Des anderen Cast

Gipfeltreffen Regisseur Olivier Assayas lässt in seinem Film „Die Wolken von Sils Maria“ Theater spielen
Ausgabe 51/2014

Theater spielen heißt: zurückkehren. Zu den Figuren, die bereits von soundso vielen anderen Körpern belebt worden sind. Zu den Aushandlungen, die auf soundso vielen anderen Bühnen zu sehen waren. Zu Konstellationen, Konflikten, Abläufen, an denen nicht viel zu ändern ist, außer eben der Besetzung, über die sich Variation in den Figuren und Konflikten herstellt, eine geringfügige Variation, auf die dann andere geringfügige folgen. Wenn das Kino ein zentrales Konzept vom Theater hat, so ist es das der Wiederholungsmaschine.

Dass nach dem Spiel auch im Theater immer vor dem Spiel ist, wusste bereits Joseph Mankiewicz in All About Eve (1950): ein Film, in dem die Geschichte noch lange nicht vorbei ist, nachdem zwei ihre Sache ausgemacht haben, während die Dritte längst in den Kulissen wartet. Austauschbarkeit ist für das Theater ein Faktum, in All About Eve ebenso wie in Olivier Assayas’ neuem Film Die Wolken von Sils Maria, der in seinem letzten Drittel eine Figur verschwinden lässt und ersetzt, ohne dass über Verschwinden und Ersetzung ein einziges Wort verloren wird. Dass diese Figur von Kristen Stewart gespielt wird, die vermutlich noch nie so umstandslos aus einer Filmhandlung befördert worden ist, passt zum Programm: Assayas ist auch ein Regisseur der Filmografien, diesmal der sehr internationalen, und was er mit seinen Figuren anstellt, hat viel mit dem Image der jeweiligen Besetzung zu tun.

Das Spiel der Wiederholungen wird in Die Wolken von Sils Maria von Anfang an in zwei Registern eröffnet. Dem der eigenen Erzählung, wenn der Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche), die vor 20 Jahren den jüngeren, triumphierenden Part in einem bösen Liebesdrama spielte, nunmehr der ältere Part angetragen wird. Und dem Register der Beziehungen, die der Film zur Filmgeschichte unterhält. Zu All About Eve, Drama des Bühnenstars und seiner kleinen Gehilfin, deren Motive etwas undurchsichtig scheinen. Zu André Téchinés Rendez-vous (1985), der Binoche vor 30 Jahren als Filmschauspielerin in der Rolle einer Theaterschauspielerin bekannt machte. Zu Rainer Werner Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972), der für die böse Liebe im fiktiven Theaterstück von Die Wolken von Sils Maria mehr als nur eine Blaupause gewesen ist. Zu John Cassavetes’ Opening Night (1977), der die Abwehr gegen das Alter, die Gespenster als hartnäckigen Kampf mit einer Bühnenrolle inszeniert und dennoch mit der Premiere in dieser Rolle endet, so wie auch die letzte Episode bei Assayas der Premiere in London gewidmet ist.

Im Hotel Waldhaus

Sich gegen die Rolle zu wehren gehört dazu. Deshalb macht sich niemand über die Abwehr lustig oder wenn, dann nur verhalten und mit dem höflichen Einverständnis, von dem das Protokoll der Anfragen und Anbahnungen bestimmt ist. Ein großer Autor und Regisseur stirbt, bevor er einen Preis für sein Lebenswerk erhalten kann. Die einstige Muse (Binoche), die in Begleitung ihrer Assistentin (Stewart) zur Preisverleihung anreist, wird ihn nicht mehr wiedersehen. Dafür wartet vor Ort schon der jüngere Regisseur (Lars Eidinger als sanfter Regienazi), der ihr das alte Stück, nicht aber ihre alte Rolle anbietet.

Die soll vielmehr von einer anderen gespielt werden (Chloë Grace Moretz), die sehr jung ist, in Hollywood-Filmen mal als Alien auftritt und im Verlauf einer kurzen Karriere einen soliden Ruf als bad girl aufgebaut hat (Kick-Ass, 2010). „She is so cool“, sagt die Assistentin, die überhaupt dazu neigt, im falschen Moment eine richtige Beobachtung zu formulieren.

Der Ort, an dem der Wechsel von der alten zur neuen Besetzung angebahnt wird, ist das Grand Hotel, ein anderer Topos des Kinos, diesmal in Gestalt des Hotels Waldhaus, das in Sils herumsteht wie ein Emissär aus einer anderen Zeit. Aus dem Hotel zieht man sich zurück in ein Haus in den Bergen, um an der ungeliebten Rolle zu arbeiten. Dazwischen werden Videoclips auf Youtube gesichtet, Dokumentarfilme über ein Naturphänomen vorgeführt und ein Kino aufgesucht, um einen fiktiven Spielfilm anzusehen, in dem Chloë Grace Moretz wieder so auftritt wie in ihrer Rolle in Kick-Ass. Wiederholung ja; aber als Wiederholung im medialen Ensemble. Am Ende wird Maria Enders zusagen, einen Alien zu spielen, für einen sehr jungen Filmemacher, der im Theater auf sie gewartet hat.

Die Wolken von Sils Maria Olivier Assayas F/CH/D 2014, 124 Minuten

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