Die Borniertheit der Verlierer

WAHLNIEDERLAGEN Eine Politik, die vorgibt »Es gibt keine Alternative«, ist selbst keine wählbare Alternative

Niedergang als Normalität: Die Zahl der Stimmen für die CDU steigt nicht - aber als relativer Sieger gewinnt sie dennoch nach dem Saarland Thüringen und in NRW. Der Begrenztheit seines Repertoires entsprechend wundert Schröder sich nicht. Stattdessen erklärt er die Nichtwähler zum Problem. Aber sind nicht primär diejenigen das Problem, die sie frustrieren? Allen voran Gerhard Schröder? Schließlich sind im Herbst '98 die Menschen in der Hoffnung auf Wandel und Umbruch zu den Urnen gegangen. Dann wurde ihnen gesagt: Es gibt keine Alternative. Weshalb sollten sie nun also nochmal ihre Zeit mit dem Weg zur Stimmabgabe vertun, wenn es in der Politik ohnehin keine Alternativen mehr geben soll?

Dass etwa im reichen Essener Süden die Wahlbeteiligung bei 70, im armen Essener Norden bei 30 Prozent lag, zeigt schlaglichtartig, wer sich etwas von Politik verspricht und wer nicht. Der von wirtschaftlicher und kultureller Partizipation tendenziell ausgeschlossene Teil der Gesellschaft, der früher auf die SPD hoffte, erkennt SPD und Demokratie nicht mehr als geeignete Instrumente an, die eigene Lage zu verbessern. Kein Wunder bei dieser Koalition, enthält doch das Sparpaket und enthielt der Rentenvorschlag der früheren Landesvorstandssprecherin der thüringischen Grünen, Katrin Göring-Eckardt (MdB), zusätzliche Maßnahmen (Streichung der Hinterbliebenenrente etc.), diese Gruppe - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - dauerhaft, auch im Alter draußen zu halten.

Unter denen, die heute Politik missstalten, sind viele durch Bildung und Partei in kurzer Zeit nach oben gespült worden. Die zermürbenden alltäglichen Existenzkämpfe des unteren Drittels sind ihnen fremd. Die neuen »Volks«-Vertreter gehen über die zunehmende Hoffnungslosigkeit der Modernisierungsopfer hinweg, als seien diese Menschen Objekte, bloße Zahlen. Diese Repräsentanten des Souveräns haben keinen Respekt vor Armen, die aber auch Souverän sind. Woher nehmen Schröder, Göring-Eckardt Co. die maßlose Arroganz zu erwarten, von den kompetenten Leistungsträgern des psychischen und materiellen Überlebens gewählt werden zu wollen?

Wie hervorragend der Wahlkämpfer Reinhard Klimmt war, machten die Wahlen in Thüringen und NRW offenbar. Aber falls Schröder gehofft haben sollte, Klimmt rasch einzubinden, würde in Saarlands Bruderland NRW der SPD ein paar Stimmen retten, hat er sich in der politischen Klarsicht der WählerInnen getäuscht. Zu offensichtlich ist, dass Schröder im Rahmen seiner symbolischen Politik zwar notfalls innerparteiliche Gegner einbindet, dass er deshalb aber nicht seinen Standpunkt verändert: Es gibt keine Alternative ist seine Devise geblieben.

Es wird der SPD nur gelingen, Wähler anzuziehen, wenn sie soziale Gerechtigkeit tatsächlich zum Projekt macht, also Reichtum über Vermögens-, Einkommens- oder Erbschaftssteuer sozialpflichtig macht, Beamte und Besserverdienende in die Sozialversicherung einbezieht, um Menschen, die auf Erwerbslosen- und Sozialhilfe angewiesen sind, integrieren zu können. In diesem Herbst und Winter sind Taten gefordert, denn Schröders Worten glaubt weniger als ein Jahr nach seiner Wahl niemand mehr.

Eichels Vorstellung, eine Generation dürfe nicht auf Kosten der nächsten leben, ist richtig. Das bestreiten auch die Wähler nicht, wie die Popularitätswerte für den Finanzminister belegen. Aber die BürgerInnen verlangen, dass sozial gerecht gespart wird. Wenn Hans Eichels Konzept von Generationengerechtigkeit auf die Nutzung der Ressourcen ausgedehnt würde, was viel wichtiger wäre als die Sanierung der Finanzen, würde die Jugend, die sich laut Shell-Studie positive Veränderungen vor allem von Greenpeace erhofft, vielleicht sogar zur Wahl gehen.

Wieviel Chancen hat Schröder noch? Falls die Koalition sich, wenn nicht im Sinne der Demokratie, dann wenigstens zum Zweck des Machterhalts, dazu durchringen sollte, soziale Härten abzubauen, braucht sie neue Einnahmequellen. Der CDU-Chef wird nicht den gefügigen kleineren Partner einer inoffiziellen großen Koalition spielen. Schäuble hat aber bereits angekündigt, dass er die Bundesratsmehrheit der Union für Nachbesserungen zugunsten des Mittelstands nutzen will. Also nicht für die Unterschicht.

Über Schröders Zukunft wird teilweise im Bundesrat, vor allem aber in NRW entschieden. In der traditionellen SPD-Bastion sind die SPD-Wähler der großen und kleinen Parvenus überdrüssig. Die Skandale selbst sind gar nicht alle spektakulär, aber ihre plötzliche Vielzahl ruft Ekel hervor. Dass dieser alte und neue Filz plötzlich öffentlich wird, hat Gründe. Johannes Rau nämlich hatte mit sanfter Hand die Landespressekonferenz fest im Griff, »Wir in NRW« schloß die Journalisten ein - während Clement mit seinem häufig cholerischen Temperament die Presse in kürzester Zeit gegen sich aufbrachte, beispielsweise mit Drohbriefen, als er wegen der Affäre um die Dortmunder Trickfilmfirma (100 Mio. Landessubventionen für 25 Arbeitsplätze) in der Kritik stand. Sein Vorbehalt gegen das vom WDR geplante »Ballungsraumfernsehen« und seine Idee, stattdessen im Raum Dortmund mit auswärtigen TV-Investoren zusätzliche Konkurrenz um den, bisher genau abgegrenzten, Werbemarkt der NRW-Medien zu schaffen, steigerte bei den Regionalen das Interesse, der SPD am Zeug zu flicken. Anders als Eichel, Klimmt und Dewes kann - und vor allem: sollte - der Ministerpräsident in NRW sich deshalb nicht auf ungünstigen Wind aus Berlin herausreden. Zumal Clement als vehementer Kriegsbefürworter und unternehmerorientierter Modernisierer ohnehin pars pro toto des Schröder-Kurses ist.

Für Schröder wird es eng: Kanzler wird er nur bleiben, wenn die SPD NRW hält. Mit Clement ist das fraglich. Müntefering, Raus heimlicher Kronprinz, könnte das Ruder in NRW herumreißen, ist aber in Berlin unabkömmlich. Die SPD auf konstruktiven Kurs bringen und die Stimmung in NRW für die SPD drehen - beides kann er kaum schaffen. So dass Schröder nun für acht Monate die Geisel seines Düsseldorfer Kompagnons ist, der ihm politisch so sehr ähnelt. Mit einer Landtagswahl begann Schröders Siegeszug, mit einer Landtagswahl könnte er enden.

Selbst wenn auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember wieder eine Aufbruchsstimmung erzeugt würde, die in Kiel trüge: Die entscheidende Wahl findet am Rhein statt, und Wolfgang Clement wird im Mai 2000 nicht nur gegen die CDU und ihren Kandidaten Rüttgers, sondern auch gegen etliche Medien der Region antreten müssen, die er sich zum Feind gemacht hat. Die etwa 2000 SPD-Abgeordneten, die gerade in Stadt- und Gemeinderäten ihr Bedeutung gebendes Amt verloren haben, werden kaum für Landtagswahlkampf zu gewinnen sein. Im Gegenteil: Clement und Schröder erwartet ein Aufstand der Enttäuschten.

Darauf hoffen, dass es in Schleswig-Holstein und NRW gemeinsam mit den Grünen nochmal reicht? Seit die grüne Partei kein Lebensgefühl mehr verkörpert, und seit die engagierte Basis zur Durchsetzung des Kosovo-Krieges an den Rand gedrängt wurde, ist das Mobilisierungspotentil der Grünen selbst gering. Und worin unterschiede sich der tonangebende Mainstream der Partei inhaltlich noch vom Absteiger SPD? Auf sie zu hoffen, könnte vergeblich sein.

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