Lernen von Lateinamerika

Europa Lateinamerika hat die Krise bereits überstanden und einige Länder konnten sich von der neoliberalen Logik befreien. Europa kann das auch. Die Hoffnung kommt aus Athen

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Am 9. November 2013 hielt der ecuadorianische Präsident Rafael Correa an der Sorbonne in Paris eine Rede über die Eurokrise. Zu Beginn schildert er, dass die Lateinamerikaner sich gut mit Krisen auskennen würden und diese miserabel gemanagt hätten. Es habe immer nur ein Ziel gegeben: die Interessen des Kapitals zu schützen. „Heute sehen wir mit Sorge, wie Europa genau den gleichen Weg einschlägt“, so Correa.

Lateinamerika ist gespalten. Einige Länder führen den neoliberalen Kurs und die starke wirtschaftliche Bindung zu den USA weiter. Andere wiederum haben sich von der wirtschaftsliberalen Logik abgewendet. Rafael Correa spricht von einer verlorenen Generation, die in den 1980er von der Schuldenkrise betroffen waren.

Neoliberale Konzepte wurden erstmals durch den Militärputsch von 1975 gegen die Unidad Popular von Salvador Allende in der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Praxis umgesetzt. In Uruguay (1973) und Argentinien (1976) haben die Militärregierungen ebenfalls versucht ein liberalisiertes Modell zu etablieren. In Mexiko fungierte der Neoliberalismus 1986 als eine praktisch-politische Leitlinie. In den 1970er Jahren häuften die Länder in Lateinamerika eine gewaltige Summe an Auslandsschulden an, weil sie auf das Modell der Importsubstitution gesetzt hatten. Dies bedeutete, dass die bisher importierten Waren selbst produziert wurden. Die massenhafte Aufnahme von Schulden zur Finanzierung der Krise stellten der IWF und die Weltbank zur Verfügung.

Am 13. August 1982 kam es dann zur Zahlungsunfähigkeit von Mexiko. Die Zinssätze für die bestehenden Schulden schossen in die Höhe und Lateinamerika war vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten. Die Zinsen zur Aufnahme neuer Kredite betrug nun 20 Prozent, während sie zuvor bei 4 und 6 Prozent lagen. Von 1980 bis 1991 wuchs der Schuldenberg von 223 Milliarden auf 443 Milliarden Dollar an. Die Schuld an der Krise sahen die Länder des Nordens und die internationalen Organisationen ganz allein in der Überschuldung der Staaten. Die Parallelen könnten eindeutiger nicht sein, denn auch den Griechen, den Spaniern oder den Portugiesen gab man die alleinige Schuld an der Krise in der EU. Wie in Europa wurden auch den verschuldeten Staaten in Lateinamerika vom internationalen Währungsfonds Absichtserklärungen vorgelegt. Eine Wahl hatten sie nicht. Ohne Unterschrift kein IWF-Darlehen. Die darin formulierten Bedingungen lauteten: Sparmaßnahmen, höhere Preise für öffentliche Dienstleistungen, Privatisierungen. Der Neoliberalismus wurde somit als neues Entwicklungsmodell unter dem Begriff „Washingtoner Consensus“durchgesetzt.

Europa macht die gleichen Fehler

Europa hat sich dem Druck von IWF und Weltbank ähnlich gebeugt wie zuvor die Staaten in Lateinamerika. Das Vertrauen in den Staat und das Misstrauen gegenüber den Märkten wurde abgelöst von Freihandel, Deregulierung und Privatisierung. Ein kurzer Blick auf Griechenland reicht: Das griechische Haushaltsdefizit war dreimal so groß wie von der Regierung gemeldet, trotzdem erhielten sie Kredite der europäischen Banken, die so getan haben als hätten sie davon nichts gewusst. So wurde wieder das Problem der Überschuldung angeprangert, die Banken dagegen kamen davon.

Hinzu kommt der Mangel an politischer Führung, sowie die enorme Schwäche der gesamteuropäischen Linke. Als Francois Hollande 2012 zum Präsidenten in Frankreich gewählt wurde, galt er als Hoffnungsträger der Linken. Er hatte dem Großkapital in Europa mit seinen Versprechungen den Kampf angesagt, doch ist zwei Jahre nach seiner Wahl von seinen Vorhaben nichts mehr übrig. In Spanien und Portugal wurden die sozialistischen Parteien unter der Führung von Jose Zapatero und Jose Socrates von den Wählern abgestraft, weil sie den Bedingungen zustimmten unter den Rettungsschirm der Europäischen Union zu schlüpfen. Auch hier fehlte der Mut und der Wille an politischer Führung.

Europa benötigt einen New Deal

Die Hoffnung kommt aus Athen. Alxis Tsipras, Parteichef der griechischen Linkspartei Syriza, wurde zum Spitzenkandidaten für den Posten des Präsidenten der EU-Kommission von der Europäischen Linke (EL) nominiert. Laut aktuellen Prognosen könnte die EL ihren Stimmenanteil verdoppeln und sogar drittstärkste Fraktion im Europäischen Parlament werden. Alexis Tsipras hat es geschafft die zerstrittene Linke hinter sich zu vereinen. Er strebt ein Programm ohne größere Veränderungen oder neuer Institutionen an. Darunter fällt, dass ein beträchtlicher Teil der öffentlichen Schulden abgeschrieben werden solle. Dabei schlägt er vor, dass eine internationale Schuldenkonferenz ins Leben gerufen werden müsse. Als Vorbild dient die Londoner Konferenz von 1953. Damals stimmten die 22 Staaten einer Streichung von 62,5 Prozent deutscher Staatsschulden zu. Der dritte Punkt wäre die Schaffung eines gesamteuropäischen Konjunkturprogramms, dem europäischen New Deal. Tsipras ist der Meinung, man müsse alle Banken einer einzigen Behörde unterstellen und einen gemeinsamen Versicherungsfonds für alle Bankeinlagen in der Eurozone schaffen.

Ein weiterer Punkt ist die Solidarität, denn die ärmsten Bürger in Europa benötigen Hilfe. Außerdem könne man aus den Gewinnen, die sich bei nationalen Zentralbanken ansammeln, zwei Programme finanzieren. Desweiteren sollen Lebensmittelcoupons eingeführt werden, außerdem fordere er einen Sockelbeitrag für Arbeitslose, um die extremste Armut zu mildern.

Tsipras ist fest davon überzeugt, dass es Mittel und Wege gäbe die Eurozone zu stabilisieren, sobald eine Syriza-Regierung an die Macht käme, sowie ein gutes Abschneiden einer breiten Front von Gegnern der Austeritätspolitik nach den Europawahlen. Alexis Tsipras hat die Möglichkeit einen mediterranen Block gegen die neoliberale Hegemonie um Angela Merkel zu bilden und somit für eine Alternative zu sorgen.

Rafael Correa geht als Präsident seines Landes bereits einen anderen Weg: Zusammen mit neun Staaten aus Lateinamerika und der Karibik ist Ecuador Mitglied bei dem Bündnis Bolivarische Allianz für Amerika (ALBA), das sich als Alternative gegen die von der USA geplanten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA versteht. Die Staaten beschließen Kooperationsabkommen und bemühen sich hierbei um solidarische Handelsbeziehungen. Das Bündnis wurde Ende 2004 von Venezuela und Kuba ins Leben gerufen.

Rafael Correa appelliert am Ende seiner Rede in Paris an die Europäer, dass „aufgrund des rhetorischen Trommelfeuers der sogenannten Wirtschaftswissenschaften und der internationalen Bürokratien heute viele Bürger der Überzeugung sind, dass die gegenwärtige Politik alternativlos sei." Doch das ist ein Irrtum.

Daten und Fakten stammen aus folgenden Quellen: Bolivars Erben - Linksregierungen in Lateinamerika von Dieter Boris. Erschienen 2014 im PapyRossa Verlag

Rede von Rafael Correa, dokumentiert und veröffentlicht in der Le Monde diplomatique am 13.12.2013

Rede von Alexis Tsipras, dokumentiert und veröffentlicht in der Le Monde diplomatique am 13.12.2013

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Simon

Journalist in Süd-Ost-Niedersachsen, kommt aber eigentlich aus Süd-Hessen. Schreibt jetzt wöchentlich über politische und gesellschaftliche Themen.

Stefan Simon

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