Lauschangriff 26/03

Kolumne Bearbeitungen sind so eine Sache. Das Genre ist nämlich auf den Hund gekommen, seit im 19. Jahrhundert populär Sinfonisches oder Opernhits - zu zwei ...

Bearbeitungen sind so eine Sache. Das Genre ist nämlich auf den Hund gekommen, seit im 19. Jahrhundert populär Sinfonisches oder Opernhits - zu zwei oder zu vier Händen - massenhaft fürs häusliche Klavier der gehobenen Stände eingerichtet wurden. Was dagegen Musiker, abseits gängiger Hausmusikvermarktung, zu allen Zeiten gemacht haben, aus einer von paraphrasierender Bewunderung bis zur Coverversion reichenden Bearbeitung fremder, oder aus neuer Sicht auf eigene Werke, das ist oft erstaunlich.

Für Bach war es beispielsweise kein Problem, Pergolesis Stabat Mater ein wenig umzuinstrumentieren, ihm den Text des Psalms 51 zu unterlegen und das Ganze als die Kantate Tilge Höchster meine Sünden BWV 1083 zu veröffentlichen (Balthasar Neumann Chor und Ensemble, Thomas Hengelbrock, DHM/BMG 05472 77508 2). Haydns Streichquartettversion seiner Sieben Worte unseres Erlösers am Kreuz darf man mit Fug der Oratorienfassung vorziehen (Quatuor mosaique, Astrée/HMF E 8803). Beethoven machte aus seiner 2. Sinfonie, er war gut im Geschäft, ein Klaviertrio. Und Arnold Schönberg, Meister neuschöpferischer Bearbeitung und Großkenner musikalischer Tradition, ließ Brahms´ Klavierquartett g-moll unter der Hand zum brahmsgerecht-sinfonischen Meisterwerk werden (Houston Symphony, Christoph Eschenbach, RCA/BMG 09026 68658 2).

Aber wer kennt schon Peter Lilienthal? Er lebte von 1750 bis 1853, war also sechs Jahre älter als Mozart und überlebte ihn um 62 Jahre. Geboren wurde er in Pressburg, promovierte dort zum Doktor der Medizin und übersiedelte als solcher 1810 nach Mailand, wo er bis zu seinem Tod blieb. Er wäre im Zusammenhang dieser Kolumne nicht von Belang, hätte er sich aufs Menschenheilen beschränkt. Aber er schrieb als Mailandkorrespondent der Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung Musiktexte mit so interessanten Titeln wie Harmonik für Damen, Der musikalische Arzt oder Abhandlung von dem Einflusse der Musik auf den menschlichen Körper. Und er komponierte über 50 Werke, unter anderem sieben Ballettmusiken für die Scala. Schon vor seinem Umzug nach Italien hatte er sich übermäßig für Musik interessiert, speziell für Mozart, dessen Witwe Constanze er getroffen haben soll, was er sich in seiner 1816 erschienenen Mozart-Biographie zunutze gemacht haben wird. Wie detto seine Freundschaft mit Mozarts Sohn Carl Thomas, der damals in Mailand Musik studierte (um dann Beamter in Neapel zu werden).

Carl Thomas stellte ihm vermutlich das Autograph der Komplettierung von Mozarts Requiem-Fragment zur Verfügung, das der Mozartschüler Süßmayr auf dringenden Wunsch der Witwe gleich nach Mozarts Beerdigung angefertigt hatte. Und Lilienthal, der zuvor schon die Entführung ins Italienische übersetzt und einen Klavierauszug des Idomeneo hergestellt hatte, verwandelte das große sinfonische Vokalwerk in die kontrapunktischen Dialoge und durchsichtigen Klangschichtungen eines Streichquartetts.

Eine Verkleinerung? Fraglos ja, zumindest quantitativ. Aber Größe und Feierlichkeit sind bei Mozart keine Frage von Quantitäten, schon gar nicht des Instrumentariums. In der kleinen Besetzung geht nichts verloren von der scheinbar naiv erhabenen Universalität dieser Musik, im Gegenteil, klarer als das angesichts großer Chöre, Soli und Orchesterstrukturen möglich wäre, ertönt hier, gleichsam en miniature, das Skelett der Komposition. Im kleinen Maßstab wird deutlicher als im großen, wie Mozarts Totenmesse sich neben den trüb transzendierenden, ganz entschieden auch den lebensfroh diesseitigen Tönen widmet. So klingt das Kyrie am Beginn als Streichquartettfuge für ein Requiem irritierend aufgeräumt und von den ersten Takten des Introitus weg geht es in Mozarts letztem Großwerk mehr, ja wesentlich dramatisch und weniger sakral zu, was die katholische Kirche, wenn ich recht informiert bin, zum Boykott des Stücks in ihren Kirchen bewog. Ein ganz besonderer Genuss dieser Rarität auf dem CD-Markt: Wie es Sigiswald Kuiken - er dirigierte oft auch schon die Originalfassung - und seinen Musikern gelingt, auf ihren alten Instrumenten die je spezifischen Farben von vokalen Solostimmen (die Bratsche als Tenor), Chor- und Orchester zu treffen (Kuijken Kwartett; Challenge Classics/Note 1 CC 72121).


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