Die Grenzen von ´89

Sportplatz Kolumne

Ist der Ostfußball verroht oder frustriert? Oder ist er einfach zu dumm? Als vor zwei Monaten mit Hansa Rostock der letzte Ost-Verein aus der Bundesliga abstieg, war das Entsetzen groß. Zum ersten Mal seit 14 Jahren spielt die Bundesliga wieder in den Grenzen von 1989.

Der Deutsche Fußballbund (DFB) reagierte und veranstaltete im Juli einen Runden Tisch über die Lage des Ostfußballs in Leipzig. Dort war man sich über das drängendste Problem schnell einig: die strukturelle Benachteiligung der Ostvereine in den Aufstiegsregelungen des DFB. Was wenig spektakulär klingt und sich meist in den unteren Ligen abspielt, hat dennoch eine große Wirkung. Während alle Meister der Oberligen (4. Liga) in den alten Bundesländern direkt in die 3. Liga aufsteigen, müssen die Meister der beiden Ost-Oberligen sich noch in einem Relegationsspiel duellieren. Ähnlich ungerecht war lange Jahre der Aufstieg von den Regionalligen in die zweite Bundesliga geregelt. Nur beim Absteigen waren Ost und West stets gleichberechtigt. Die Folge war, dass sich die Zahl der Ostklubs seit Gründung der Regionalliga im Jahr 1994 von 18 auf vier Vereine reduzierte. Das Präsidium des Deutschen Fußballbundes soll nun auf Vorschlag des Runden Tisches auf einer Tagung Ende August endlich die Aufstiegsregelungen reformieren, doch wird mit Widerständen einflussreicher Westvereine gerechnet.

Fast die gesamte ehemalige DDR-Oberliga tummelt sich auch heute in der Oberliga, nur heißt so nicht mehr die höchste Spielklasse, sondern die 4. Liga. Als hätte es die Wende nicht gegeben, treten die alten Rivalen nun wieder gegeneinander an, darunter Traditionsvereine wie der 1. FC Magdeburg, der Hallesche FC, Sachsen Leipzig und Union Berlin. Berühmte Klubs wie der BFC Dynamo Berlin und Lokomotive Leipzig, der ehemalige Europapokalfinalist aus Leipzig spielt mittlerweile in der Bezirksliga, gaben sich auf Drängen der Fans sogar ihre alten Ostnamen zurück. Frustriert sind die Anhänger dieser Vereine wohl nur ein wenig, eher macht man es sich in der Oberliga gemütlich und strömt zu Tausenden zu den ehemaligen DDR-Fußballschlagern. Nach den Fehlern der ersten Nachwendejahre, in denen viele den Versprechungen dubioser Geschäftsmänner aus dem Westen erlagen und Rot-Weiß Erfurt beispielsweise 18 Präsidenten verschliss, werden einige Ostvereine mittlerweile professioneller geführt. Eine faire Aufstiegschance haben sie dennoch nicht. Auch verroht ist der Ostfußball nicht, einzig der BFC Dynamo aus Berlin-Hohenschönhausen wird von rechtsgerichteten Hooligans als Bühne benutzt, was dem Verein den traurigen Ruf als Deutschlands brutalstem Fußballverein einbrachte.

Professioneller Fußball lässt sich jedoch auf Dauer in der 4. Liga nicht finanzieren und somit werden Talente wie der heutige Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack auch weiter in den Westen ziehen. Nationalelfverteidiger Robert Huth wurde von Chelsea London bereits mit 16 Jahren nach England gelockt, bevor er auch nur ein Profi-Spiel bei seinem Heimat-Verein Union Berlin absolvieren konnte. Union versucht derweil nach zwei aufeinanderfolgenden Abstiegen einen Neuanfang in Liga 4 und hier, am sportlichen Tiefpunkt der Vereinsgeschichte, zeigt sich, warum die großen Ostvereine trotz aller Probleme nicht untergehen werden: 2.000 Fans kamen zum ersten Training, 6.500 zum ersten Saisonspiel, einem 2:1 Sieg gegen den Berliner AK, und 5.000 fuhren zum ersten Auswärtsspiel bei Tennis Borussia Berlin. An diesem Sonntag nun trifft man um 16 Uhr im Stadion an der Alten Försterei auf den BFC Dynamo. Es ist wieder ein altes Ostderby, der populäre Arbeiterklub Union gegen die damals verhasste Stasi-Mannschaft des BFC. Vorbei, denn heute stehen beide Vereine nach turbulenten Jahren im Abseits. Während der BFC sein Gewaltproblem nicht in den Griff bekam, sammelte Union Lizenzentzüge und entwischte mehrmals nur knapp dem Konkursrichter. Gute Fußballer kamen dennoch immer wieder aus beiden Vereinen, nur gingen sie meist woanders hin. Nach 14 Jahren Überlebenskampf im neuen Deutschland trifft man sich nun im Schatten des großen Fußballs wieder. Und das Spiel beginnt von vorn.


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