Lauschangriff 1/04

Kolumne Richtig schade, dass Neue Musik einen so schlechten Ruf hat. Er ist so unverdient wie selbstverschuldet. Schon das versale Anfangs-N klingt nach ...

Richtig schade, dass Neue Musik einen so schlechten Ruf hat. Er ist so unverdient wie selbstverschuldet. Schon das versale Anfangs-N klingt nach Schublade und Sektiererei. Und auch wenn man liest, was das Gros ihrer Propagandisten zu Papier bringt oder was ihre Spezialfestivals ausstrahlen, wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit die unvorteilhafte Neigung zu Kanonisierung und Fürsichsein erleben - mit der objektiven Wirkung von Unverstandensein und Ausgrenzung. Nicht zum mindesten schreibt sich das alles zurück auf einen, anlässlich dessen 100. Geburtstag im gerade abgelaufenen Jahr auch etliche sogenannte Fachleute und Großkritiker drauf los schwadronierten, denen vom - wie immer auch - marktwirtschaftskritisch "linken" Ethos Theodor Wiesengrund Adornos bestenfalls, sagen wir, das Bemühen um einen vertrackt originellen Satzbau blieb (Adornos aus meiner Sicht originellster und fruchtbarster "Schüler": Der Autor und Musikkenner Eckhard Henscheid).

Zu Adornos schlimmeren Nachwirkungen zählt der Pauschalargwohn gegen alles in der E-Musik irgendwie Beliebte. Dabei richteten sich die, in diesem Zusammenhang recht tantenhaften, Tiraden des Mitvaters der Kritischen Theorie nicht nur gegen Jazz und Schlager (von Pop hatte Adorno keinen Schimmer). Auch gegen Komponisten des sogenannten ernsten Genres wie Tschaikowsky, Verdi oder Sibelius, die sich alle - nach Adorno - mit dem Sakrileg der Popularität befleckt haben. Man muss einem Musiker wie dem Finnen Jean Sibelius (1865-1957) aber nicht unbedingt ankreiden, dass er sich musikalischer Mittel bediente, die in ihrer Zeit kaum mehr zu den avancierten zählten. Seine Musik beglückt assoziierendes Hören und lässt analysierendes darüber nicht unbeschäftigt. Wobei es dem Geiger Christian Tetzlaff in seiner Auslegung von Sibelius´ Violinkonzert glückt, neben der gerade noch erträglichen, allerdings auch unbedingt erforderlichen Dosis an weitem Herzen und "großem Ton", das Quäntchen skeptischer Distanz unterzubringen, ohne das gerade die feurige Seite solcher Musik allzu leicht in einem Zuviel an Oberflächenhitze verglüht (The complete works for violin and orchestra, Danish National Symphony Orchestra; Thomas Dausgaard; Virgin Classics/EMI 7243 5 45534 2).

Von Grieg und Nielsen bis Sibelius war die skandinavische Musik Adorno ein Ärgernis. Über den Finnen Einar Englund (1916-1999) hat er vermutlich nur darum den Stab nicht gebrochen, weil er dessen, seit dem Zweiten Weltkrieg erscheinende Arbeiten nicht kannte oder sie für zu vernachlässigen hielt. Zumindest Englunds zwei Klavierkonzerte- geschrieben mit den damals neuesten Errungenschaften klassischer Moderne im Gepäck, verdienen solch Ignoranz aber durchaus nicht. Im Ohr den Orchesterklang des mittel- und osteuropäischen 19. Jahrhunderts, dazu im Gemüt das für skandinavische Komponisten scheints obligate Quäntchen nordischer Landschaft, entfalten sie eine Pracht, in der sich Naturton, Melancholie und inspiriertes Handwerk die Waage halten (Ondine/Note1 ODE 1015-2).

Auf ganz andere und aktuell prickelnde und brodelnde Art und nicht zum mindesten vom rythmischen Elan des Rock und Jazz beflügelt, allerdings auch von der Farben- und Strukturenschichtkunst György Ligetis und einer sehr eigenen Neigung, Motive zum Kreisen und Wogen zu bringen, kommt der junge estnische Komponist Erkki-Sven Tüür (geb. 1959) auf spätromantische und spezifisch skandinavische Traditionen zurück. Aus der Stille einer Natur unmerklich unendlicher Bewegung entsteht in seiner Musik Energie, die sich ballt und verdichtet und schließlich vor Schwere zerbirst in die Stille eines neuen Anfangs, in dem indes, wie im Violinkonzert, auch der Gestus großer Melodien seinen Platz hat (+ Aditus + Exodus - Isabelle van Keulen, City of Birmingham Symphony Orchestra, Paavo Järvi; ECM/Universal 472 497-2).

Weit und virtuos dringt die Musik der finnischen Komponistin Kaija Saariaho (geb. 1952) aus ihrem Entstehungsmoment heraus in Zeit und Raum vor. Sie wirkt groß und intim, kammermusikalisch und orchestral zugleich, und ist formal, bei aller harmonischen Pracht, streng genug, dass sie, hätte er sie erleben dürfen, vielleicht auch Adornos Gnade gefunden haben würde (Graal Theatre, Chateau de l´Ame, Amers - Gidon Kremer, Dawn Upshaw, Finnish Radio Symphony Orchestra, Esa-Pekka Salonen, Sony Classical SK 60817).

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