Prolls for fun

Sportplatz Kolumne

Fußballfans galten lange vor allem als Draufgänger, Säufer und Dumpfköpfe. Die WM wäre dann vor allem eine Invasion dieses verrohten Mobs gewesen. Sogar der Aufmarsch 20.000 polnischer Hooligans wurde befürchtet, denn östlich von Brandenburg können schließlich nur gewaltbereite Horden hausen. Doch es kam ganz anders: Die fremden und eigenen Fußballfans sind meist friedlich und gut gelaunt, die Stimmung euphorisch und ausgelassen. Was ist passiert? Sind die Fußballfans keine Prolls mehr oder die Fußballprolls vielleicht gar nicht so primitiv?

Gehen wir zur Fanmeile ans Brandenburger Tor! Dort stehen sie herum, die uniformen Massen und trinken ihr Bier: Glatzköpfige kroatische Fußballfans. Und was machen sie? Sie singen laut und tanzen zu brasilianischen Sambatrommeln. Jeder Brasilianer wird jubelnd begrüßt und die Brasilianerinnen auch eifrig fotografiert. Vielleicht haben die gleichen Kroaten noch vor wenigen Jahren im Krieg auf ihre serbischen Nachbarn geschossen. Norbert Elias hat gezeigt, wie Sport im Prozess der Zivilisation den Krieg ablöst, wie dieser durch Spannung Gefühle weckt und so das öffentliche und gemeinschaftliche Ausleben von Emotionen ermöglicht. Diese Menschen brauchen keinen Krieg, wahrscheinlich haben sie nie einen gewollt.

In ihrer Erlebnisorientierung unterscheiden sich die jungen Fußballprolls kaum vom Rest der Gesellschaft. Die Suche nach Abwechslung und Spannungssteigerung führt auch sie zum ironisch-verspielten Umgang mit der Grenze des Erlaubten. So rennen junge Kerle in Deutschlandtrikots jubelnd über den künstlichen Rasen der Adidas-WM-Arena am Reichstag, das Spiel ist hier zwar nur virtuell, doch der Spaß beim Nachspielen eines Stadion-"Flitzers" reell. Im richtigen Stadion läuft derweil ein Kroate aufs Spielfeld des Olympiastadions, küsst den Schuh von Stürmer Daniel Prso und geht schließlich mit diesem Arm in Arm vom Spielfeld. Die Veranstalter der Fanmeile geben sich ähnlich entspannt und persiflieren mit den Fans das für seinen Stumpfsinn bekannte Genre der Fußballhymnen: "Was ist der Traum von Franz und Co? - zum Finale" / "Wann geht Deutschland nicht aufs Klo? - zum Finale" hallt es am Brandenburger Tor.

So ähnelt dieses Publikum auf der Straße des 17. Juni dem der Love Parade, die an gleicher Stelle direkt nach der WM stattfindet. Brandenburger aus Fürstenwalde, Briesen und Frankfurt (Oder) ziehen in Schwarz-Rot-Gold für die Deutschland-Spiele nach Berlin, um dort mehr zu erleben. Bei der WM-Eröffnungsfeier jubeln deshalb besonders viele Jürgen Sparwasser zu, dem einzigen ehemaligen Ostfußballer auf der Bühne. Viele Touristen, aber auch Migranten aus Berlin tummeln sich auf dem Fußballkarneval, buntbemalte Mexikaner oder jugendliche Iren im "Fußballurlaub" beklatschen das gleiche Spiel. Selbst junge männliche Türken bekennen sich unbürokratisch zu Deutschland, oder eben zu Brasilien. Eine ahnungslose Österreicherin erfährt erst am Fanartikelstand, dass ihr Land bei der WM nicht dabei ist.

Die Fußballprolls sind also friedlicher und humorvoller als vor der WM angenommen, sie sind moderner geworden und lassen sich in ihrem Freizeitverhalten oft nur schwer von Bankangestellten und Rechtsanwälten unterscheiden. Und dennoch ist es ihre WM. Die Kultur des Fußballs haben sie geprägt und dabei viele Gesänge und Rituale aus England und Italien übernommen. Zwar bekommen die anderen die Stadiontickets über Banken und Kanzleien, doch den Unterschichten gehören die Straßen sowie die Nationalfarben und zuletzt auch immer mehr Sympathien. Poldi und Schweini, seit kurzem auch David, die netten Prolls von nebenan sind die Helden des ganzen Landes. Ihre Ein-Wort-Sätze gelten nicht mehr als zurückgeblieben, sondern als unverkrampft, ihr läuferisches Bekenntnis tilgt die Vorbehalte gegen ihre Herkunft und ihre Tore schießen sie für Team Deutschland. Für einen sonnigen Fußballmonat wird endlich anerkannt, dass auch die eigenen Proleten das Land voranbringen.


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