Dem Vulgärfeminismus den Garaus machen

Debatte Camille Paglia und Jordan B. Peterson gehen hart ins Gericht mit Auswüchsen von Feminismus und Postmoderne

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Es ist eine wahre Freude, der Kunsthistorikerin Camille Paglia und dem Psychologen Jordan B. Peterson dabei zuzuhören, wie sie sowohl pseudo-avantgardistischen postmodernistischen SpießerInnen als auch wohlstandsverwahrlosten FeministInnen den Garaus machen. Paglia wird nicht müde, den wahren spirit der 1960er-Jahre - exaltation! cosmic consciousness! Jung! - gegen seine postmodernen UsurpatorInnen - hopelessly derivative midgets! - leidenschaftlich zu verteidigen. Peterson pflichtet ihr in seiner schüchternen und grüblerischen Art bei und macht sich dabei zum Anwalt fragiler Männlichkeit, ohne aber jemals (Ich habe genau aufgepasst!) etwas wirklich Reaktionäres zu äußern.

Argumentativer Höhepunkt des Gesprächs ist für mich Paglias - zweifellos zugespitzte - Aussage, Feminismus bedeute für sie, "das Recht zu erkämpfen, möglicherweise vergewaltigt zu werden." Bis in die frühen 1960er-Jahre, so berichtet sie, mussten Studentinnen um 23 Uhr im Heim sein, während für ihre männlichen Pendants keine Sperrstunde galt. Als Argument für diese Ungleichbehandlung kam von der Heimleitung: "Das geschieht nur zu eurem Schutz. Ihr könntet ja vergewaltigt werden." Sie und ihre Kommilitoninnen hätten es schließlich geschafft, diese Sperrstunde für Frauen abzuschaffen. Zugewinn von Freiheit, so Paglia, gehe immer mit vermehrter Verantwortlichkeit einher. Viele junge Frauen, denen sie heute begegne, hätten diesen Zusammenhang aber offenbar nicht verstanden oder vergessen oder verdrängt und wollten bsp.weise einfach kein Problem darin sehen, in Shorts, ohne Büstenhalter und mit Kopfhörern abends allein durch den Stadtpark zu joggen.

Damit will sie, so interpretiere ich das, nicht sagen, diese Frauen seien selbst Schuld daran, wenn sie sexuell attackiert würden (so würden Reaktionäre bzw. Erzkonservative argumentieren), vielmehr sei es einfach heuchlerisch von diesen in der Regel gebildeten Frauen, die archaischen männlichen Jagd- und Sexualinstinkte, die sie mit einem derartigen Verhalten herauslockten und die der durchschnittlich westlich zivilisierte und psychisch gesunde Mann in der Regel unter Kontrolle habe, aber eben nur dieser, mutwillig derart auszublenden. Sei dann erst einmal ein Verbrechen geschehen, hätten sie ja auch kein Problem damit, dies sofort und pauschal als Folge von allgegenwärtiger und unausrottbarer toxic masculinity zu verurteilen.

So zu argumentieren, so Paglia sinngemäß, sei jedoch lediglich pseudo-feministisch, da hier jegliche stets mit Unannehmlichkeiten und Lustverzicht verbundene Verhaltenskontrolle den maskulinen Agenten auferlegt werde, während ihre femininen Gegenstücke immer und jederzeit machen dürften, was ihnen gerade in den Sinn komme. In meinen Worten: Wenn irgendwas schief geht zwischen den Geschlechtern, ist automatisch der basal fehlkonstruierte Mann Schuld. Eine solche Weltsicht nenne ich - in Analogie zum eingeführten Begriff Vulgärmarxismus - gerne Vulgärfeminismus.

Trotz einer Laufzeit von über 100 Minuten hat der Dialog fast keine Redundanzen und - aber das liegt natürlich zu einem Gutteil einfach an Paglias Temperament, das Gottseidank nicht rein intellektueller Natur ist - unterhält durchgehend, ohne jemals wirklichzu verflachen. Und wer jetzt meint, hier quatschten nur zwei verbitterte, marginalisierte Akademiker im Elfenbeinturm und niemanden interessiert's, sollte sich mal die Zugriffe auf dieses erst vor eineinhalb Wochen publizierte Video ansehen. Derzeit (2017-10-14, 07:18) werden knapp eine halbe Million verzeichnet.

Camille (Anna) Paglia (* 2. April 1947 in Endicott, New York) ist eine US-amerikanische Kunst- und Kulturhistorikerin. Paglia ist Professorin für Geistes- und Medienwissenschaft (Humanities and Media Studies) an der University of the Arts in Philadelphia.

Jordan Bernt Peterson (geboren am 12. Juni 1962 in Fairview, Alberta) ist ein kanadischer klinischer Psychologe und Kulturkritiker. Seit 1997 lehrt er als Professor für Psychologie an der University of Toronto.

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Geschrieben von

Stefan Hetzel

Bürger, Publizist, Komponist (autonom, aber vernetzt)

Stefan Hetzel

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