Bloß keine fünfte Weltfrauenkonferenz

PEKING + 5 Magere Erfolge und statt Aufbruchstimmung die Furcht vor einem Backlash in New York

In Peking hofften die Frauen noch, Gewinnerinnen der Globalisierung zu werden: mehr und sichere Arbeitsplätze. Die Wirtschaftskrisen in Asien, Brasilien und Russland haben hingegen gezeigt, dass Frauen die Verliererinnen sind: Sie werden zuerst entlassen und rutschen in den informellen Sektor ab. Hinzu kommt, dass weltweit die Zahl der alleinerziehenden und deshalb in höchst prekären Verhältnissen lebenden Frauen wächst, ohne dass die Regierungen in Nord und Süd Anstrengungen unternähmen, diese Frauen, die noch mehr als andere von den negativen Wirtschaftsentwicklungen betroffen sind, abzusichern und ihre Ausstattung mit Rechten zu fördern.

In Peking hofften die Frauen auch noch auf einen gemeinsamen Aufbruch zugunsten von Frauen- und Menschenrechten. Inzwischen lehrt das Beispiel Afghanistan unübersehbar, wie übersehbar Frauenmenschenrechte sind, wenn die USA, aber nicht nur die USA, andere Interessen daneben stellen. Heute sind auch mehr Frauen Opfer modernen Sklavinnenhandels als vor Peking, vor allem in Süd- und Südostasien und in Europa. Wenn überhaupt, ist das aber Thema unter dem Schlagwort "Innere Sicherheit/Organisierte Kriminalität". Frauenmenschenrechte spielen allenfalls am Rande eine Rolle. Oder: Nach wie vor werden pro Tag etwa 6.000 afrikanische Mädchen sexuell verstümmelt. Aber kein Gedanke wird laut, Entwicklungshilfe daran zu koppeln, dass diese Verbrechen bestraft werden.

In der Praxis gelingt es nicht, mit Rückgriff auf die Plattform von Peking Frauenmenschenrechtsverletzungen auf die nationale, bi- und internationale politische Agenda zu setzen. Zu groß ist die Gewöhnung an zunehmende strukturelle Gewalt gegenüber Frauen geworden, und zu sehr ist das Desinteresse an Frauenrechten gewachsen. Ayse Düzkin, Chefredakteurin des einzigen feministischen Magazins in der Türkei, bringt das Dilemma auf den Punkt: "In Peking dachten wir, das globale Projekt wird uns in den Einzelstaaten Rückenwind geben, stattdessen lebt es nur, wenn wir es lokal unterstützen."

Die dritte Hoffnung der Frauen in Peking richtete sich auf nationale Umsetzungspläne. Die meisten Regierungen entwickelten auch solche Pläne, verabschiedeten sogar Gesetze gegen häusliche Gewalt (China, Vietnam) oder Frauenhandel (Thailand, Philippinen), manche führten im Sinne des Empowerment-Konzepts Quoten für die Beteiligung von Frauen in kommunalen Parlamenten ein (Peru, Mosambik, Uganda). Diese Gesetzesnovellen sind auf jeden Fall ein Erfolg, aber nur ein erster, so lange es nicht gelingt, sie auch strikt anzuwenden. Das setzt aber eine Revolution des Denkens in Bezug auf Geschlechterverhältnisse voraus, die einer konzentrierten Bildungs- und Medienanstrengung bedarf. Bisher ist es aber nicht einmal gelungen, in den politischen Klassen der Einzelstaaten das Bewusstsein zu schaffen, dass man so lange in einer Art Kastengesellschaft lebt, bis Chancengleichheit für Mädchen und Frauen besteht.

Der Gedanke, dass die Überwindung der Geschlechterungerechtigkeit vorrangiges Politikziel sein müsste, ist in den Jahren der Anpassung an den scheinbar alternativelosen Weg der Marktwirtschaft eher geschwunden, denn gewachsen. Deshalb ist die Furcht der Feministinnen aus Nord und Süd begründet, die Beschlüsse von New York könnten hinter Peking zurückfallen. "Was geschieht, wenn die nationalen Regierungen die Plattform nicht unterschreiben," fragte kürzlich die polnische Feministin Kinga Lohmann bei einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung, deren schön klingenden Namen - "Peking - Peking+5 - Peking+10 - Meilensteine des Machtgewinns" - die Teilnehmerinnen aus verschiedenen Kontinenten nicht bestätigen konnten. Auf jeden Fall, darin waren sich die Feministinnen einig, dürfe man in New York nicht eine fünfte UN-Frauenkonferenz für 2005 beschließen, sondern nur eine weitere Folgekonferenz "Peking+10", denn eine Aktionsplattform vom Format der 1995er werde man nicht wieder durchsetzen können.

Nuria Nuñez vom Instituto de la Mujer in Chile hielt fortgesetzte Folgekonferenzen ohnehin für weniger wichtig als die Kraft zu einem einzigen Beschluss: die Aktionsplattform von Peking für nationale Regierungen verbindlich zu machen. Und Rokeya Kabir aus Bangladesh, aus einer grassroot-Bewegung kommend und nun international als Frauenrechtlerin aktiv, stellte noch einmal klar, dass für die vielen Analphabetinnen in Entwicklungsländern die Möglichkeit, Lesen und Schreiben zu lernen, effektiver wäre als alle internationalen Konferenzen. - Fast hat man den Eindruck, das globale Projekt raube den Aktivistinnen mehr Kraft als es ihnen gibt.

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