Heroismus von Masochisten

GRÜNER PARTEITAG Über die Lust der Unterwerfung und das Zauberwort »Regierungsbeteiligung«

Weshalb sind mehrere hundert Individuen bereit, einen Führer zu unterstützen, der ihnen gerade offen seine Mißachtung ins Gesicht geschleudert hat? Eindeutiger und nachdrücklicher als Fischer kann man Anhängern und anhängenden Gegnern kaum sagen, daß sie irrelevant seien: »Ich werde das (die Einstellung der Bombenangriffe) nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt, damit das klar ist.« Und, als wollte er langsam und mit Salzkörnern auf der Zunge das Blut aus der langgestreckten Wunde lecken, die dieser Peitschenhieb geschlagen hat, fügt er an: »Was ich Euch als Außenminister bitte, ist, daß ihr mir helft, daß ihr Unterstützung gebt und daß ihr mir nicht Knüppel in die Beine werft und daß ich nicht geschwächt, sondern gestärkt aus diesem Parteitag herausgehe, um unsere Politik weiter fortsetzen zu können.« Die Mehrheit der so Behandelten stimmte lustvoll klatschend für eine Stärkung Fischers. Der Parteispitze zu folgen und zu gehorchen, war offensichtlich befriedigend.

Angst vor Inferiorität, vor Ohnmacht, Vereinsamung und Ächtung ist ein Motiv für Anpassung und Unterwerfung. Vor einem Ausschluß aus der Regierung, empfunden als neuerliche Marginalisierung, fürchtet sich nicht nur die Spitze, sondern auch die Basis. In die Opposition zu gehen und parteipolitisch Profil zurückzugewinnen, war auch der weit überwiegenden Mehrheit der Delegierten am Rednerpult kein Thema. Stattdessen: Unterwerfung unter die Autorität des im Bundesvorstandsantrag manifestierten common sense, daß die Nato-Bombardierung im Prinzip notwendig sei und der grüne Außenminister seine Sache gut mache. Die Welt verliert durch Anlehnung an eine Autorität, durch Gehorsam für den verunsicherten Einzelnen ihren chaotischen Charakter. Fraktionssprecherin Kerstin Müller, die in Bielefeld nur hilflos Zerrissenheit offenbaren und Gefolgschaft für Fischer propagieren konnte, beklatschte denn auch stolz unseren Joschka, guckte fürsorglich, ob der rotbefleckte Märtyrer mit seinem Redeerfolg zufrieden sei und signalisierte: Der große Bruder tut was für uns, laßt uns an der Strategie des »geborenen Führers« partizipieren - eine Verhaltensweise, die Erich Fromm in »Studien über Autorität und Familie« als »narzißtische Ersatzbefriedigung durch masochistische Hingabe« bezeichnete. Nur: Müller idealisierte eine Autorität, die de facto keine Macht hat. Was schert es Scharping und Solana, wenn Fischer von 444 grünen Delegierten den Auftrag bekommt, sich für einen befristeten Waffenstillstand einzusetzen? Gerhard Schröder, innerhalb der Koalition Experte für Demütigungsstrategien, zog am Wochenende erwartungsgemäß am Krallenhalsband: Ein besonderes Entgegenkommen bei grünen Lieblingsprojekten könne es nicht geben.

Mit sichtbaren Blessuren und ungeschützt schickt die Partei ihre Zugpferde auf das Trottoir des 13. Juni. Weshalb prostituiert sich eine Partei - einen Monat vor den Europawahlen - in S/M-Beziehungen, ohne auch nur eine Gegenleistung zu verlangen? Die Delegiertenkonferenz in Bielefeld legt die Interpretation nahe, daß aus den ehemals antiautoritär agierenden Grünen eine extrem autoritäre Partei mit autoritativer Spitze geworden ist, die sogar höhere Mächte und höhere Gewalt herbeizitiert, vor denen alternative Aktivität und eigene Freiheit enden müsse. Wenn Joseph Fischer, Ludger Volmer und der Bundesvorstand - den Bundestagsbeschluß vom 16. Oktober unter den Tisch kehrend - erklären, die Konfliktstruktur in Jugoslawien hätten die Grünen »geerbt«, ist das eine illegitime Unschuldserklärung. Die Empörung über diese Fälschung von Zeitgeschichte darf aber nicht übersehen lassen, daß auch die Gegner des Regierungskurses nicht fragten, weshalb denn Fischer, Volmer und all die anderen, die so gern von Konfliktprävention sprechen, nicht direkt nach den Bundestagswahlen einen Katalog ziviler Maßnahmen für das Kosovo präsentierten, weshalb sie auch in Bielefeld kein solches Maßnahmenbündel für Montenegro aus der Aktentasche zogen. Übt sich nun auch schon die Linke darin, auferlegtes Leiden zu ertragen und sich ins Schicksal zu fügen, im »Heroismus von Masochisten« (Fromm)?

Daß ein Engagement für eine Waffenpause gleichzeitig die Zustimmung zur Wiederaufnahme des Krieges ist, wurde so gut als möglich unter den Tisch gekehrt. Mit dem Pathos, man habe in Bielefeld über Krieg und Frieden zu entscheiden, ließen sich die Delegierten wissentlich auf die falsche Fährte locken, war ihnen das doch willkommene Gelegenheit, sich vor der Konsequenz eines Bekenntnisses zum Pazifismus zu drücken: dem Aufkündigen der Koalition. In Bielefeld herrschte über die Strömungen und außenpolitischen Interessengruppen hinweg weitgehend Einmütigkeit darin, diese Frage zu tabuisieren.

Wirklich klare Worte gegen den Krieg wurden, vom Bundesvorstandssprecher des grünen Jugendbündnisses Andreas Gebhard abgesehen, nur von Frauen gesprochen. Kritische Renitenz bewiesen insbesondere Annelie Buntenbach (MdB aus NRW), die nordrhein-westfälische Vorstandssprecherin Barbara Steffens, Marianne Hürten (MdL aus NRW), Umweltministerin Bärbel Höhn (NRW) und die beiden Berlinerinnen Anja Röhl und Halina Bendkowski. Bendkowski forderte explizit, die Grünen müßten in die Opposition, dort pazifistische Politik betreiben und einem antifaschistischen und friedenspolitischen deutschen Sonderweg den Boden bereiten. Genau das sei die Verpflichtung der 68er. Hürten demaskierte das Argument der Kriegführenden, man müsse im Kosovo Frauen vor Vergewaltigung schützen als Demagogie: Der Krieg leiste Gewalt gegen Frauen doch erst recht Vorschub. Hürten warf Fischer als Replik auf seine Bitte um Unterstützung vor, seit Dezember 1995 fortdauernd die Partei verraten zu haben. Höhn warnte davor, daß Konsequenz der NATO-Strategie sei, mit Bodentruppen bis Belgrad vorzudringen - was Daniel Cohn-Bendit explizit und Cem Özdemir implizit forderten. Der Bundesvorstandsantrag erteilte dem eine Absage, wahrscheinlich ist Bodenkrieg dennoch - und für eine handzahme Basis braucht sich die Partei dann vielleicht auch keinen Parteitag mehr zu leisten.

Die Partei hat sich gewandelt. Wer sammelt sich heute bei den Grünen, und wozu wäre diese Partei fähig? In Nordrhein-Westfalen, dem größten Landesverband, ist die Hälfte der Mitglieder noch keine vier Jahre dabei - eingetreten also nach der Regierungsbeteiligung in NRW. Die Zahl der Parteimitglieder ist nahezu konstant geblieben, langjährige aus der frühen Phase gingen, einige der neu Hinzugekommenen hoffen auf die Regierungspartei als Strickleiter für den persönlichen Aufstieg, auf einen trickle down Effekt bei Jobs und Einfluß. Für sie ist Opportunismus angesagt, nicht Streitkultur. Eine Bärbel Höhn, vor dem Sonderparteitag umworbenste Kandidatin für die EU-Kommission, die, wohl wissend, daß sie sich damit um jede Chance redete, Fischer in Bielefeld offen attackierte, wird aus solchen Neugrünen nicht erwachsen. Opportunismus dürfte beim Schlüsselprofil für künftige Aufsteiger ganz oben stehen. Zum Schweigen oder zur Zustimmung zum Bodenkrieg wird Bündnis 90/Die Grünen wohl fähig sein oder werden.





Thomas Ebermann / Rainer Trampert

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