Lauschangriff 25/04

Wer die wenigen Fotografien kennt, auf denen Anton Bruckner zu sehen ist, wird sich wundern: Ein zwar kräftiger und knochiger, aber fast zwergenhaft ...

Wer die wenigen Fotografien kennt, auf denen Anton Bruckner zu sehen ist, wird sich wundern: Ein zwar kräftiger und knochiger, aber fast zwergenhaft untersetzter Mensch ist da zu sehen, die Haare kurz geschoren, die Kleidung überall größer als nötig. Es sieht wahrhaftig so aus, als sei dem 1824 im ober-österreichischen Ansfelden geborenen Komponisten sein Leben zu groß gewesen, seine Kunst und am Ende sogar sein Ruhm.

Verblüffend sind diese Bilder vor allem für Musikfreunde, die nach der Bekanntschaft mit Bruckners Musik hinter ihr einen Menschen vermuteten, der im Äußeren wenigstens annähernd den überall ins Großartige, Monumentale, ja Gewaltige drängenden Dimensionen seines Werks entspricht. Allerdings stößt man bei Anton Bruckner auch im Innern, statt auf riesige Klanggebirge, auf klaftertiefe Abgründe. Er hat sich eingegraben vor der Welt. Den Lebenskreis, in den er hinein geboren wurde, hat er kaum verlassen, die Gegend um Linz und St. Florian, wo er, armer Leute Kind, in der Schule verschiedene Instrumente, vor allem die Orgel, zu spielen lernte, mit 17 die erste Messe schrieb, als Komponist ausgebildet wurde und 21-jährig die Hauptschullehrerprüfung ablegte. Seine Kontakte mit dem Rest der Menschheit beschränkten sich auf einen lebenslang innigen Verkehr mit der katholischen Kirche in jederlei Gestalt. Bruckner war von kindlich-naiver Religiosität. Sein tiefer Glaube an die ewige Zuneigung des Allmächtigen brachte indes armselig dürftige Beziehungen zum anderen Geschlecht mit sich, ersatzweise traurig einsame, verstohlen-verborgene Ausflüge in die Nekrophilie und andere Mitleid heischende Sonderlichkeiten. Mehr als allfällige Bekanntschaften mit Amts- und Berufskollegen waren ihm nicht beschieden. Und, nicht zu vergessen, er war Mitglied der Linzer Liedertafel "Frohsinn".

Den Status des ewigen Provinzlers hatte Bruckner soweit verinnerlicht, dass er sich erfolgreichen Kollegen wie Brahms oder Wagner gegenüber zeit seines Lebens klein und unsicher fühlte und machte. Bizarres Indiz dafür: das Gewirr immer neuer Fassungen der Mehrheit seiner neun Sinfonien. Die Siebte ist auch darin Ausnahme, insofern es von ihr nur eine Version gibt. Sie wurde 1884 von Arthur Nikisch in Leipzig uraufgeführt und ist bis heute Bruckners beliebtestes Werk. Obwohl sie für den Komponisten den Durchbruch bedeutete - er war sechzig -, war mit ihrem Erfolg der Streit um dessen Musik nicht beendet. Allen voran hauten der Kritikerpapst Hanslick und dessen Freund Brahms ihm eine Sinfoniekonzeption um die Ohren, die Bruckner, der auf seine Art neue Wege ging, nie im Sinn hatte.

Die Großräumlichkeit, harmonische Kraft und Farbigkeit seiner Sinfonik löst bei Hörern spontan die Vorstellung von Monumentalität aus. Bruckner selbst hat in einer Art Zirkelschluss all dies auf seinen lieben Gott zurück geführt. Dem intimeren Blick auf Machart und Faktur seiner Musik fällt der irdische Kopf auf, der da am Werk war: Ein zwar gnadenloser und fast zwanghafter, als Kunstmalocher aber sehr hiesiger Formtüftler, der nicht ruhte, bis alles mit allem in Beziehung stand.

Philippe Herreweghe ist nicht der Erste, der sich Bruckner mit den Erfahrungen und Instrumenten historischer Aufführungspraxis nähert. Er ist der für den genuinen Brucknerklang und dessen Riesenarchitektur bisher Sensibelste und Souveränste. Die Instrumente der Brucknerzeit erlauben ihm, mit seinem aufgestockten Orchestre des Champs-Elysées, Bruckners Methode gleichsam en detail erlebbar zu machen: Nicht motivisch-thematische Arbeit wie bei Beethoven und nicht entwickelnde Variation wie bei Brahms. Sondern kaleidoskopartig sich immer neu und zu Riesenbögen und Riesenräumen gruppierende Motivbausteine, über die sich - im Leitsystem der rhythmischen Verläufe Bruckners - ein feines Netz kleinmotivischer Beziehungen zieht. Man meint das zu hören. Denn darmbespannnte Streicher und altmensurierte Bläser klingen plastischer, sie bringen - gliedernd - eigene Farben ein in den Gesamtklang. Und sie lassen die Melodien, von denen es in der Siebten so viele gibt wie sonst nirgends bei Bruckner, leuchten und eindringen, bevor sie wieder untergehen in die Harmonieschichten dieser atemberaubend und herzerweiternd vielgestaltigen Musik.

Bruckner-Sinfonie Nr. 7, Orchestre de Champs-Elysées, Direction: Philippe Herreweghe, Harmonia Mundi France, HMC901857


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden