im duft von blauem wasser

ORTE DER KINDHEIT Gerade aufgewacht. Geträumt, wieder sechs oder sieben zu sein. Streifte erneut als Kind mit Tagträumen durch die Wälder: ein gefürchteter Raubritter ...

Gerade aufgewacht. Geträumt, wieder sechs oder sieben zu sein. Streifte erneut als Kind mit Tagträumen durch die Wälder: ein gefürchteter Raubritter auf meinem roten Hengst. An der Straßenbiegung nach Sch. lauerte ich wie früher hinter dem Holunderbusch Autos auf. Kam ein großer dunkler Wagen, ritt ich stracks auf die Straße, brachte ihn quietschend zum Halten, indem ich den Fuchs wild schnaubend steigen ließ, bedrohte die Männer mit blitzendem Schwert. Sah die Frau auf dem Beifahrersitz traurig aus, so raubte ich sie. Lautlos waren sie alle. Ich hob sie hoch, setzte sie hinter mich aufs Pferd. Tor, der vorher gefährlich stieg und buckelte, hengstisch wieherte, tänzelte nur noch sanft, sobald eine Frau hinter mir saß. Als wartete er bloß noch auf den Druck meiner Beinschienen, um im Teufelsgalopp auf meine Burg zu stürmen.

Meine Burg, die hellbraun-graue, von Brombeerranken überwucherte, knapp einen Meter hohe Ruine einer Bauernkate, zwei, drei Kilometer und etliche Höhenmeter oberhalb der Straßenbiegung nach Sch., ganz oben auf einem steilen Berg der Nordeifel. Keuchend vom schnellen Galopp durch dunklen Fichtenwald kam ich dort oben an. In der Sonne, auf einer Wiese strotzend vor Blumen: Margeriten, rosa Malven, Hahnenfuß, schwarzrote Kaffeebohnen, Glockenblumen, Löwenzahn und roter Klee, auf meiner Wiese blühten alle gleichzeitig. Es summte vor Hummeln. Immer roch es nach frisch geschnittenem Gras, obwohl nie gemäht wurde.

Am höchsten Punkt der Wiese stand meine Burg. Ein trutziges großes Gemäuer, aus der Mädchen in bunten, weichen Robin-Hood-Anzügen kamen. Sie hoben die Frau hinter mir vom Pferd, nahmen sie mit und badeten sie in duftendem blauen Wasser in einem kunstvoll marokkanisch gekachelten Bad (die Urlaubskarte von Onkel Hans!) inmitten von Brombeerranken und Farnwedeln, sprechenden und singenden rotbäuchigen Dompfaffen, Kohlmeisen und Elstern.

Das Bad in meiner Burg hatte Zauberwasser. Wer darin badete, verließ es voller Träume und verrückter Gedanken. Wer darin badete, hatte, so wie ich, keine Eltern und keine Essenszeiten am Hals. Wer im blauen Wasser badete, war frei und konnte den ganzen Tag tun, was immer er wollte. Er hatte keine Angst mehr, sondern war mutig.

Meist tollten wir auf der Wiese mit jungen Füchsen und kleinen Braunbären, denn sie hielten uns wegen unseres Dufts nach dem blauen Wasser auch für Tiere und hatten keine Angst vor uns. Ich spielte mit den Mädchen und den Tieren. Legte dann aber wieder meine schwarze Raubritterrüstung an, schwang mich auf meinen roten Hengst und donnerte durch den Fichtenwald hinunter zur Straßenbiegung vor Sch., immer schneller trieb ich ihn an, schneller, schneller ...

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