Seit mehr als zwei Jahren liegen sich Äthiopien und Eritrea im Krieg gegenüber: Läppische Eitelkeiten eskalierten mehr und mehr und führten schließlich zu drei Offensiven (Mai 1998, Februar/März 1999, Mai 2000), in denen über 100.000 Soldaten starben. Seit der Invasion der Äthiopier im Mai 2000 ist die eritreische Bevölkerung fast zur Hälfte im Land auf der Flucht. Am 18. Juni wurde in Algier ein Waffenstillstand vereinbart. Aber das militärisch stärkere Äthiopien verzögert den Friedensprozess. Internationale Beobachter schätzen die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen äthiopischen Angriffs innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre als groß ein. In beiden Ländern deutet bisher nichts auf eine Berei
Warten auf eine Chance
ERITREA Am Ende des Krieges hat das Land keine Nahrungsmittelreserven mehr, fast die Hälfte der Bevölkerung ist displaced
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Bereitschaft der ehemaligen Befreiungskämpfer hin, die Macht mit Zivilisten zu teilen. - Die Autorin ist im Juni dreieinhalb Wochen zur Recherche durch Eritrea gereist.Askalu kauert auf einem Stein unter einer gut einen Meter hohen Akazie, aus der sie sich mit zwei kleinen aufgeschlitzten Plastiktüten ein behelfsmäßiges Sonnendach gebaut hat. Es ist Mittag, 35 Grad im Schatten. Oder mehr. Aber Askalu sitzt nicht im Schatten, denn so groß ist ihr Sonnenschutz nicht. Auf dem steinig-staubigen Hügel zwischen Asmara und Mendefera drängen sich Frauen und Kinder unter jedem noch so kleinen Bäumchen. Alte, Behinderte und Schwangere sieht man nicht. Die meisten sind ohne jegliches Hab und Gut. Selbst ein Kleid, das zum Trocknen über einer Akazie hängt, ist selten. Nur vereinzelt sieht man den Rauch eines Feuerchens, obwohl jetzt Mittagszeit ist und die Menschen Hunger haben.Trotz dieser Unzahl von Menschen fällt Askalu auf. Denn ihre Haare sind nicht mehr schwarz, sondern hellgrau. Die Frau aus dem kleinen Grenzdorf in der Nähe von Adi Quala ist 68 Jahre alt und damit einer der ältesten Menschen im Flüchtlingslager. Die meisten ihrer Generation haben die Flucht nicht geschafft. Als die äthiopische Luftwaffe Mitte Mai angriff, hatten nur die eine Chance, die schnell laufen konnten. Askalus drei Kinder waren alle rekrutiert, sie war mit ihrem noch älteren Mann allein in ihrer Hütte, als die Bomber kamen. Er war zu gebrechlich, um wegrennen zu können, also ließ sie ihn dort und versuchte, wenigstens ihr Leben zu retten. Vier Tage war sie zu Fuß und ohne Nahrung unterwegs, bis ein Fahrzeug sie mitnahm und ins Camp brachte. Ob ihr Mann noch lebt, weiß sie nicht.Nun sitzt sie da, unter der kleinen Akazie, und wartet. Was könnte sie sonst tun? Die Eritrean Relief Refugee Commission (ERREC) verteilt Kochgerät. Auch Askalu hat gestern welches bekommen, aber noch nichts, was sie kochen könnte. Bisher lebt sie von Brot und von Nahrung, die verteilt wird. Sie würde gern ihr ehemals weißes Kleid waschen, das sie seit drei Wochen, seit dem Tag ihrer Flucht, trägt. Aber sie hat bisher nichts anderes zum Anziehen. Also sitzt sie da und wartet. Auf ihrem Stein. Sie hat nicht mal eine Plane, also demontiert sie abends ihr Sonnendach, um auf den Plastiktüten zu liegen. Und wartet. Sie würde am liebsten direkt zurück in ihr Dorf gehen, gucken, ob ihr Mann noch lebt, ihre Hütte steht, etwas von ihrem Besitz noch dort ist. Rechtzeitig zu Hause sein, um auszusäen, bevor der Regen kommt.Aber in der letzten Juniwoche bricht die Katastrophe über sie herein: der Regen. Jetzt sitzt Askalu im Schlamm, nachdem es nachmittags - nun für etwa vier Wochen jeden Tag - wie aus Kübeln geschüttet hat. Immer noch fehlen Planen und Zelte, obwohl ERREC, Unicef, UNHCR, Medecien sans frontiers, Save the Children und viele andere Organisationen, auch Privatleute, rund um die Uhr arbeiten, Material herbeikarren. Fast 1,5 Millionen Menschen - nahezu die Hälfte der Bevölkerung - hat der Krieg zu Binnenflüchtlingen gemacht. Viele wurden von anderen Eritreern zu Hause aufgenommen, Hunderttausende leben in riesigen Camps. 45.000 Menschen sind hier im Lager auf den Feldern des Dorfs Schikati registriert. Die tatsächliche Zahl sei viel höher, sagt ein erschöpfter Mitarbeiter von ERREC, der verzweifelt versucht, den Überblick zu behalten. Manche haben Zelte, manche noch nicht. Und zwischen all dem Elend stehen noch die Ruinen großer Lagerhallen, Überreste des Unabhängigkeitskrieges. Leider fehlen allen die Dächer.Die Frustration in den Lagern im Hochland ist größer als im westlichen Tiefland. Dort leben die Menschen auf dem Land, können sich besser mit der Situation im Camp arrangieren. Viele waren vor zwei Jahren schon einmal vertrieben. Für die Älteren ist es eine aus dem Unabhängigkeitskrieg ohnehin bekannte Situation. Im Camp Hamelmalo in der Nähe von Keren etwa haben schon Binnenflüchtlinge kleine Läden für ungeröstete Kaffeebohnen und Tomaten aufgemacht, einer näht im Freien auf einer alten Nähmaschine mit Fußantritt. Die Lebensgefahr für die Flüchtlinge ist jedoch in den Lowlands sehr viel größer: Ihnen drohen mit dem Regen nicht nur Lungenentzündung und Ruhr, sondern auch Malaria. Worku Tesfamichael, die Leiterin von ERREC, will die Flüchtlinge aus den Grenzdörfern deshalb in die Sahelberge bringen lassen. Es kann ein Jahr oder anderthalb dauern, bis sie in ihre Dörfer zurückkehren können. Erst müssen dort Minen geräumt werden. Nur: Die Menschen wollen nicht in den Sahel, sie wollen lieber behelfsmäßig möglichst nah an ihren Dörfern wohnen, bis die frei von Blindgängern und Landminen sind.Glücklicher sind alle, die früher im nord-östlichen Teil der Provinz Gash-Barka lebten, in Barentu und den Dörfern der Umgebung. Dort haben die Äthiopier zwar Hotels, Regierungsgebäude, Brücken, Tankstellen und ähnliche Infrastruktur gezielt gesprengt und zerbombt, die Häuser und Hütten aber nur aufgebrochen und ausgeraubt. Die ersten Flüchtlinge gehen schon spontan zurück. Sobald ERREC die Menschen dezentral mit Nahrung versorgen kann, soll der Rücktransport organisiert werden.Für die Aussaat ist das in jedem Fall zu spät. Denn der Regen hat bereits begonnen. Mit der nächsten Ernte ist deshalb frühestens in anderthalb Jahren zu rechnen. Die wegen des Kriegs nun weitgehend menschenleeren Gebiete erwirtschafteten 70-75 Prozent der eritreischen Getreideernte. Eritrea ist, aufgrund sehr viel schlechterer Böden als in Äthiopien, ohnehin gezwungen, den größten Teil des Getreides zu importieren. Bis 1997 kamen die Grundnahrungsmittel aus Äthiopien. Nach der Einführung von getrennten Währungen und - auf Wunsch Äthiopiens - von Handelsakkreditiven stoppte Ende '97 der Handel mit dem südlichen Nachbarn. Getreide muss seither gegen harte Devisen aus dem übrigen Ausland eingeführt werden. Präsident Isaias Afewerki gab trotzdem mehrere hundert Millionen Dollar für die militärische Aufrüstung mit modernster Luftwaffentechnik aus. Währenddessen wandte sich Worku Tesfamichael schon 1999 mit einem dringenden Appell um Nahrungsmittelhilfe an die internationale Öffentlichkeit. Eritrea erhielt jedoch nur 30 Prozent der benötigten Menge. Während des mehr als zweijährigen Krieges wurden die Getreidereserven fast völlig aufgebraucht. Als im Juli in Algier über einen Waffenstillstand verhandelt wurde, besaß das Land nur noch Getreidevorräte für einen Monat - und keine Devisen, um auf dem Weltmarkt einzukaufen.ERREC hat inzwischen einen Nothilfeplan für die zweite Jahreshälfte aufgestellt, Kosten: 183 Millionen Dollar. »Das ist realistisch«, sagt Arild Jacobsen von der Norwegian Church Aid (NCA). Jacobsen unterstützte die Eritreer schon während des Unabhängigkeitskrieges. Der hagere Norweger mit dem inzwischen schütteren Haar ist ein Mann, der Solidarität nicht mit blinder Kritik losigkeit verwechselt. Doch er betont: »Es gibt hier keine Korruption, es wird nichts für militärische Zwecke abgezweigt, nichts verkauft. Die Hilfe kommt bei den Menschen in Not an, und das wird von ERREC mit langjähriger Erfahrung sehr professionell organisiert.« Wenn man durchs Land reist, findet man keinen Grund, daran zu zweifeln. Die alten Kämpfer im Regierungspalast spielten zwar, die eigene Stärke überschätzend, militärisch Vabanque und schickten dabei Zehntausende junger Soldaten - die erste gut ausgebildete Generation - in den Tod. Andererseits jedoch nimmt die Regierung jetzt den Schutz und die Fürsorge für Zivilisten ernst.Ein großer Kreis von UN- und bilateralen Organisationen, viele NGOs sitzen seit einigen Wochen an einem runden Tisch der Not hilfe zusammen. Sie hoffen, dass es gelingt, ein Massensterben zu vermeiden. Dennoch bleibt die Perspektive für die meisten Menschen in den Lagern düster: anderthalb oder noch mehr Jahre Leben im Lager, abhängig von Nahrungsmittelhilfe, weitgehend ohne Möglichkeit, sich den Unterhalt selbst zu erarbeiten, erzwungene Gewöhnung an ein Leben in Passivität. Askalu, die im Schlamm auf den Feldern von Schikati haust und abwartet, wird das kaum erspart bleiben. Ihre Gegend war bis zuletzt heftig umkämpft. Illusionen macht sie sich nicht: »Wenn ich irgendwann zurückkehren kann, werde ich mit Nichts wieder anfangen müssen«, sagt die 68-Jährige. Der Boden, auf dem ihr provisorischer Unterstand ist, kann nun von dem Bauern aus Schikati auch nicht bestellt werden.Vom Krieg in Abhängigkeit zurückgeworfen zu werden, ist ein harter Schlag für jeden und jede, die es in den weniger als zehn Jahren Frieden geschafft hatte, sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Mehr Hoffnung hat, wer rasch in sein Dorf zurückkehren kann.Eine von diesen »Glücklichen« ist Tsega Makonen aus Barentu. Sie strahlt beim unerwarteten Wiedersehen mitten im riesigen Flüchtlingslager Hamelmalo, obwohl sie vor ein paar Wochen alles verlor. Tsega ist 40 Jahre alt, leidet an sehr schwerem Asthma und ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Mitte der neunziger Jahre war sie so hohlwangig, dass man dachte, sie hätte nur noch ein halbes Jahr zu leben. Die älteste Tochter hielt mit dem Verkauf von gesammeltem Feuerholz und selbst zubereiteten Snacks die Familie am Leben. Ende 1996 erhielt Tsega von der Eritreischen Frauenunion einen Esel. Damit konnte sie selbst Geld als Wasserverkäuferin verdienen und ihre älteste Tochter die Schule beenden lassen. Nach der Prüfung stieg die Tochter mit dem Esel richtig ins Wassergeschäft ein. Sie sparte und ritt schließlich zu Bauern der Umgebung, kaufte Gemüse und verkaufte es neben dem Markt. Dann konnte sie sich einen Marktstand leisten. Dort verkaufte bald Tsega, nachdem die Tochter auch noch einen Laden für Kaffee, Zucker, Seife etc. eröffnete. Tsega geht regelmäßig ins Krankenhaus und läßt sich checken, sie hat schätzungsweise fünf bis sieben Kilo zugenommen. Bei den Luftangriffen auf Barentu mussten die beiden Frauen und die kleineren Kinder flüchten. Die Äthiopier plünderten die ganze Stadt. Da Tsega der Bank misstraute, sind nicht nur die Waren, sondern auch ihre Ersparnisse weg. Nichts ist ihr geblieben, aber trotzdem fühlt sie sich nicht mehr arm. So schnell wie möglich wollen sie und ihre Tochter zurück nach Barentu, einen Kredit aufnehmen, ihre Geschäfte wieder beginnen. »Gib die Esel den Frauen, deren Männer jetzt gefallen sind. Meine älteste Tochter und ich, wir schaffen das jetzt alleine.«Ein Selbstvertrauen wie Tsega haben in Hamelmalo und den anderen Camps nicht viele. Aber die meisten sind stolz auf sich selbst, dass sie es geschafft haben, ihre Kinder auf der schwierigen Flucht mitzuschleppen. Hargum Cocowe etwa. Als die äthiopische Luftwaffe Barentu angriff, lief die alleinerziehende Mutter mit ihren neun Kindern - die älteste ist 16 - zu Fuß bis Agordat. Das sind etwa 70 km. Bei 45 Grad. Wie sie das gemacht habe? Ihre pantomimische Antwort ist unvergesslich: »Auf jeder Schulter eins, und die anderen hingen voller Angst an ihren Beinen.« Wenn Frauen wie Hargum jetzt eine Starthilfe bekommen und den Schwung und den Mut nutzen können, den sie im Augenblick haben, werden sie es schaffen, die Nachkriegsarmut zu überwinden. Falls sie aber jetzt für anderthalb oder mehr Jahre abhängige Hilfsempfänger werden, zementiert sich die Norm, dass Alleinerziehende und ihre Kinder zu den Ärmsten und Chancenlosesten gehören (müssen).Frauen als Verliererinnen der Nachkriegsentwicklung? In Eritrea sind nach 30 Jahren Unabhängigkeitskrieg und zwei Jahren Grenzkrieg Frauen in mehr als 30 Prozent aller Haushalte allein mit ihren Kindern. Die meisten sind Kriegswitwen. Sie sind mit Arbeit überlastet, brauchen bis zu sechs Stunden täglich, nur um Wasser zu holen. Meist schaffen sie die Arbeit nur, wenn die Töchter mitarbeiten - statt zur Schule zu gehen. Das frauenspezifische Armutsproblem wird so in die nächste Generation getragen. Die 40-jährige Saadia Abedella schaut stolz auf ihr Haus: Alles ist repariert, das Dach wieder dicht. 300 Nakfa hatte sie dafür gespart, eine früher unvorstellbar hohe Summe für die alleinerziehende Mutter von fünf Kindern. Sie hungerten, wenn Saadia keine Arbeit als Tagelöhnerin fand. Seit einem Jahr hat sie einen Esel, verkauft tagtäglich Wasser. Die drei ältesten Kinder gehen zur Schule, sie haben genug zu essen, und sie konnte sogar das Geld für die Reparatur ihres Hauses sparen. - Finanziert wird das Programm von der Esel-Initiative e.V., einem gemeinnützigen Verein zur Förderung alleinerziehender Frauen in Eritrea. Ein Esel mit Wassercontainer kostet derzeit 180 DM. Infos: Stefanie Christmann Immanuelkirchstr. 27, 10405 Berlin (030) 44 04 81 88 www.esel-initiative.de Volksbank Bonn BLZ 380 601 86 Kontonummer: 180 590 7017 (Spendenbescheinigung möglich)
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