Ein Pulk von Griechen, dicht bei dicht sich haltend, gepanzert und die Schilde um sich herum wie eine lückenlose Wand, stürmte, einem einzigen Organismus gleich (...). Die äußersten, so war es wohl gemeint, wurden von den schon erschöpften Troern bald erschlagen. Die der Mitte zu erschlugen eine viel zu hohe Zahl der unsern. Der Kern, so sollte es sein, erreichte das Ufer, und der Kern des Kerns: der Griechenheld Achill. Der sollte durchkommen, selbst wenn alle fielen.« (Christa Wolf, Kassandra)
Die Taktik der grünen Realos - mal wurde Hubert Kleinert als Kämpfer in die Frontkämpferreihe gestellt, mal Fischers Büroleiter Achim Schmillen, Christa Sager, Antje Vollmer, immer öfter der Bundesvorstand oder Fritz Kuhn. Sie sagen, sie wollten das ganze Land erobern, aber die Ziellinie ist erreicht, wenn sie Fischer heil auf festen Boden gebracht haben. Auch die neueste Attacke, das Mobbing gegen Gunda Röstel und Antje Radcke, von Fischer vergangene Woche durch etliche Gespräche in der Fraktion vorbereitet und von einem Adlatus etwas zu früh lanciert, folgte diesem Muster. Die Grünen empfingen ihn wütend - und gaben sich geschlagen: Fischer akzeptierte zwei Sprecherinnen auf Zeit von seines Gnaden und setzte sich mit seinen strukturellen Forderungen durch: engere Verzahnung von Partei und Exekutive, Priorität für Marketing (Kampa) und mehr Anpassung in der Innenpolitik (stärkeres Engagement Fischers). Die Exekutive erobert die Partei.
Seit von Weizsäckers Parteienschelte 1992 wird die Auflösung der Gewaltenteilung durch die wachsende Macht der Parteien beklagt: Die unselige Interessengemeinschaft von Koalitionsfraktionen und Regierung überantwortet die Kontrollfunktion des Parlaments der Minderheit. Die Parteispitzen haben die Macht. Nun der umgekehrte Vorgang: Eine Partei wird Anhängsel der Regierung. Die Grünen, die ursprünglich sogar mit dem Rotationsprinzip der Gefahr, dass die Partei zur bloßen Karriereleiter werde, zuvorkommen wollten, werden von der Exekutive geentert. Droht nun jeglicher Diskurs zugunsten regierungskonformer Verlautbarungen abzusterben, droht Gleichschaltung? Wer andere, statt von unten mit Diskussionen, von oben beteiligen will, kann das kaum anders als durch Suggestion.
Verantwortlich für die Misere ist nicht das Grundgesetz, wie unübersehbar die Schwachstelle hier auch ist. Sondern verantwortlich ist die freiwillige Unterwerfung unter Fraktionsdisziplin und die Diffamierung einer Stimmensuche im anderen Lager als Machtlosigkeit. Opportunismus unterbindet, wie es derzeit die Entwicklung der Grünen zeigt, den Wettstreit von Ideen mit dem Programm der Exekutive. Demokratie wird so entkernt, es bleiben nur die Außenwände.
Zur Ursache der Wahldesaster erklärte Fischer im streng nicht-öffentlich tagenden Parteirat zunächst explizit das »zu linke Bundestagswahlprogramm« und nach Trittins Contra indirekt den Bundesvorstand, indem er eine »kampagnefähige« Kampa forderte. Teils taktisch abgesprochen, teils aus Überzeugung widersprachen im Parteirat auch seine alten Kämpen - Fücks, Kleinert, Priggen. Hinter verschlossenen Türen warf man dem grauen Helden vor, weshalb er neue Strukturen fordere, wo er doch die bestehenden nicht nutze. »Was soll das, einer kommt, sagt, er wolle wieder mitmachen, und stellt dann auch noch Bedingungen?!«
Fischers Strukturdebatte lenkt ab von den Gründen, weshalb die Grünen kaum noch Wähler anziehen. Sein Weg in die populäre Farblosigkeit erhält nicht die Wählergunst. Er trägt vor allem nicht dazu bei, den immer näher rückenden Ökozid abzuwenden. Das UN-Umweltprogramm UNEP stößt mit seinem neuen aufrüttelnden Bericht nun auch bei Grünen auf taube Ohren. Dass Linke um Frieder Otto Wolf und Frithjof Schmidt mahnen, die Mär vom »nachhaltigen Wachstum« durch Ökotechnik und Effizienzrevolution entwickle sich zur »politischen Lebenslüge«, ist richtig, aber ihr Konzept ist zu wenig konzentriert, als dass es die Grünen auf den Kurs zur ökologischen Wende brächte.
Gründe für das zunehmende Scheitern der Grünen sind die Spaltung und anschließende Marginalisierung der Parteilinken seit der Bremer Bundesdelegiertenkonferenz 1995, das Mobbing gegen Linke seit Bielefeld, zunehmende programmatische Anpassung an den Mainstream. Die Partei setzte im Osten zu einseitig auf die Bürgerrechtler, zu wenig auf die Engagierten aus dem kirchlichen Umfeld. Den Kosovokrieg und den Sozialabbau haben insbesondere diese grünen WählerInnen verübelt. Insider vermuten bei stringent grüner Politik im Osten drei Prozent Stammwähler. Aber diese gesellschaftskritischen Gruppen, die unter schwierigeren Bedingungen Opposition leisteten, sehen nicht ein, weshalb sie sich nun grünem Regierungsopportunismus beugen sollten.
In der Bundespartei herrscht Ratlosigkeit, intern wird der Osten für die nächsten zehn Jahre aufgeben, dann - so die Hoffnung - könne man PDS-Enttäuschte einsammeln. Aber auch der Westen fürchtet den Fischer-Kurs: Die Idee, im März eine BDK in Münster, 20 Kilometer von Ahaus entfernt, zu veranstalten, rief einen Aufschrei des Entsetzens hervor.
Glaubwürdigkeit vor dem Wähler ist immer noch nicht Thema. Statt beim Atomausstieg hart zu bleiben, wurde vergangene Woche intern in Teilen der Fraktion besprochen, man müsse in der Atompolitik einen »Strategiewechsel hinkriegen«, da längere Betriebszeiten unausweichlich seien. Achill ist so abgeschirmt, dass er seinen Instinkt verloren hat.
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