Lauschangriff 15/07

Klassik-Kolumne Eine Rose ist eine Rose ist ein Satz vom Beginn einer Kunstmoderne, die es in den unterschiedlichen Genres zu unterschiedlicher Akzeptanz gebracht ...

Eine Rose ist eine Rose ist ein Satz vom Beginn einer Kunstmoderne, die es in den unterschiedlichen Genres zu unterschiedlicher Akzeptanz gebracht hat. Im Fall der Gertrude Stein zu Vergessenheit und viel Missverständnis, oft zu nicht mehr als einem Logenplatz im Fundus intellektueller Wichtigtuerei. Es ist ein schöner Satz, der ähnlich angenehme Heiterkeit auslöst wie Brechts hübsche Zuschaueranweisung aus derselben Zeit, nach der man im Theater nicht so romantisch glotzen möge. Ein Satz aus einer Ära immer gigantischerer industrieller Genozide und immer flauerer Erfahrungen mit diversen höheren Wesen, als die Kunst begann, sich auf sich selbst zu besinnen - auf ihr Material und auf den Menschen, der dieses Material nutzte zur Erkenntnis seiner selbst. Was bestimmte katholische Kardinäle wohl nie begreifen werden: In diesem Satz ist die beglückende Tatsache formuliert, dass eine Rose, ein Blau, ein Klang, nicht erst etwas gelten, wenn sie auf Anderes und Transzendierendes verweisen.

Man kann sich ergo an der Durchsichtigkeit eines Blau auch begeistern, ohne an den Himmel zu denken. Ein Ton - laut oder leise, hoch oder tief, scharf oder diffus und allein oder in tonaler oder atonaler Gesellschaft - muss nur erklingen zu seiner Zeit an seinem Ort, dann hat er Bedeutung und Realität, anders gesagt: Wer in jedem Urlaub ans selbe Ziel fährt, weil ihm Erholung nur das Altbekannte bringt, wird mit Neuer Musik nichts anzufangen wissen.

Kunst erzählt Geschichten, sie lässt Bilder entstehen. Nach beidem besteht seitens der Menschheit offenbar ein Bedürfnis. Ein großer Teil der Kunst diesseits des Satzes von der Rose, die eine Rose ist, unternimmt es im Unterschied zu dem Teil jenseits des Satzes nur eben nicht, Geschichten zu erzählen mit den Mitteln und dem Material der Kunst. Sondern die Mittel und das Material der Kunst bilden nun selbst die Geschichten oder - in der positiv gewendeten Begrifflichkeit des Kardinals Meisner: Sie sind sich selbst die Mitte.

Der Ton zum Beispiel in Helmuth Lachenmanns (geboren 1935) Schwankungen am Rand - Musik für Blech und Saiten von 1974/75 ist schon im Titel nicht mehr an bestimmte Musikinstrumente gebunden, sondern ans Material, aus dem die Instrumente gemacht sind - es muss, wie das dünne Blech, auf dem Donnerartiges entsteht, kein Teil dieser Instrumente sein. Die Spielanweisungen Lachenmanns sehen für die Instrumente nicht einmal die Erzeugung nur von Tönen vor: Töne, Geräusche, Klänge bedeuten gleich viel. Man muss, will man etwas von dieser Musik haben, genau hinhören und dabei sein, sozusagen mitten drin. Denn es gibt da keine geborgte Mitte mehr mit vielgebrauchten und oft variierten Erklärungen dafür, was einem beim Hören widerfährt. Musiken wie diese widerlegen die dröhnend leere Käuflichkeit der Event-Gesellschaft. Sie setzen an deren Stelle ein Kunsterlebnis von der prickelnden Wahrheit eines Ereignisurlaubs, der den Namen verdient (und für den man das Haus nicht einmal verlassen muss).

An der Imagination des Hörers vorbei wie am Fenster eines Reisenden fliegt die Musik in Isabel Mundrys (geboren 1963) Le Voyage von 1995/96. Da tauchen fast unmerklich Töne und Klänge auf aus der Unendlichkeit von Zeit und Raum, explodieren oder formieren sich in filigran gearbeiteten Schichtungen oder Ballungen. Auch gibt es bei Mundry und Lachenmann keine Hierarchie der Instrumente, nach der etwa Bass und Schlagwerk nur zur Begleitung vorgesehen sind. Angeregt von asiatischer Tradition entsteht bei Mundry in Le Voyage III aus dem raffinierten Zusammenwirken von Pauken und Becken, Gong, Triangel und anderem Schlagzeug eine knappe Minute klanglich, dynamisch und rhythmisch ereignishafter, Sinne und Geist beschäftigender und befriedigender Musik, bevor die Holzbläser die von den Perkussionisten gewiesenen Wege weiterverfolgen und ausdeuten.

Wer sich einlässt auf all das wie auf unbekannte Landschaften, wird Vertrautes wiederfinden, Melodien, kathartische Schürzungen, Befreiung. Er oder sie wird sich belohnt fühlen mit dem Glück des Andersseins im Unbenannten, im Wagnis - im Sieg übers Träge in allen.

Helmut Lachenmann: Orchestral works chamber music - SWF Symphonie Orchester, Ernest Bour/Staatsorchester Stuttgart, Lothar Zagrosek, Col Legno/Harmonia Mundi WWE 20511. Isabel Mundry: Le Silence - Tystnaden/ no one/ Spiegel Bilder/ Le Voyage - Klangforum Wien/Sylvain Cambreling ua. Wergo/note1 WER 6542-2


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