Lauschangriff 20/03

Kolumne Ein Kapellmeister, das war zuzeiten Bach/Haydn/Mozarts der Präses einer Hofkapelle. Er hatte, ein professioneller Alleskönner und Vielschreiber, die ...

Ein Kapellmeister, das war zuzeiten Bach/Haydn/Mozarts der Präses einer Hofkapelle. Er hatte, ein professioneller Alleskönner und Vielschreiber, die musikalische Leitung, plus die Verpflichtung zur Lieferung allfälliger Hofmusiken. Mit der Verbürgerlichung des Betriebs schnurrten Begriff und Aufgaben zusammen. Ab etwa zweite Hälfte 20. Jahrhundert war der Kapellmeister nur mehr die altmodische und meist langweilige - weil beamtenhaft routinierte - Niedrigvariante eines neuen Dirigententyps, der sich, spätestens seit Karajans Glanzzeiten, neben einigen Spitzensolisten, als Pultstar und Großverdiener zur Hauptattraktion des Klassikbetriebs aufplusterte.

Helmut Müller-Brühl - sein Name Müller legte es leis nahe, der Ortsname Brühl, von der Plattenfirma EMI vor langer Zeit aus bis heute ungeklärtem Grund hinzugefügt, verstärkte es sacht (das Rheinische Brühl war Müllers Geburtsort und langjährige Wirkungsstätte) - stand bis vor nicht allzu langer Zeit im Ruf so eines Kapellmeisters. Da er aber seinen Ehrgeiz von Anbeginn in die Erneuerung und Revitalisierung von als abgelebt geltenden Traditionen legte, erfuhr, fernab von den Lichtern der Öffentlichkeit, mit seinen Aktivitäten nicht nur die Musik, der er sich widmete, sondern auch der Beruf, den er ausübte, neue Kraft und Gültigkeit.

Schon der 25-jährige Geiger Müller gründete seine erste Kapelle. Aus ihr ging 1960 das Kölner Solistenensemble hervor, eine Formation, bestehend aus den besten Kräften von Musikhochschulen und etablierten Orchestern der Gegend. 1964 startete Müller in den Noch-Ruinen des Brühler Schlosses eine erfolgreiche Konzertreihe und übernahm dafür zugleich für sein Solistenensemble Namen und Geist des 1923 von Hermann Abendroth gegründeten Kölner Kammerorchester.

Das konzertiert 39 Jahre später immer noch. Und zwar auf eine für sein Alter so erstaunlich frische, motivierte und schlüssig zeitgenössische Art, dass es die Juroren des renommiertesten Klassik-CD-Preises, Cannes Classical Award, für seine Aufnahmen der Bachschen Orchestermusik unter Müller-Brühls Leitung 2001 schlankweg auszeichneten (Orchestersuiten NAXOS 8.554609 u.a.).

Müller-Brühl ließ das Orchester, kaum dass Spezialisten wie Nikolaus Harnoncourt und Gustav Leonhardt damit Furore gemacht hatten, schon früh in den Siebzigern praktische Erfahrungen auf originalen Barockinstrumenten machen. Still und gründlich, wie es seine Art ist, bildete er parallel zum Kölner Kammerorchester aus dessen Pool ein historisch armiertes Ensemble, so dass jeder seiner Musiker lernte, in beiden Welten zu leben und darüber hinaus, die Erfahrung in der einen Welt der je anderen zugute kommen zu lassen.

Die historische Aufführungspraxis, deren Erkenntnisse sich Müller-Brühl für seine Bach-Interpretationen und für alles weitere bis über Beethoven hinaus zunutze macht, kommt in seiner Lesart freilich nicht so fast anstrengend demonstrativ daher wie in manch anderen Leistungen der Richtung. Insonderheit seine Haydn-CDs profitieren von Müller-Brühls "aufgeklärtem Historismus" (Ingo Harden). Sie erfassen das schwer zu treffende Haydnidiom aus Kalkül, Überraschung und - meist guter - Laune intuitiv, klingen keck und akkurat, durchsichtig und derb dabei, so als bedienten sie sich alter Instrumente. (Sinfonien Nr. 41, 58 und 59 - "Feuersinfonie" -, NAXOS 8.557092).

Die Kapelle spielt auf neuen. Die Spielerfahrung und musikologische Neugier des historischen Ansatzes kommt indes auch ihren Aufnahmen mit Mozart-Sinfonien zugute. Ohne allerletztes und vielleicht unnötiges Risiko zu gehen, sind sie von geschliffener Spielfreude und haben die gewitzte Wehmut des frühen, den dramatischen Humor des späten Mozart (zum Beispiel Salzburger Flötensinfonien K. 114, 130, 134, 199 NAXOS 8.551204 und K. 550, 551 NAXOS 8.551071).

Der rheinische Lokalmatador Müller-Brühl, der fast zum Weltstar wurde, wird heuer 70. Sein Leben erzählt davon, wie einer groß werden kann im Kleinbleiben und bei sich bleiben im Großseinmüssen. Dass man ohne die Zierde der Bescheidenheit weiter kommt, weiß seit den Zeiten, als man über solche Wahrheiten noch lachen konnte, der Volksmund. Hin und wieder aber, Müller-Brühl ist ein rares Beispiel dafür, scheint es doch noch vorzukommen, dass man auch mit ihr ziemlich viel erreicht.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden