Müssen nur wollen

Konkurrenz Mit Förderprogrammen wie der „Dean’s List“ entstehen an den Universitäten abgeschottete Eliten
Ausgabe 16/2015

Jedes Semester die gleiche Prozedur: In der VIP-Lounge der Frankfurter Commerzbank-Arena werden zwanzig junge Auserwählte geehrt. In den Händen halten sie Urkunden, auf denen Goethes Kopf gedruckt ist. Bei festlicher Beleuchtung und in lockerem Plauderton nehmen die jungen Leute erste Kontakte zu Vertretern großer Unternehmen auf. Es geht um ihre Zukunft. Und die Aussichten dafür sind nicht schlecht. Die Auserwählten sind Studenten der Wirtschaftswissenschaften. Man spricht hier nicht von einer Elite, sondern von „besonders leistungsstarken“ Studierenden. So ist es jedenfalls auf der Internetseite deanslist-frankfurt.de formuliert.

Die Dean’s List stammt aus dem angelsächsischen Raum, wird in Großbritannien und Australien geführt, und natürlich in Nordamerika. Vor allem in den USA ist es eine lange Tradition, die besten Studenten eines Jahrgangs nicht nur auszuzeichnen, sondern auch nach außen sichtbar vorzustellen. Dean ist das englische Wort für Dekan. Um auf die so benannte Liste zu kommen, brauchen die Anwärter Topnoten, was für hiesige Verhältnisse aktuell bedeutet: ein Notendurchschnitt von 1,25 oder besser im Sommersemester 2014. Per Post werden die Studierenden informiert, ob sie es geschafft haben oder nicht. Und dann gilt: einmal auf der Dean’s List, immer auf der Dean’s List.

Teetrinken mit dem Professor

Bei regelmäßigen Stammtischen sollen sich die Besten der Besten untereinander kennenlernen, Kamingespräche mit Führungskräften und Unternehmensexkursionen werden organisiert. Und: Teetrinken mit dem Professor. Während des Semesters erhalten die Auserwählten Angebote für Praktika oder Workshops, manchmal auch für Abendessen mit Profis. Manche Betriebe unterstützen Studenten auch bei der Betreuung ihrer Abschlussarbeit. 60.000 Euro jährlich zahlt ein Unternehmen, wenn es als Partner auf der Liste stehen will. „Diese Spendenzahlungen dienen dazu, die Rahmenkosten der Dean’s List zu finanzieren“, heißt es beim Frankfurter Studierendenservice. Zu jenem Rahmen zählen die Urkundenvergabe, Diskussionsveranstaltungen, Einführungswochen für Erstsemester, Abschlusspartys und Vortragsfrühstücke mit den jeweiligen Sponsoren. Schon in der Einführungsphase werden die Studierenden so von potenziellen Arbeitgebern umgarnt, etwa von der Deutschen Bank, Lufthansa oder der Bayer AG.

Wer in die Führungsetagen der großen Konzerne gelangen möchte, benötigt bis heute den richtigen Stallgeruch. Einen breiten bildungsbürgerlichen Horizont, das Wissen um versteckte Benimmregeln und die sozialen Mechanismen an der Spitze. Und so werden vor allem Kinder aus dem Bürger- und Großbürgertum belohnt, wie nicht nur der Elitenforscher Michael Hartmann (Elitesoziologie. Eine Einführung, Campus 2004) festgestellt hat.

Dass es sich bei der Dean’s List um eine gezielte Elitenförderung handelt, kann die Studentin Virginia Sondergeld nicht nachvollziehen. Die 22-Jährige sagt, sie mache sich nicht so viel daraus, auf der Liste zu stehen. Sie nutze auch nicht alle Angebote, die sich daraus ergäben. Ungerecht findet sie die Liste auch nicht: „Jeder kann es da drauf schaffen. Mit viel Fleiß und Strategie“, sagt sie. Man könne ja schließlich Seminare auswählen, in denen man auch mit weniger Aufwand gute Noten erzielen könne. Ohnehin würden sich viele Studenten später bei den entsprechenden Unternehmen bewerben. „Die Dean’s List vereinfacht diesen Prozess“, sagt Virginia.

Aber: Die Liste trägt eben doch dazu bei, dass die auserwählten Studenten sich von der Masse abheben. Bei den stetig wachsenden Studierendenzahlen sind hervorragende Noten und eben auch beeindruckende Extras nötig, um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Die Dean’s List ist nur ein Beispiel dafür. Die Elitensoziologie spricht vom „Matthäus-Effekt“, nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“. Je stärker künftige Arbeitgeber die Auserwählten umwerben, desto eher fallen die anderen durchs Rost. Gefördert werden die Überflieger – die ja sowieso längst wissen, dass sie gut sind.

Für Studierende aus nichtakademischen oder prekären Haushalten wird die Sache damit schwieriger. Gerade Arbeiterkinder haben häufig das Problem, dass sie im Vergleich zu ihren (groß-)bürgerlichen Kommilitonen mehr arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt während des Studiums zu finanzieren. Dementsprechend ist ihr Anteil am Heer der Langzeitstudierenden doppelt so hoch. Der sagenumwobene Faktor Fleiß und das, was Dean’s-List-Studentin Virginia „Strategie“ nennt: Beides spielt da keine sonderlich große Rolle. Das Leistungsprinzip ist eine Illusion, sagt auch Elitenforscher Hartmann.

Pech, wer selber jobben muss

Frankfurt ist nicht die einzige Universität, die Extratouren für ausgewählte Studierende abhält. Sogenannte Bestenlisten gehören mittlerweile zum guten Ton für eine Hochschule, die etwas gelten will. Eine zunehmende „Elitisierung“ ist auch im Wissenschaftsbetrieb nicht zu leugnen. Michael Hartmann wird in seinen Schriften und Interviews jedenfalls nicht müde zu warnen, dass Arbeiterkinder in Zukunft an den Unis wieder so gut wie chancenlos sein werden, so, wie es vor einem halben Jahrhundert mal war. Viel ist von der „Öffnung der Hochschulen“ die Rede. Die Universitäten haben dabei einerseits den Auftrag, Bildung für alle zu vermitteln. Aber andererseits wird von ihnen erwartet, Exzellenzforschung zu betreiben, um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten.

Letztlich sind die Hochschulen auch nur ein Spiegel unserer Gesellschaft. Solche Einrichtungen wie die Dean’s List zeigen, wie selektiv und ungleich es dort zugeht. So wie sich das anonyme, nebulöse, superreiche „eine Prozent“ von der Mehrheitsgesellschaft entfernt, so grenzen sich die Überflieger an den Universitäten zunehmend von anderen, nicht ganz so starken Studenten ab. Ist das die Zukunft, die wir wollen?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Stefan Simon

Journalist in Süd-Ost-Niedersachsen, kommt aber eigentlich aus Süd-Hessen. Schreibt jetzt wöchentlich über politische und gesellschaftliche Themen.

Stefan Simon

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