Zeitungsleser wollen Infos, Blogleser Emos

Soziodigitalisierung Journalisten erstatten unpersönlich Bericht - Blogger empfinden subjektiv, bleiben aber letztlich belanglos. Stimmt das eigentlich? Und ist diese Arbeitsteilung sinnvoll?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Teresa Maria Bücker, Referentin für Soziale Medien beim SPD-Parteivorstand, gelangt in einem Blogartikel für die F.A.Z.-Community zu folgenden schönen, um nicht zu sagen schöngeistigen Formulierungen zum Wesen des Bloggens:

Als Leserin unterscheide ich zwischen journalistischen Texten und Blogs – völlig wertfrei. Denn ich begreife Blogs als ein anderes Genre: mit Blogs, wenn sie mir gefallen, gehe ich eine längerfristige Beziehung ein. Mit ihren Autorinnen und Autoren, mit Menschen, die zu Texten diskutieren. Ein Blog entwickelt seine Spannung in der Forterzählung, dem hingegen sind Beiträge in professionellen Medien meist abgeschlossene Stücke; selbst wenn ich mir die wiederkehrenden Namen der Schreibenden merke, die Person dahinter wird mir kaum zugänglich. Mit einem Blog schließe ich ein emotionales Abonnement. Denn ich lese sie, weil sie beispielsweise Nischenthemen behandeln, über die ich an anderen Orten nur selten lesen kann. Ich lese sie, weil sie mich intellektuell anregen, Begeisterung auslösen für Ideen, Gedanken, sie in politischen Diskussionen Menschen aufeinander treffen lassen.

Ok, hier geht aber für mich so einiges durcheinander. Die Formulierung "emotionales Abonnement" löst bei mir sogar einen gewissen Ekel aus. Warum? Nun, "Ein Abonnement ... ist der regelmäßige Bezug einer Leistung, oftmals gegen ein Entgelt. Der Bezieher der Leistung ist der Abonnent.", sagt die Wikipedia. Ein "emotionales Abonnement" wäre dann also so etwas wie der regelmäßige Bezug von Gefühlsleistungen. Der Blogleser als Bezieher eines (Gratis!)-Abos von Gefühlen - eine unbehagliche Vorstellung für den Blogger!

Ok, so hat das Frau Bücker natürlich nicht gemeint, sie möchte vermutlich einfach nur einen wichtigen Unterschied zwischen Bloggen und Journalismus betonen, der den Status des schreibenden Subjekts betrifft: Der Blogger ist ein autonomes Individuum, der Journalist eine graue Maus. Also irgendwie jetzt. Nach dieser vereinfachenden Definition wird ein Publizist natürlich umso unfreier, je mehr er sich dem Berufsbild des Journalisten annähert, und also gegen Bezahlung Artikel für ein Wirtschaftsunternehmen, auch "Zeitung" genannt, verfasst.

Dem Blogger hingegen, arm, aber sexy, winkt, im besten Fall, eine "längerfristige Beziehung" mit Frau Bücker und zahlreichen anderen, die "in politischen Diskussionen aufeinandertreffen" - wenn er sie denn als "emotionale Abonnenten" gewinnen kann.

Bleibt die Gefahr, dass der Blogger seinen Independent-Status zum bloßen Schwadronieren und "Faseln" missbraucht (dies geschieht ja auch tausendfach) und sich damit als ernstzunehmendes Korrektiv zum zwar hoffnungslos abhängigen, aber dann letztlich doch irgendwie "seriösen" Journalismus ohne Not selbst disqualifiziert.

Ideal wäre ein Mittelweg: ein Publizist, der seriöse Recherche bzw. profunde Sachkenntnis und nachvollziehbares Argumentieren mit emotionaler Subjektivität und persönlicher Integrität verbindet.

Aber diese Spezies ist weder unter Bloggern noch unter Journalisten allzu häufig anzutreffen, fürchte ich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Hetzel

Bürger, Publizist, Komponist (autonom, aber vernetzt)

Stefan Hetzel

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden