Lauschangriff 1/02

Kolumne In der Popmusik weiß man, was ein Konzeptalbum ist. In der Klassik nicht. Da spricht es sich erst langsam herum, dass man Platten nicht grundsätzlich ...

In der Popmusik weiß man, was ein Konzeptalbum ist. In der Klassik nicht. Da spricht es sich erst langsam herum, dass man Platten nicht grundsätzlich nur mit einem einzigen Komponisten und mit Werken nur eines Genres - Sinfonie, Konzert, Kammermusik - bestücken kann. Hat man eine Grundidee, passen viele Genres, Komponisten und Epochen auf eine CD. Die Idee hinter der im dritten Jahr erscheinenden Reihe von Mitschnitten des Festivals aus dem Kraftwerk von Heimbach sind Spannungen (so der Reihentitel) - im elektrischen Strom, der noch heute am Aufführungsort produziert wird, wie in der Musik. Dabei scheint die Koppelung Haydns mit Mozart auf der ersten der beiden CDs vom Festival 2001 zunächst wenig knisternd. Die Art allerdings, wie die jungen Ausnahmemusiker um den Pianisten und Spiritus Rector des Festivals, Lars Vogt, Haydns (des immer noch Unbekannten, Verflachten und Verfälschten) C-Dur Trio abfeuern, wie sie den jugendlich unbekannten Mozart der Sonate für Fagott und Cello K. 292 konfrontieren mit dem kunstreich resignierten Meister des späten Divertimento K. 563 schlägt Funken (EMI 5 57375 2).
Mühelos und strömend neu ist es, wenn auf einer einzigen CD das stille deutsche Geigenwunder Christian Tetzlaff die bach- und zugleich gegenwartsnahe Solosonate von Hindemith spielt, gefolgt von der Welturaufführung des Hindemith-Fragments einer Sonate für 10 Instrumente, darauf die Trio-Fassung des nachtzarten Adagio aus Bergs Kammerkonzert, gefolgt von Poulencs humorprall geschmeidigem Trio für Oboe, Fagott und Klavier und schließlich, zur Abrundung dieses Reigens unentdeckter Klassikerjuwelen des 20. Jahrhunderts und wieder anders instrumentiert, Prokofjews Quintett für Oboe und Klarinette, Violine, Bratsche (Tabea Zimmermann) und Kontrabass (EMI 5 557376 2).
Die Firma EMI gehört zwar zu den Plattenmultis, die derzeit in einer dinosaurierhaft tiefen Absatz- und Identitätskrise stecken. Sie wagt trotzdem - Not macht erfinderisch - erfreulich viel Neues. EMI-Stars wie Simon Rattle, Nigel Kennedy oder die weltbeste Klarinettistin Sabine Meyer nutzen so etwas. Das ohnehin kleine Solorepertoire für ihr Instrument hat sie rauf und runter aufgenommen. Auf Bach in 1 hour mischt sie nun, zusammen mit ihrem dito Klarinette spielenden Mann Rainer Wehle, dem Bruder Wolfgang und ihrem Kollegen Michael Riessler, selten gespielte Holzbläser-Werke und -Bearbeitungen Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bachs, Mozarts und Clara Schumanns mit gediegen modernen, jazzigen Kompositionen Riesslers zu einem Programm, dessen Reiz in seiner Folge, nicht allein in der Qualität seiner Einzelteile liegt (EMI 5 57003 2).
Der junge englische Komponist Thomas Ades betätigt sich gelegentlich als Pianist und Sammler. Seine neueste CD mit 37 Miniaturen, die er am Wegrand musikalischer Ausflüge in Kollegenland pflückte, wurde so, ganz im Stil der Schumannschen Musikbilderbüchlein, zum Poesiealbum und Musikherbarium. Vier Stücke sind länger als 5 Minuten, 11 kürzer als eine, das kürzeste, eine Widmung von György Kurtág an Nancy Sinatra, dauert ganze 27 kostbar witzige Sekunden. Sommergrüße von Niccolo Castiglioni finden sich ferner, Strawinskys witziger Reflex auf den Ragtime und eine 50 Sekunden-Sehnsucht von Leos Janac?ek. Häppchen gewiss. Aber sehr nahrhaft, gesund und undumm (EMI 5 57051 2).
Dass schon das 18. Jahrhundert in Konzepten dachte, illustriert schließlich The Last Concerto, 1791, eine CD mit dem Programm von Mozarts letztem öffentlichen Konzert. Die Auswahl ist geprägt von dessen tiefer Bindung an die (damals aufklärerisch dissidentiellen) Freimaurer und den Klarinettisten Anton Paul Stadler. Das Orchestra Of The Age of Enlightenment unter Franz Brüggen spielt das Klarinettenkonzert, die Ouvertüre und zwei klarinettebegleitete Arien aus La Clemenza di Tito, das Adagio K. 411 und die Maurerische Trauermusik. Ein Ablauf zum stille werden (Glossa/Note 1 GCD 921107).

Stefan Siegert arbeitet als Autor und Zeichner für Rundfunk und diverse Magazine. Für seine bei der Deutschen Grammophon erscheinende Reihe Klassik für Kinder hat er bereits zweimal den deutschen Schallplattenpreis erhalten. 2001 erschien im Alexander Fest Verlag sein Buch Mozart. Die Bilderbiographie


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