunde.

Mendelssohn Violinkonzert e op. 64 (+Oktett Es op. 20 + 3 Lieder) - Hope/Chamber Orchester of Europe/Hengelbrock, Universal/ DGG 4776634. Beethoven Violinsonaten op. 12 - Seiler/van Immerseel; note 1/zigzag territoires ZZT 70802. Beethoven Violonkonzert D op. 61 - Jascha Heifetz/New York Philharmonic Symphonic Orchestra/Mitropoulus; Brahms Violinkonzert D op. 77, Jascha Heifetz/New York Philharmonic Orchestra/Toscanini; Klassic Center Kassel/IDIS 6528

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