Lauschangriff 18/08

Musik Das Streichquartett ist ihr Schicksal. Ein ziemlich pathetischer Satz. Bezogen auf Sonia Simmenauer gibt er allerdings ziemlich genau die ...

Das Streichquartett ist ihr Schicksal. Ein ziemlich pathetischer Satz. Bezogen auf Sonia Simmenauer gibt er allerdings ziemlich genau die Wirklichkeit wieder. Was heißt schon Schicksal? Sonia Simmenauer lebt mit dem Streichquartett. Jeden Tag und wahrscheinlich auch manch schlaflose Nacht. Sie lebt vom Streichquartett (nicht nur materiell), sie liebt das Streichquartett.

Ihr Vater, ein Kinderarzt, fast ein Franzose, aber in Hamburg am Grindel aufgewachsen, dort, wo früher die Hamburger Juden wohnten, spielt Cello. Ein sehr guter, sehr alter Freund von ihm ist Walter Levin. Er spielt Geige und ist zufällig der Primarius des weltberühmten LaSalle Quartett. Das heißt, Sonia Simmenauer hat schon in Kindertagen, als sie aufwuchs in einem Vorort von Paris, den Klang im Ohr gehabt, der entsteht, wenn alte Freunde, einer der besseren bürgerlichen Traditionen folgend, nach Feierabend Streichquartett spielen.

Walter Levin kommt aus Deutschland, er lebt seit langem in den USA. Sonia Simmenauer wohnte bei ihm, als sie in den USA studierte. Sie lernte dort ihren ersten Mann kennen, Mitglied des Hamburger Brahms Quartett. So kam sie an die Elbe. Eigentlich hatte sie Psychologin werden wollen. Aber sie fand Arbeit in der Konzertagentur Schmid in Hannover, war dort für Streichquartette zuständig, fürs Alban Berg Quartett etwa oder das Guarneri Quartett. Die gehörten nicht nur zu den Weltbesten ihrer Zunft. Als Sonia Simmenauer Ende der achtziger Jahre eine eigene Agentur plante, wurden sie zum wichtigsten Startkapital des Impresariat Simmenauer.

Muss es sein?, fragt die Impresaria auf dem Titel ihres kürzlich erschienenen Buches, das sich mit dem Streichquartett beschäftigt. Nicht wissenschaftlich, langatmig, eher persönlich, diskret, umfassend. Leserin und Leser erfahren nicht nur, dass am Anfang von Schuberts a-moll Quartett die erste Geige von Moll nach Dur überleitet oder dass das Bratschensolo zu Beginn von Brahms op. 67 so schön ist, dass ein ungenannter erster Geiger - "weil ich ihm so gern zuhöre" - stets Gefahr läuft, darüber den eigenen Einsatz zu verpassen. Man nimmt auch verblüfft zur Kenntnis, dass das Cello im Flugzeug, wenn es denn im Zeitalter der Terrorhysterie überhaupt mitreisen darf, das fünfte Quartett-Ticket kostet. Oder dass Frau Simmenauer Sorge tragen muss, dass keine Quartett-Zimmer in der Nähe des Hotellifts gebucht werden, ein Lift ist nachts recht laut. Man wundert sich, dass das LaSalle Quartett mit sieben täglichen Übungsstunden gewiss keine Ausnahme bildet. Und erfährt, wie langwierig und heikel es ist, sich einig zu werden über die "richtige" Balance der Instrumente und darüber, was wann Haupt- und was Mittel- und Nebenstimme sein soll.

Spitzenquartettspezialisten sind so qualifiziert, dass sie spielend als Solist auftreten und mindestens doppelt so viel verdienen könnten. Sie spielen indes Quartett und bezahlen ihre Passion mit dem Leben: Quartettspieler müssen nicht unbedingt Freunde sein; sie müssen miteinander auskommen auf Gedeih und Verderb.

Wie beglückend solch ein Leben offenbar auch sein kann - für Ausführende wie für Nutznießer -, spürt man beim Hören der Ergebnisse. Das Artemis Quartett etwa, das sich unter Simmenauers Fittichen in den sieben Jahren seines Bestehens hoch gearbeitet hat in die Weltspitze und sich kürzlich auf zwei Positionen verändern musste, beweist auf der aktuellen CD (mit dem norwegischen Cello-Solisten Truls Moerk), dass es den Wechsel bewältigt zu haben scheint: Das Adagio in Schuberts C-Dur Quintett hat Seele und Form, das wilde Quartettsatz-Fragment Leidenschaft wie Disziplin. Oder das Kuss-Quartett, ein weiteres Juwel aus der Simmenauer-Schatulle: Mit Bridges schlägt es sinn- und lustvoll Brücken zwischen Renaissance und Neuer Musik. Muss es sein? Es muss.

Sonia Simenauer: Muss es sein? Leben im Quartett, Berenberg, 19 Euro. Streichquintett C-Dur D 956 - Artemis Quartett + Truls Moerk Virgin Classics 502113; Bridges, Musik von Ades, Dowland, Bennet, Strawinsky, Kurtag - Kuss Quartett, Sony Classical 88697092162

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