Am Anfang die Trümmerfrauen. Am Ende die männerdominierte Berliner Republik, die wieder Krieg führt. Aber das ist nicht mehr Teil der Ausstellung "Politeia". Dazwischen jedoch: Frauen in der Friedensbewegung Ost und der Friedensbewegung West, Petra Kelly trifft Bärbel Bohley, die fürchtet, verhaftet zu werden.
Draußen, vor der Kommunalen Galerie in Berlin-Wilmersdorf, rollen unaufhörlich Autos vorbei, in welchem Raum auch immer man ist, man hört sie, und in dieser laut- und geruchslosen Ausstellung ist der Autolärm ein starker sinnlicher Eindruck: Er korrespondiert mit den Briefen, Interviewtexten, Installationen und Fotos vor allem der ersten Jahrzehnte. Frauen werden überrollt. Aufgeschreckt wird man in den Betrachtungen nur hin und wieder durch Aufschreie wie diesen: "Poh, diese Säcke!"
"Politeia" zeigt, beginnend mit dem Nationalsozialismus, deutsche Geschichte aus Frauensicht. Dabei ist manche Perspektive so ungewohnt, dass sie zunächst wie künstliche Verfremdung wirkt. Allerdings so logisch und plausibel, dass der Vorwurf der Verfremdung wohl zurück an die männliche Geschichtsschreibung gegeben werden muss. Beispiel: die Trümmerfrauen. In Westdeutschland wurde vermittelt, dass sich die Frauen über die Rückkehr ihrer Männer aus dem Krieg freuten. Nur freuten, nichts anderes. Die nach ihren Männern suchenden Frauen auf Bahnhöfen sind das Foto mit der zentralen Botschaft in Geschichtsbüchern. In "Politeia" äußern sich Frauen auch anders. Eine 28-jährige Bauarbeiterin: "Also mit meinen Kräften kann ich mir eigentlich keinen Mann leisten. Aber ich hab ihn nun mal, und es muss eben geschafft werden". Eine andere Frau klagt über die vielen Esser, die sie zu Hause habe, und ihr Mann esse immer das meiste. Reaktionen von Frauen mit Mangelernährung und Schwerstarbeit.
Was spielte sich damals tatsächlich ab? Armutsprostitution war verbreitet. Die Ausstellung zeigt ein Plakat mit dem Gesicht eines Soldaten und der Schrift: "Dies alles, nur um den deutschen Frauen das Huren zu ermöglichen?"
Vor allem die Präsentation der ersten Jahrzehnte überzeugt: bis zum Ende durchdacht und auf den Punkt gebracht, klar und scharf. Beispielsweise die Pille: Die Planwirtschaft im Osten musste funktionieren, Frauen mitarbeiten, also durften sie nicht von sechs, sieben Kindern zu Hause festgehalten werden. Aber ein paar Wunschkinder forderte selbstverständlich der Staat. Im Westen dagegen: Verteufelung der Pille durch die Katholische Kirche. An das West-Konstrukt von Rabenmutter und Schlüsselkind wird erinnert. Die Frau war als Mutter, Hausfrau und Konsumentin gewünscht, aber nicht im Erwerbsleben. Dazu passte die Politik des Familienministers Wuermeling, der gegen Kindergärten war, weil sie Frauen Freiheit geben. Dazu das Wuermeling-Zitat: "Millionen innerlich gesunder Familien mit rechtschaffen erzogenen Kindern sind als Sicherung gegen die drohende Gefahr der kinderreichen Völker des Ostens mindestens ebenso wichtig wie alle militärische Sicherung." Die NS-Forderung, Frauen sollten sich viele Kinder wünschen, stand am Anfang der Ausstellung.
Faszinierend ist der Einblick in DDR-Frauenarbeitsplätze. Leben im "Kraftwerk Lübbenau" und im Braunkohlewerk. Die Präsentation hat keine Wände, trotzdem fühlt man sich nach dem Schritt über die Absperrung wie in einem Container oder einer Baracke. Das Braunkohlewerk war eine Männerdomäne, auch wenn Frauen sich dort bewähren durften. Sie hatten nichts zu sagen, sie trauten sich nicht, sich zu weigern, aufzumucken. Sie werden von den Männern herumgeschoben, waren ganz selbstverständlich dafür zuständig, früher aufzustehen und Frühstück für die männlichen Kollegen zu machen. Solche Äußerungen bleiben haften, auch wenn daneben Zitate den Stolz der Arbeiterinnen auf ihre Qualifikationen festhalten.
"Knechtschaft der Doppelbelastung" (Ina Merkel), dieses Gefühl kriecht einem geradezu unter die Haut. Gleichstellung war in der DDR Staatsziel - und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Privatangelegenheit.
Die Ausstellung zeigt Frauen nicht als Opfer, sondern sie treffen Entscheidungen. Und sei es die, sich in Strukturen am Arbeitsplatz, Doppelbelastung oder in ein Leben "an der Seite des Mannes" zu ergeben. Weibliche Identität verlor sich im sozialistischen Aufbau, legen Teile der Ausstellung nahe.
Der Schwerpunkt der Präsentation ist dem Engagement von Frauen für Selbstbestimmung gewidmet, dem Entstehen der Frauenbewegung in Ost und West, den Leistungen von Frauen in Politik, Wissenschaft und Kultur. "Politeia" schafft jungen Frauen eine Ahninnengalerie: Die Frauen des Parlamentarischen Rates werden ebenso mit Bild und Text vorgestellt wie Grete Prill, die jahrelang um gleichen Lohn für gleiche Arbeit stritt, wie Petra Kelly, Christa Wolf, Rita Süssmuth, Hannah Arendt, Else Lasker-Schüler, Elisabeth Schwarzhaupt, Alice Schwarzer und viele andere. Die Auswahl allerdings erscheint teilweise etwas willkürlich: Weshalb fehlen so couragierte Politikerinnen wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Heidemarie Wieczorek-Zeul? Was verschafft dagegen der früheren frauenpolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Rita Grieshaber, die besondere Ehrung? Sie macht Politik nach dem Muster "Brave Mädchen kommen weiter" und forderte 1998 beim Koalitionsparteitag, die Frauen sollten auf die Quotierung der MinisterInnenposten verzichten.
Die Ausstellung wurde von drei Frauen geschaffen: Marianne Hochgeschurz ist verantwortlich für das Gesamtprojekt, die wissenschaftliche Leitung hat die inzwischen emeritierte Bonner Professorin Annette Kuhn und die künstlerische Marianne Pitzen, die Initiatorin und Leiterin des Bonner Frauenmuseums.
Die Präsentation der neunziger Jahre trägt sehr deutlich Pitzens Handschrift. Frauenkunst als Happening - aber ein Happening waren die neunziger Jahre insbesondere für die Ost-Frauen nicht. Vieles ist bunter, aber auch beliebiger als in anderen Teilen der Ausstellung. Kunst von Frauen verdrängt das Engagement für Frauen im ausgeschlossenen Drittel der Gesellschaft. Bei den "neunziger Jahren" stehen der politisch-historische Teil und die künstlerischen Beiträge mehr nebeneinander, als dass sie sich gegenseitig verstärken, wie es bei der Präsentation der fünfziger Jahre gelingt. Auch die politisch-historischen Aussagen sind nicht mehr so auf den Punkt gebracht wie die zu den früheren Jahrzehnten.
In diesem letzten Teil der Ausstellung stört auch das sehr stark ästhetisierende Bild von Frauen. Die Frauen auf den Fotos sind durchweg jung, sehen gut aus, wirken frech, selbstbewusst und sind "gut drauf". Dies betrifft sogar den fotographischen Beleg für die Tatsache, dass Frauen inzwischen ganz selbstverständlich Staatsbesuche machen: Christine Bergmann-Pohl und eine lachende Rita Süssmuth in Israel. Mitten in der Holocaust-Gedenkstätte Jad WaShem. Gab es kein anderes Bild? Alte Frauen, dicke, hässliche, traurige, behinderte, geschlagene, obdachlose Frauen tauchen kaum auf. Auch unter den Fabrikarbeiterinnen sind nur wenige alte Frauen.
Die meisten Arbeiten von Künstlerinnen sind in der Ausstellung eine Bereicherung, so die rot leuchtenden Bilder von Angela Hampel, die Flaggen von Valentine Rothe, die den festgelegten identitätsstiftenden Symbolen männlicher Prägung eine urwüchsige Freude und Lebenskraft entgegenstellen. Faszinierend ist die "Schlammwäsche" von Christine Merton, die sich mit dem mühseligen, oft übelriechenden Alltag von Frauen auseinandersetzt und die schöne Welt durchbricht. Sehr überzeugend sind die beiden Kofferinstallationen und die Ausstellung von wichtigen Geräten wie: Kaninchenstall, Zinkwanne und anderen Werkzeugen - Überlebenshilfsmitteln -, die wieder und wieder in die Hand genommen wurden. Durch die Mischung der Exponate gelingt es vor allem für die ersten Jahrzehnte, Alltag, Politik und Kultur zu verbinden und so historisches Lebensumfeld denen zu vermitteln, die damals noch nicht gelebt haben.
Ein Kunstwerk allerdings ruft Widerwillen hervor: Barbara Skaliks Teppich aus Haaren. Auf dem Boden ausgebreitet liegen sie da. An der Wand ein Bild von Französinnen, denen nach Kriegsende das Haar geschoren wurde, weil sie Beziehungen mit deutschen Soldaten eingegangen waren. Haare, nichts als Haare - man denkt an Auschwitz. Steht dieses Mittel, die bloße Ansammlung von gleichen Teilen menschlicher Körper nach der Shoah noch für andere Aussagen zur Verfügung? Ist das Foto, Realität, nicht mit so viel Grauen in den Köpfen eingebrannt, dass Kunst hier versagt?
Aber auch wenn man nicht jedem Detail zustimmen will: Die Ausstellung lohnt.
Der Katalog kostet 42,- DM. In der Kommunalen Galerie Wilmersdorf gastiert die "Politeia" bis zum 20.6., danach wird sie in München, Offenbach, auf der Expo, und in Leipzig zu sehen sein.
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