Gute Landwirtschaft für alle?

Konsum Letztes Wochenende startete die "Grüne Woche" in Berlin. Doch vielen Menschen scheint die bedrohliche Lage des massenhaften Fleischkonsums nicht bewusst zu sein

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Armes Schwein auf der "Grünen Woche"
Armes Schwein auf der "Grünen Woche"

Foto: Johannes Eisele/ AFP/ Getty Images

Am vergangen Freitag startete die „Grüne Woche“ in Berlin. Bis zum Sonntagabend wurden in den Messehallen am Berliner Funkturm um die 120 000 Besucher erwartet. Die Veranstalter sprachen von einem „Super-Auftakt“. Die „Grüne Woche“ ist die weltweit größte Agrarmesse. Dieses Jahr waren 1650 Aussteller aus 70 Ländern vor Ort, die ihre Produkte und Dienstleistungen aus Landwirtschaft, Ernährungsindustrie und Gartenbau den Messebesuchern präsentierten.

Am Rande der Messe kam es, wie im Vorjahr, zu einer Demonstration. Mehr als 30 000 Menschen gingen gegen die Agrarindustrie auf die Straße. Bauern führten den Demonstrationszug auf 60 Traktoren durch das Regierungsviertel an. Ein breites Bündnis aus Tierschutz- und Umweltorganisationen forderte die Bundesregierung dazu auf, eine Wende in der Landwirtschaftspolitik durchzuführen. Sie wandten sich ebenso gegen die Massentierhaltung und Genmais wie gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen (TAFTA), sowie der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der Europäischen Union. Die Aktion fand unter dem Motto „Wir haben es satt! Gutes Essen. Gute Landwirtschaft. Für Alle“ statt.

Massenhaftes Töten der Tiere

Wie bedeutend der Protest ist, zeigen uns seit langem diverse Zahlen und Auswirkungen des massenhaften Fleischkonsums. Seitdem Fleisch zu einem billigen Nahrungsmittel verkommen ist, wurde das Töten der Tiere hochindustrialisiert. Im Zuge der Industrialisierung setzte weltweit eine Zentralisierung der Schlachthöfe ein. In den USA ist die Zahl zwischen 1967 und 2010 von fast 10 000 auf weniger als 3 000 Schlachthöfe gesunken. Heute werden dort von zehn Konzernen 88 Prozent aller Schweine geschlachtet. Es ist unvorstellbar, welche Ausmaße die globalen Kapazitäten erreicht haben. Die größte US-Gesellschaft Tyson Foods schlachtet 42 Millionen Hühner, 170 000 Rinder und 350 000 Schweine pro Woche. Weltweit wurden 2011 schätzungsweise 58 110 000 000 Hühner, 296 000 000 Rinder und 1 383 000 000 Schweine geschlachtet.

Dass jedoch nicht nur die Tiere durch den Massenkonsum leiden, sondern auch viele Menschen, scheint den zahlreichen Konsumenten nicht bewusst zu sein. Mittlerweile gibt es auch in den Boomländern Hochleistungsfabriken. Nach den jüngsten Fleischmittelskandalen wurden strengere, meist auch sehr kostspielige Vorlagen eingeführt. Zusätzlich besteht ein Kampf um die niedrigsten Schlachtpreise, die vor allem auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen werden. Weltweit arbeiten Millionen Menschen in Schlachthöfen. Ihre Arbeit wird als „dirty work“ bezeichnet. Soziale und kulturelle Anerkennung gibt es nicht. Geprägt ist die Arbeit durch Dumpinglöhne, katastrophale Arbeitsbedingungen, hohe Arbeitsgeschwindigkeiten, sowie Monotonie der immergleichen Abläufe. Hinzu stößt eine erhöhte Unfallgefahr durch den Einsatz von Chemikalien und gefährlichen Werkzeugen. Es kommen auch, je nach Arbeitsplatz Hitze oder Kälte dazu, Lärm, ein erhöhtes Risiko durch Infektionskrankheiten, außerdem sehr frühe oder später Arbeitsschichten.

Verschwendung von kultiviertem Land

Ein weiteres großes Problem ist die Vergeudung von Ackerland. Man stellt sich einen Bauernhof vor, dessen Rinder, Schafe oder Ziegen auf den Weiden stehen und Gras fressen. Eine sehr romantische Vorstellung, aber so ist es natürlich heute nicht mehr. Diese Tiere sind Wiederkäuer und die idealen Grasfresser. Allerdings erhalten sie mittlerweile eiweißhaltiges Kraftfutter, um mehr aus den Tieren herauszuholen. 20 bis 30 Prozent des Rindfutters besteht daraus. Schweine erhalten, abhängig von ihrem Alter, 6 bis 25 Prozent Soja. Weltweit gehen 57 Prozent der Gersten-, Roggen-, Hirse-, und Maisernte in die Futternahrung. Des weiteren gehen in den USA und der EU 44 bzw. 45 Prozent in die Tröge. In Afrika hingegen wird 80 Prozent der Getreideernte von Menschen gegessen, obwohl dort eine hohe Armut herrscht. Wenn man sich die globalen Zahlen genauer ansieht, dann wandern von der jährlichen Getreideernte über 40 Prozent oder ca. 800 Millionen Tonnen direkt in die Tröge. Hinzu kommen 250 Millionen Tonnen Ölschrote, die vor allem aus Sojabohnen bestehen. Dabei wäre es sinnvoller und effizienter sie für die Herstellung von menschlicher Nahrung zu verwenden, denn auf unserer Erde gibt es eine Fläche von 14 Milliarden Hektar kultiviertem Landes. Ein Drittel davon dient dem Anbau von Futtermitteln.

Der UN-Welttagsbericht schätzt, dass heute 70 Prozent der globalen Äcker und Weiden zur Tiernutzhaltung beansprucht werden. Zusätzlich entstehen durch die Trennung von Futter- und Fleischproduktion lange Wege bei der Ernte. Die Folge ist, dass die Produzenten die Gülle kostenpflichtig entsorgen müssen. Dort, wo das Futter herkommt, wird in großen Mengen künstlicher Dünger und Pestizide eingesetzt. Zu guter Letzt steigt die Getreideproduktion nicht mehr überall. In vielen Ländern stagnieren die Erträge. In Großbritannien, einst das Land mit der größten Getreideproduktion, sind die Ernten seit 20 Jahren gesunken. Der Grund dafür ist, so meinen britische Forscher, dass Weizen und Raps durch Großmaschinen geerntet werden, die jedoch die Böden zerstören. Global sind vier Getreidearten – Mais, Reis, Weizen, Soja – betroffen. Die Ernte wächst weltweit nur noch um 0,9 bis 1,6 Prozent.

Es gibt bisher eine große Anzahl von Organisationen und Netzwerken, die sich für naturgemäßere Agrarsysteme einsetzen oder gesündere Nahrung, sowie weniger Fleischmahlzeiten in Schulen und Krankenhäusern. In den westlichen Gesellschaften existieren Organisationen wie „Eurogroup for Animals „ oder „Peta“, die sich für Tierschutz einsetzen. Doch es gibt auch Initiativen, die sich für die Ärmsten der Welt einsetzen. Für Menschen, die als Viehzüchter leben oder in kleinen Betrieben auch Tiere züchten. Eine dieser Organisationen ist „Via Campesina“. Hierbei handelt es sich um eine internationale Bauernbewegung, die ca. 200 Millionen Bauern vertritt. Sie setzt sich für kleinbürgerliche und nachhaltige Landwirtschaft ein, um soziale Gerechtigkeit und Würde zu fordern. "More and Better" besteht aus einem Netzwerk von sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und nationaler Kampagnen. Sie fördern die Landwirtschaft und ländliche Entwicklung in armen Ländern. Außerdem versuchen sie die Ernährungslage in diesen Ländern zu verbessern. Auch individuell kann man andere Arten der Ernährung finden wie Vegetarismus oder Veganismus. Am Ende jedoch entscheidet die Gesellschaft.

Alle Daten stammen aus dem Fleischatlas 2014 (Hsg. Heinrich-Böll-Stiftung

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Geschrieben von

Stefan Simon

Journalist in Süd-Ost-Niedersachsen, kommt aber eigentlich aus Süd-Hessen. Schreibt jetzt wöchentlich über politische und gesellschaftliche Themen.

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