Das Facebook-Paradoxon

Individualdemokratie Wer seinen Freundeskreis in sozialen Netzwerken erweitert, riskiert eine Verengung seines Horizonts.

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Die eigenartige Dynamik von Facebook ist ja ... : Je mehr Freunde man dort hat, desto enger wird die Welt, die man sieht [...].

Georg Diez: Facebooks ferngesteuerte Affen (SPIEGEL ONLINE 2013-08-30)

Nun, nicht jede Facebook-Nutzerin ist eine ferngesteuerte Äffin, denke ich mal. Dass ich Diez dennoch zustimmen kann, ist auf folgende Beobachtung zurückzuführen: Ich erweiterte meinen bisher mikroskopisch kleinen Facebook-Freundeskreis (ca. 20 Personen) vor einiger Zeit auf 44 Personen, darunter waren erstmalig auch Menschen, die ich in der Kohlenstoffwelt eher flüchtig oder gar nicht kannte.

Seitdem nervt mich mein Netzwerk mehr und mehr, denn diese Personen posten Dinge, von denen ich bisher verschont blieb, z. B.

  • Solidaritätsaufrufe für "verfolgte Minderheiten", mit denen ich mich aber vielleicht gar nicht solidarisieren will (unabhängig davon, ob diese wirklich Schikanen zu erleiden haben oder nicht).
  • Meme, die in ihrer hanebüchenen Banalität an Überflüssigkeit nicht mehr zu überbieten sind (à la "Religion ist Opium für das Volk", "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" etc.). Für wie dumm hält mich der, der mich an dieser, äh, "Information" teilhaben lässt?
  • Nahaufnahmen der speichelumflorten Mundpartien ihrer Haustiere. - Ich halte ja bsp.weise Schimmelpilze, wie man sie z. B. auf verrottetem Frischkäse findet, für eine hochinteressante, durchaus näher beobachtenswerte Lebensform. Manchmal mache ich Fotos von Schimmelpilzen, käme aber nicht auf die Idee, diese auf Facebook zu posten. Vielleicht sollte ich das ja einfach mal tun. Vielleicht fänden meine neuen Facebook-FreundInnen das dann abartig, abstoßend, ekelerregend oder gar pervers. Das könnte ich verstehen. Ganz sicher aber würden sie nicht verstehen, warum ihre hemmungslose Zurschaustellung der Beziehung zu einem vierbeinigen, vollbehaarten Säugetier bei mir ganz ähnliche Gefühle hervorruft wie bei ihnen der Anblick prächtig wuchernder saprophiler Organismen.
  • ihre Empörung über Kindesmissbrauch. - Die Verdammung dieses Verbrechens ist für mich keiner besonderen Erwähnung wert. Genausogut könnte ich mich ja darüber empören, dass ständig in irgendeinem Folterkeller dieser Welt Unschuldige von gelangweilten Schergen irgendeines Dumpfbackenregimes aus Spaß langsam und qualvoll zu Tode gefoltert werden. Aber warum sollte ich mich darüber in Form eines Facebook-Posts empören?

Logisch - je größer mein Facebook-Freundeskreis, desto unspezifischer wird der Meldungsstrom werden, dem ich ausgesetzt bin. Die inhaltlichen Gegensätze aber türmen sich so nicht zu differenzierter, irgendwie, äh, "spannender" Vielfalt, im Gegenteil: sie nivellieren sich zu einem öden Grau, einer sozusagen forcierten Indifferenz, die dann immer stärker und immer fataler an exakt die Alltagswelt erinnert, der ich ohnehin permanent ausgesetzt bin und zu der ich gerne mal eine Gegenwelt gehabt hätte.

Zum Beispiel mithilfe eines sozialen Netzwerks wie Facebook.

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Geschrieben von

Stefan Hetzel

Bürger, Publizist, Komponist (autonom, aber vernetzt)

Stefan Hetzel

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