Lauschangriff 24/03

Kolumne Wenn eins schon etwas älter ist, hatte es womöglich seit Jahren seinen Verdruss mit dem kuranten Kult um Jugend und Jungsein. Nun hat aber das ...

Wenn eins schon etwas älter ist, hatte es womöglich seit Jahren seinen Verdruss mit dem kuranten Kult um Jugend und Jungsein. Nun hat aber das Marketing via Kaufkraftanalyse auch die älteren Herrschaften und ihre Zahlungsfähigkeit entdeckt. In der Werbung und im verbleibenden Rest der Medienwelt tauchen letzthin verdächtig viele teuer ausgemergelte und fitnessbegradigte Menschen auf, Armani-Brillenträger mit neuen, langen Zähnen, nahtloser Bräune und mehr als 50 und 60 Jahren auf dem Buckel.

Hohe Zeit ergo, sich um die Jugend zu kümmern. Denn was immer man über deren bedenkliches und ziemlich verbreitetes Faible für Synthetisches, Vorgekochtes oder gar Rohes sagen kann - sie hat ihre auf immer neue Art eigenen, ihre ganz wunderbaren und unnachahmlichen Seiten und Qualitäten. Mit einer Ausnahme: Sie war nie jung.

So kann man in der Musik durchaus ein durchschnittlich älteres Orchester mit einem älteren Dirigenten erleben, denen - wie zum Beispiel der 70-jährige Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus musicus Wien (Frühe Mozart-Sinfonien, Teldec 3984-25914-2) - die jugendlich alerte Auslegung eines Werks gelingt. Jugendlichkeit, sagt man unbeschadet nicht zu übersehenden äußeren Welkens und Entfärbens, ist am Ende keine Frage des Alters, schon gar nicht in der Musik, wo äußere Gestalt nicht biologisch mit Wesen und Zeitlichkeit verwachsen ist.

Unvorstellbar dagegen, dass ein Ensemble wie das oben skizzierte Haydns Cellokonzerte identisch hinkriegt mit der Interpretation des 21-jährigen französischen Cellisten Gautier Capucon im Verein mit dem aus Spitzenabsolventen europäischer Musikhochschulen gebildeten, turnschuhfrischen Mahler Chamber Orchestra und dem mittlerweile 28 Lenze zählenden britischen Immernoch-Wunderknaben Daniel Harding am Pult. Mit so inbrünstig gespieltem Ernst, so körpervergessener Leichtigkeit und mit derart munter professioneller Unverdrossenheit kann nur auftrumpfen, wer zum Beispiel noch nie mit Schrecken erkennen musste, dass er jemandem soeben eine alte - und gewiss schöne - Geschichte zum vierten Mal erzählt hat (Virgin Classics/EMI
7243 5 45583 2).

Der Chinese Yundi Li ist 21. Er war 20, als er seine Liszt-CD aufnahm und 17, als er zum ersten Mal mit dessen h-moll Sonate in Berührung kam. Dass auch Interpreten aus Fernost die europäische Kultur inklusive dazugehörigem Zeit- und Formgefühl zur Gänze in sich aufnehmen und plausibel reproduzieren können, steht außer Zweifel (hat man je von einer vergleichbar einfühlsamen Asienkompatibilität eines Europäers gehört?). Dass ihnen eine gediegene, das Glaubliche oft entgrenzende Spieltechnik eignet, gilt als selbstverständlich. Was der junge Chinese, weit darüber hinaus, an Durchblick mitbringt beispielsweise in Bau und Geist der grüblerisch rätselhaften h-moll Sonate, und wie nachgerade arglos im Umgang mit den Bravourwirbeln der Partitur er deren Logik, Phrase für Phrase, durchbuchstabiert, makel- und mühefrei als wär´s ein Stückchen Hausmusik, das kann nur einer, der erstens von der Natur verschwenderisch ausgestattet wurde für´s höhere Klavierspiel mit Begabung, Physis und Reflexen - und der intelligent genug ist, Kraft und Direktheit jugendlichen Zugriffs nicht zu verplempern an glamouröse Protzerei.

Man weiß nicht, was er mit Scarlatti oder Mozart anstellt. Aber Liszt, und gerade dessen Tiefstes und Vertracktestes, scheint ihm wie in die Hände komponiert. Der ältere Liszt, glaubt man da zu hören, hat solch Musik und besonders deren zirzensisch Schwindel erregende Passagen mit geradezu demonstrativer, dem Narzissmus selbstbegeistert die Zügel schießenlassender Unbekümmertheit hingesetzt. Selbst die nachdenklich dunklen Momente lotet der Chinese mit für sein Alter stupendem Sinn für Dramaturgie aus bis auf den Grund. Man hätte ihm all das vielleicht nicht zugetraut, hätte er auf seiner Liszt-CD nur virtuose Leckerli geboten wie die Campanella, den Liebestraum Nr. 3 oder die Tarantella. Da er sie aber, gleichsam als großzügige Encore-Zuteilung nach einem begeisternden Hauptstück, wie "nur so nebenbei" im Gepäck hat, nimmt man am Ende entspannt und fasziniert zur Kenntnis, dass da einer, bei aller gedanklichen Obacht, in der Genialität seiner Finger badet und schwelgt und alles auf die Spitze treibt - wenn Jugend im Treiben und Schwelgen denn überhaupt ein Maß kennt (DGG/Universal
474297-2).

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