Lauschangriff 14/04

Kolumne Wie fern Schumanns Zeit und ergo seine Musik aktuellem Bewusstsein eigentlich schon liegen müssten, wird wunderbar plastisch bei heutigem Verständnis ...

Wie fern Schumanns Zeit und ergo seine Musik aktuellem Bewusstsein eigentlich schon liegen müssten, wird wunderbar plastisch bei heutigem Verständnis des Wörtchens "gemütlich". Schumann gebrauchte es in einem Brief, in welchem er für sich und seine Kunst die "glückliche Verschmelzung von Gemütlich und Witzig" anpeilt im Sinn einer Verschmelzung des Poetischen mit dem Humor im Geist Novalis´ und Jean Pauls. Arnfried Edler bemerkt in seiner lesenswerten Biografie (Robert Schumann und seine Zeit), dass allerdings "gemütlich" damals, weil es sich - wie heute noch "genüsslich" von Genuss - von Gemüt herleitete, so viel wie "schwärmerisch" bedeutete.

Als schwärmerisch gilt Schumann bis dato, insoweit sein Schaffen für viele - jenseits der doch eigentlich recht klassiknah komponierenden Schubert und Mendelssohn und diesseits der schon recht "modernen" Brahms und Wagner - eine Art Kernpunkt und Normort deutscher romantischer Musik bezeichnet. Wie wenig ihm ein musikalisch durchaus wirksamer Sinn für Schwärmerei den Kopf vernebelte - Romantiker stellt man sich ja unpolitisch oder zumindest spezialisiert auf Ritter, Tod und Feen vor -, erhellt sich schon aus seiner realistischen Einschätzung der Rolle von Burschenschaften und Kleinbürgern in den deutschen 1848er Jahren ("Duelle sind meistenteils Schissproben, keine Muthproben; wer sich dem Duelle entgegenstellt, hat mehr Courage"). Franz Liszt, als er zu einem Konzert in Leipzig weilte und dort im Parkett "Toiletten und Gräfinnen und Prinzessinnen" vermisste, beschied der damalige Leipziger Schumann, ganz unschwärmerisch, politisch, selbstbewusst: "Wir hätten auch unsere Aristokratie, nämlich 150 Buchhandlungen, 50 Buchdruckereien und er solle sich nur in Acht nehmen."

Da der Tonsetzer indes klar erkannte, dass mit den diversen "Demokraten" seiner Zeit - darin der unseren erstaunlich nah - nicht viel zu gewinnen war, bestand die Speerspitze der schumannschen Revolution erklärtermaßen aus schlagenden Akkordkombinationen und überwältigenden Melodien. Entgegen seinem heutigen Ruf als empfindsam überschwänglicher Liederkönig (Dichterliebe, Liederkreis) galt Schumann, der freilich zunächst mit Kompositionen für Soloklavier hervor trat, den Zeitgenossen als schwergängiger Avantgardist. Liszt verehrte Schumanns Musik auch noch, als beide verschiedenen Parteien im Musikerkrieg angehörten, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen Brahmsianern und "Neudeutschen" tobte. Obwohl Liszt der Liebling des Publikums war, stieß er, als er 1840 Schumanns Carnaval in ein Tourneeprogramm aufnahm, in Mailand, Wien und selbst in Leipzig auf den Unmut des Publikums.

Heute darum kaum nachzuvollziehen: Dass ein Stück wie Schumanns Sinfonische Etüden op. 13, im selben Zeitraum 1834/35 komponiert wie Carnaval, damals dito mit einem Publikum zu rechnen hatte, das dem Heutigen in seiner Neigung zu Ignoranz und Bequemlichkeit gegen Unübliches und Neuartiges so fatal ähnelt.

Die Sinfonischen Etüden haben alles, was Klavierfreundinnen und -freunde begeistern kann: Ein ausgiebig melancholisches Thema aus zunächst einer Quart und zwei Terzen abwärts; eingängig genug, einen Meister wie Schumann zu einer Glanzreihe von Schein-, Fast- und Vollvariationen anzuregen von absolut Diabelli-variationalem Witz plus beethovenscher Kraft und gelegentlich noch chopinisquer Nocturne-Finsternis. Vor allem aber von einer Bravour und Intelligenz und Brillanz, die nur einigermaßen bewältigt, wer seine Finger vergessen kann, weil sie ohnehin präzis und gedankenvoll-unbewusst machen, was der Kopf fühlt und das Herz denkt.

Eine Sache für den weltbesten der Pianisten, Mikhail Pletnjev, wenn man denn so pauschal für alle Art Repertoire einen an die Spitze setzen will. Er macht etwas aus seiner mechanischen, virtuosen, materiellen Vollkommenheit: Das Beste, nämlich Kunst, bei der der Hochgenuss am Wie nicht das noch größere Vergnügen daran verstellt, sondern vermittelt und verstärkt, was hier gemeint ist und Gestalt und Empfindung geworden an Momenten aus dem großen Strom des Lebens (Fantasie op. 17 + Bunte Blätter op. 99 + Arabeske op. 18; DGG/Universal 474813).


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