Lauschangriff 17/04

Kolumne Was hat eins nicht alles ins schöne Wort Volk hineingeträumt in Zeiten, als das schöne Wort Reform noch Gutes und als Zukunft und Rente noch ...

Was hat eins nicht alles ins schöne Wort Volk hineingeträumt in Zeiten, als das schöne Wort Reform noch Gutes und als Zukunft und Rente noch Sicherheit bedeuteten. Im Brockhaus findet man im Zusammenhang mit dem Wort Volk so unterschiedliche Dinge wie Volkshochschule, Volkssturm, Volkswagen und Volksvermögen. Dass es so etwas wie "politische Romantik" gegeben habe, belehrt einen das Lexikon und weiter, dass diese politische Romantik den Begriff Volk als "tragende Kraft des Lebens und der geschichtlichen Entwicklung" verstanden wissen wollte, kuck an! Die Biologie gebrauche ihn "im Sinn von Staat (ein Bienenvolk)", der Waidmann im Sinn von "Schwarm, Rudel, Kette (ein V. Rebhühner)", so der Brockhaus. Kein Wort von dem quasi soziologischen Begriff des Volkes, der dem einst als Linke sich (wohl)fühlenden Bevölkerungsteil selbstverständlich war und der sich bei Marx zum Beispiel im bekannten Zusammenhang mit Opium und Religion wieder findet. Kramt eins im Gedächtnis nach, was wir vorzeiten eigentlich mit "Volk" gemeint haben könnten, kommt nichts Gescheites ans Licht, geschweige etwas - so war ja der Anspruch - irgend Wissenschaftliches.

Das Gemeinte oder Vermeinte hat es indes tatsächlich gegeben. Es war, wie wir richtig vermuteten, im Großen und Ganzen mit der Bevölkerungsmehrheit identisch, deren Sozialisation von Ausbeutung, Unterprivilegierung, Rebellion und deren Unterdrückung geprägt war (und es immer noch ist). Die Sublimation dieser Erfahrung tönt bis heute aus jedem Volkslied und überhaupt aus allem, was vor langer Zeit aus Ritus und "Volksleben" heraus in die Kunst strömte und zu Kunst wurde.

Wer zuerst da war, der Tanz oder die Musik, ob die bösen Geister zuerst weggesungen oder weggetanzt wurden, das liegt im Dunkel jahrzehntausendealter Vergangenheit. Aller Anfang, der von aufgeschriebener Musik existiert, ist voller Volksmusik. Aus Schenken und Hochzeitshäusern, von Erntefeldern und aus Herrschaftsküchenfenstern drang sie durch dicke Mauern bis in Kirchen und Klöster. Mitte des 16. Jahrhunderts befasste sich sogar ein tridentinisches Konzil mit ihrem sündig sinnlichen, die Sinne verwirrenden Einfluss auf die Lithurgie der Una Sancta Catholica.

Als der böhmische Geiger, Gambist und Komponist Heinrich Ignaz Biber 1681 am Salzburger Hof seine acht Sonaten für luten-, theorben- und cembalobegleitete Violine schrieb, war der Tanz in ihnen jedenfalls längst allgegenwärtig. Und nicht allein im Verlauf der Musik als Ciacona, Passacaglia, Gavotte oder Gigue. Auch als Tanz des Bogens auf der Saite und der Finger auf dem Griffbrett und - wer weiß - auch als Tanz der Musikanten beim Vortrag.

Das britische Ensemble Romanesca - in seinem Namen schwingt etwas von der Spiellust und Virtuosität der Musik der Sinti und Roma mit - spielt Bibers Musik auf alten Instrumenten, wobei das Kratzen des Bogens auf Darm und das Poltern springender Finger auf Ebenholz die Vorstellung frühbarocker Derbheit und Lebenslust anschärfen. Der Geiger Andrew Mance bietet darüber hinaus neben einem erheblichen Quantum an Handwerklichkeit einen Sinn für Witz und Klangerotik, das den wehmütigen Gedanken nahe legt, zuzeiten Bibers seien - ähnlich wie in erlesenen Teilen heutiger Popmusik - Tanz und Kunst noch eine vibrierend energiegeladene Einheit gewesen (+Sonata Representativa, Sonata "La Pastorella", Passacaglia für Solovioline; 2 CD, harmonia mundi usa HMX 2907344.45).

Wie György Ligetis Concert romanesc von 1951, das zwar noch von den tradierten Parametern der Musik lebt, von pastoralen Melodien, tänzerisch-folkloristischer Metrik und romantisch farbigen Harmonien. Aber im letzten Satz dann doch förmlich überschäumt. Nicht nur - immer im Gestus romanischer Tanzmusik - über die Grenzen tradierter Polyphonie, Harmonik und Instrumentation. Mit einem Witz und einer Lebensfreude, die so nur in Volksmusik zusammen finden, setzt sich Ligeti hier spielend und tanzend und mit gleichsam meisterhaftem Augenzwinkern auch hinweg über Grenzen des Ernstes und der Weihe, wie sie im bürgerlichen Konzertsaal bedauerlicherweise bis heute üblich sind (+Lontano, Athmospheres, Apparitions, San Francisco Polyphony; Berliner Philharmoniker, Jonathan Nott; Teldec/Warner 8573-88261-2).


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